Klassikkolumne:Trauer und Melancholie

Klassikkolumne: Erstmals eingespielt: Sakrale und vokale Kammermusik von Giacomo Meyerbeer.

Erstmals eingespielt: Sakrale und vokale Kammermusik von Giacomo Meyerbeer.

(Foto: Antes Edition)

In multiperspektivischen Klangräumen bewegen sich viele der Neuaufnahmen, oft hochvirtuos und hyperkomplex.

Von Julia Spinola

Giacomo Meyerbeer versetzte im 19. Jahrhundert nicht nur ganz Paris in Aufregung, seine Grand opéras wurden über Europa hinaus auch in Shanghai und New York aufgeführt. Einer weitgehend unbekannten Seite des Komponisten widmet sich seit vielen Jahren die Sopranistin Andrea Chudak mit ihrer Wiederentdeckung des Liedschaffens von Meyerbeer. Pünktlich zum 230. Geburtstag und zur Gründung der 1. Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft in Berlin erscheint ein von ihr initiiertes Doppelalbum mit vokaler Kammermusik und Sakralmusik Meyerbeers, die zuvor fast gänzlich in Archiven schlummerte und nun erstmals eingespielt wurde. Die in vier Sprachen zu verschiedensten Anlässen komponierten Werke zeigen die enorme stilistische Bandbreite Meyerbeers, der ebenso eine Fuge für vier Stimmen und Orgelbegleitung komponieren konnte wie virtuose Kabinettstücke und Canzonetten, Opernszenen en miniature und geistliche Hymnen, ausgedehnte A-cappella-Zyklen oder Lieder mit instrumentaler Begleitung. Musiziert und gesungen wird das alles glänzend von 16 engagierten, hochprofessionellen Meyerbeer-Liebhabern. (Antes Edition)

Klassikkolumne: Früher unspielbar, heute Standardrepertoire: die Klavieretüden von György Ligeti.

Früher unspielbar, heute Standardrepertoire: die Klavieretüden von György Ligeti.

(Foto: Cavi-Music)

Als 1985 der erste Band von György Ligetis Klavier-Etüden erschien, galten die hochvirtuosen polyrhythmischen und polymetrischen Stücke als "unspielbar". Heute gehören sie zum Standardrepertoire. Die luxemburgische Pianistin Cathy Krier spielt sie mit sanft swingender Leichtigkeit und unbeirrbarer Klarheit, voller Poesie und Farbenreichtum. Die Etüden treiben jeweils einen sehr einfachen technischen Grundgedanken durch eine Art planvoller Wucherung ins Hyperkomplexe, um damit ins Surreale abzuheben. Anders als der immer noch unübertroffene Pierre-Laurent Aimard, Ligeti-Pianist der ersten Stunde, der in den multiperspektivischen Klangräumen mit exzentrischer Ausdruckskraft stets neue Dimensionen aufreißt, scheint Krier im schwindelerregenden Gewusel der Stimmen noch festen Boden unter den Füßen behalten zu wollen. In den hypervirtuosen raschen Stücken wie "L'escalier du diable", "Á bout de souffle" oder "Vertige" wählt sie vergleichsweise gemäßigte Tempi. Die langsamen Stücke wie "Cordes a vides" oder "Arc-en-ciel" spielt sie zwar klanglich genau ausbalanciert und stimmungsvoll traumverloren, überlässt sich aber den von Ligeti eröffneten illusionistischen Räumen im sterbensschönen Utopia nicht in letzter Konsequenz. (Cavi-Music)

Klassikkolumne: Trauermusik des polnischen Pianisten und Komponisten Miłosz Magin.

Trauermusik des polnischen Pianisten und Komponisten Miłosz Magin.

(Foto: Sony)

Der Geiger Gidon Kremer besitzt die Fähigkeit, durch seinen irisierend-singenden Ton und seine musikalische Entflammbarkeit noch die schlichtesten Melodien zu vergolden. Außerdem war er immer schon ein neugieriger Entdecker des neuen, abgelegenen oder vergessenen Repertoires. Mit seiner Kremerata Baltica hat er dem Pianisten Lucas Debargue Carte blanche für ein gemeinsames Projekt gegeben. Debargue wählte Kompositionen des polnischen Pianisten und Komponisten Miłosz Magin, der 1999 mit 70 Jahren in Paris starb. Das polnische Wort "żal", das der CD den Titel gab, heißt "Trauer" oder "Bedauern" und beschreibt als tief romantisches Lebensgefühl etwas, das der jugendliche Alban Berg einmal als einen "schönen Schmerz" umschrieben hat. Dem gibt sich Kremer mit durchdringendem Geigengesang hin: in den bittersüßen Melodien von Magins Vokalisen für Klavier und Geige ebenso wie im impressionistisch angehauchten Andante für Klavier und Violine. In den Konzerten Nr. 1 (für Violine, Streicher und Pauken) und Nr. 3 (für Klavier, Streicher, Pauken und Schlagzeug) mischt sich die melodische Süße recht eklektisch mit nostalgisch entschärften Anklängen an die Motorik eines Alexander Mossolow oder an den neoklassizistischen Prokofjew und die Rhythmik polnischer Nationaltänze wie Krakowiak und Oberek. (Sony)

Klassikkolumne: Werke von Ravel, Liszt, Fauré und Respighi, die die Pianistin Imogen Cooper seit ihrer Studienzeit nicht mehr gespielt hat.

Werke von Ravel, Liszt, Fauré und Respighi, die die Pianistin Imogen Cooper seit ihrer Studienzeit nicht mehr gespielt hat.

(Foto: Chandos)

Einen Blick zurück, nämlich in die eigene Jugend- und Studienzeit, wirft auch die 72-jährige britische Pianistin Imogen Cooper mit ihrem nach Proust benannten Album "Le temps perdu". Es umfasst Werke von Ravel, Liszt, Fauré und Respighi, die sie als Teenagerin am Konservatorium in Paris und als Mittzwanzigerin bei Alfred Brendel in Wien studiert und seither nicht mehr angefasst hatte. Cooper zählt zu den uneitlen, ernsthaften Interpreten. Vor allem das französische Repertoire hat sie von Jacques Février, der Ravel noch gut kannte, und Lehrern aus der Tradition Alfred Cortots gleichsam muttersprachlich inhaliert. Es gelingen ihr wahrhaft "gereifte", von tiefer, kluger Musikalität und einer Spur abgeklärter Melancholie durchdrungene Interpretationen von Faurés Variationen op. 73 und Ravels "Valses nobles et sentimentales". (Chandos)

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