In Ernst Augustins wundersam abgründigem Roman "Robinsons blaues Haus", der um die ganze Welt führt, gibt es auch einen Freitag, einen unabschüttelbaren Begleiter, der am Lebensende auch der letzte sein wird. Ein freundlicher kleiner Herr ist das, und man wäre froh, wenn die Begegnung mit dem eigenen Tod auch eine mit so einem netten älteren Herrn wäre.
In Daniel Defoes "Robinson Crusoe" ist Freitag ein Wilder, den böse Kannibalen auf Robinsons Insel verspeisen wollen, der ihnen aber entläuft und mit Hilfe Robinsons seine Peiniger töten kann. Robinson wird nun diesen Wilden zivilisieren und ihm das Christentum nahebringen. Freitag lernt Englisch und wird Freund und Diener von Herrn Robinson. Defoes Buch wurde ein Welterfolg, unter anderem auch durch zahlreiche Versionen "für die Jugend", die das Buch entweder auf Abenteuer reduzierten oder aber je nach Bedarf ein pädagogisches Lehrbuch daraus machten.
Auch andere solcher gewissermaßen universalen Bücher wurden und werden gerne bearbeitet, gestutzt, auf "heutige Lesbarkeit", was immer das sei, zugerichtet und von vermeintlich Überflüssigem und gar Unmoralischem oder Nicht-mehr-Korrektem befreit.
Dann bleibt zum Beispiel von Victor Hugos grandiosen Paris-Panoramen und den fesselnden Diskussionen über die alte schwindende Macht der Architektur und die neue alles ergreifende und verändernde Wirkung des Buchdrucks zu Beginn der Neuzeit in seinem historischen Roman "Notre Dame de Paris" nurmehr die grell-groteske, in vielem auch kitschige Kolportage vom Glöckner und der schönen Esmeralda übrig.
Flache Kinderbuchfassungen
Oder Herman Melvilles "Moby Dick", dieses einzigartige Konvolut aus Meeres- und Menschenbeobachtung, Walmythos und Walwirklichkeit, apokalyptisch-elegischer Weltsicht und heftigem Seeabenteuer schnurrt in Jugendfassungen ein auf Käpt'n Ahabs Jagd nach dem weißen Wal. Das ist selbstverständlich immer noch eine tolle Geschichte, aber das Unergründliche des Melvilleschen Assoziationsstroms, der einen beim Lesen ergreift und über alle Weltmeere auch die der Phantasie treiben lässt, wird in solcher Verkürzung schnell flach und begrenzt. Dabei gehört "Moby Dick" zu jenen seltenen Büchern, die man an jeder Stelle zu lesen beginnen kann und sofort von ihrem Reichtum überwältigt wird.
Auch Jonathan Swifts "Gulliver" schnurrt in Kinderbuchfassungen und Ähnlichem zu kleinformatigen Märchenreisen nach Liliput und ins Land der Riesen ein. Aus einer groß angelegten Folge scharfzüngiger, böser, obszöner und bohrend witziger Gesellschaftssatiren wird so blanke Harmlosigkeit und damit eine grobe Verfälschung der Intentionen des Autors.
Eingriff in die Gestalt der Werke
Wenn Kinderbuchklassiker wie etwa "Die kleine Hexe" von Ottfried Preußler nach Wörtern wie "Negerlein" oder "Zigeuner" "durchforstet" werden sollen, weil man diese Bücher an den sprachlichen und politischen Wandel anpassen wolle, dann ist das nichts anderes als Säuberung und ein schlimmer Eingriff in die integrale Gestalt der Werke, die ja Kreationen ihrer Entstehungszeit sind und diese selbstverständlich in sich tragen und damit auch von ihr Mitteilung machen. Wieso kann der Vorlesende das nicht erläutern, wieso lassen sich nicht auch in Kinder- und Jugendbüchern solche vielleicht problematisch gewordenen, weil als diskriminierend empfundenen Wörter erklären?
Wer "Tausendundeine Nacht" nur in jugendfreien Ausgaben liest, kennt dieses Wunderwerk nicht, das auch vor sex and crime und Vorurteilen nur so strotzt, wüste Mordtaten, Vergewaltigungen und Entmannungen schonungslos schildert oder vergnügt Obszönitäten ausbreitet. Was tun mit den Sagen und Märchen aller Völker, die eben nicht stubenrein und politisch korrekt erzählt werden und worden sind, sondern immer auch böse, anzüglich, ressentimentgeladen sein können. Säuberern sei ins Stammbuch der Satz des großen Butts geschrieben: "Gah man hen, se sitt all weller in'n Pißputt."