Ägypten: Platz der Befreiung:Schäbige Visitenkarte der Macht

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Die Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz sind nach zwei Wochen isoliert. Rundum walten die Männer der alten Macht. Was nun auf dem Platz passiert, geschieht dem ganzen Land: der Triumph des demokratischen Aufbruchs - oder seine Vernichtung.

S. Zekri

Viel Pflaster ist nicht mehr übrig auf dem Tahrir-Platz. Die Bürgersteige sind aufgebrochen, der Asphalt herausgerissen. Die Krater in der Fahrbahn wurden mit Steinen aufgefüllt, aber weite Flächen sind nur noch blanke Erde. Es ist, als dränge ein rohes uneuropäisches ländliches Ägypten an die Oberfläche, ein Ägypten, dessen Straßen bis heute nicht gepflastert sind und das nach den Gesetzen von Sklavenhaltergesellschaften funktioniert - Gesetze, die die Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht mehr hinnehmen wollen.

Demonstranten protestieren am späten Montagabend weiter auf dem Tahrir-Platz in Kairo: Es ist der 14. Tag der anhaltenden Proteste gegen das Regime von Präsident Mubarak. (Foto: dpa)

Nach zwei Wochen Aufruhr, nach Überfällen von Schlägern des alten Regimes und der verzweifelten Verteidigung des neuen Ägypten mit Steinen und Pflasterbrocken hat der Tahrir-Platz in Kairo nichts Urbanes mehr. Mit den schlafenden Menschen unter Plastikplanen und in Hauseingängen, mit den Panzern, den Barrikaden, den bandagierten Verwundeten wirkt er wie eine Hausbesetzung in einem Kriegsgebiet. Nach zwei Wochen Aufruhr sind die Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz isoliert - von der Welt, von Ägypten, von der eigenen Stadt. Rund um den Platz schalten und walten die verhasste Polizei, der Geheimdienst, die Männer der alten Macht so selbstbewusst, als läge nicht für einen kurzen aufregenden Augenblick eine Ahnung von Freiheit in der Luft. Rund um den Platz formiert sich das alte System neu und sinnt auf Rache. Wer zu dem Verkehrsknotenpunkt geht, der auf Deutsch Platz der Befreiung heißt, und wer von dort kommt, wird bedroht.

Dem autoritären Regime bleibt keine Wahl, denn wo Angst die Herrschaft sichert, sind Kompromiss, Entwicklung oder auch nur ein Dialog demütigende Zeichen der Schwäche. Fern vom Platz der Befreiung hat der Westen, auch Deutschland, zwischen Werten und Interessen abgewogen und sich für die Interessen entschieden. Schon sind nicht mehr alle Augen auf Kairo gerichtet, Kameras abgezogen, Journalisten abgereist.

Kairos 20 Millionen Einwohner aber schauen sehr genau und mit wachsender Erbitterung auf die paar tausend Renitente, die das Leben der Stadt lahmlegen.

Der Platz der Befreiung ist Kairos Knotenpunkt der wichtigsten Magistralen, mit einer labyrinthischen U-Bahnstation und einem großen Busbahnhof. Wer den Tahrir beherrscht, bringt den Verkehrsfluss der Stadt ins Stocken und zwingt die Autofahrer zu stundenlangen Umwegen über verstopfte Nebenstrecken, als wären die Staus an ruhigeren Tagen nicht schlimm genug.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Sonderrolle der Platz in Kairo einnimmt.

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Nach fast zweiwöchigen Massenprotesten bewegt sich der Machtkampf in Richtung Dialog: In Kairo haben am Wochenende Verhandlungen über die Zukunft Ägyptens begonnen - auf dem Tahrir-Platz herrscht gespannte Ruhe.

Der Platz der Befreiung ist aber auch nationales Schaufenster und Schaltzentrum der Macht, er ist mit dem Ägyptischen Museum das kulturelle Herz der Stadt und mit dem fünfzehnstöckigen Verwaltungsklotz der Mogamma ihr administratives Gedächtnis. Hier liegen die Arabische Liga, die American University und inmitten einer riesigen Baustelle das im Umbau begriffene Hilton-Hotel. Zur Nilseite ragt der schwarze Torso der NDP-Zentrale empor, der Monopolpartei von Präsident Hosni Mubarak. Die Aufrührer hatten sie schon in den ersten Tagen der Revolte angezündet. "Was auch immer auf dem Tahrir-Platz geschieht, gewinnt sofort nationale Bedeutung", hat die ägyptische Zeitung Al-Ahram geschrieben. Und es geschah eine Menge: Die Brotunruhen Ende der siebziger Jahre, die Proteste gegen den Irak-Krieg vor acht Jahren.

Wer zu dem Verkehrsknotenpunkt geht, der auf Deutsch Platz der Befreiung heißt, und wer von dort kommt, wird bedroht. (Foto: dpa)

Es hat lange gedauert und viel gekostet, bis der Platz so aussah wie heute. Fast jeder ägyptische Herrscher hat den Tahrir-Platz nach seinen Vorstellungen gestaltet. Der Kessel am Nil funktioniert wie eine Visitenkarte der Macht. Seit der Nil sich zurückgezogen hatte und es im 16., 17. Jahrhundert auf seiner östlichen Flanke Raum zunächst für die Gerbereien der Stadt, dann für erste Gärten gab, seitdem gilt, was der ägyptische Publizist Samir Raafat geschrieben hat: "Wann immer ein neues Regime glaubte, dass die Hauptstadt neu gestaltet werden muss, begann es mit dem Tahrir."

Ismail Pascha, der Statthalter des Osmanischen Reiches in der Provinz Ägypten, war Ende des 19. Jahrhunderts unbedingt der Meinung, dass Kairo ein neues Gesicht bräuchte und zwar ein europäisches. Dafür ließ er Straßen und Bürgersteige anlegen, Schulen bauen und den Sklavenhandel abschaffen. Deutsche, österreichische und französische Architekten ließen Belle-Epoque-Villen entstehen. Geschäfte, Hotels und Unternehmen waren in ausländischer Hand. Im damaligen Ismailija-Viertel um den heutigen Tahrir-Platz finde man "nichts Einheimisches mehr außer dem sudanesischen Portier auf der Bank vor einem überladenen Herrenhaus, halb verborgen hinter Palmen und subtropischen Sträuchern.", klagte ein Besucher der Hauptstadt. Nach dem Willen Ismail Paschas sollte Kairo aufschließen an die Metropolen Europas, sollte ein "Paris am Nil" werden. Dafür bekam es ein Marsfeld - den Ismailija-Platz, den heutigen Platz der Befreiung.

Ali Mubarak, der Minister für staatliche Bauvorhaben, schlug dann im rechten Winkel Schneisen in die Stadt und ließ einen Kreisverkehr um eine Statue Ismail Paschas zirkulieren, Fußgänger außen, Autos und Tiere innen. Wo heute die Baustelle des Hilton steht, lag die Qasr-el-Nil-Kaserne der Engländer, Symbol für die quasi koloniale Herrschaft Londons am Nil. Insofern war es nicht erstaunlich, dass Gamal Abdel Nasser und seine "Freien Offiziere" nach der Revolution 1952 und dem Sturz des Königs die Kaserne abreißen und den Platz in "midan al-tahrir", den Platz der Befreiung, umbenennen ließen.

Zwar war die Mogamma, der sanft gebogene Riesenriegel, kurz zuvor entstanden. Aber weil Nasser auch die Seitenstraßen mit sozialistisch inspirierten Ministerien und Regierungsgebäuden zupflasterte und so seine Sympathien für die Sowjetunion demonstrierte, galt die Mogamma nach dem 1959 eröffneten Hilton-Hochhaus als Schlussstein eines architektonischen Nasserismus. Nasser verdrängte die Ausländer aus der Innenstadt, enteignete Wohnungsbesitzer und quartierte staatliche Angestellte in den Luxushäusern ein. Gleichzeitig entstanden rund um die Innenstadt neue Hochhäuser. Unter Nassers Nachfolger Anwar el-Sadat wurde der Platz der Befreiung verramscht. Händler und Anwälte zogen in ersten Stockwerke der herrschaftlichen Häuser. Werbetafeln und Plakate überdeckten die Fassaden. Der Platz verlor seinen Ausnahmecharakter.

Vor zwei Wochen nun hat er seine Sonderrolle zurückgewonnen. Denn was auf dem Platz der Befreiung geschieht, geschieht dem ganzen Land - der Triumph des demokratischen Aufbruchs. Oder seine Vernichtung.

© SZ vom 08.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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