Adel im NS-Regime:Wir Stauffenbergs

Stauffenberg Assassination Attempt Against Hitler: 75th Anniversary Nears

Porträts der Widerstandskämpfer um Stauffenberg.

(Foto: Getty Images)
  • Ausgelöst durch Forderungen aus dem Hause Hohenzollern sind alte Fragen zum Verhältnis von konservativen Eliten und NS-Staat erweckt worden.
  • Eines steht mittlerweile fest: Der adelige Widerstand war wesentlich kleiner als allgemein angenommen.
  • Deutungen, nach denen die Hohenzollern der NS-Bewegung fernstanden, erscheinen nach aktuellem Forschungsstand abenteuerlich.

Gastbeitrag von Stephan Malinowski

"Wer von Preußentum spricht, soll zunächst an stillen und unpersönlichen Dienst, aber erst zuletzt, am besten gar nicht, an Lohn und Anerkennung denken." Dieser Satz wurde in einer Rede am 17. Juni 1934 gegen die Usurpation preußischer Ideale durch ein Regime der Maßlosigkeit gerichtet - zehn Jahre vor Stauffenbergs Attentat auf Hitler.

Vorgetragen wurde die Rede an der Universität Marburg in Gestalt Franz von Papens durch den wohl wichtigsten Wegbereiter Hitlers, geschrieben und als Beginn eines Staatsstreichs geplant jedoch von einem kleinen Kreis konservativer Frondeure. Der Redenschreiber Edgar Julius Jung gehörte zu einer kleinen Gruppe scharfsinniger Anti-Demokraten, die das NS-Regime zunächst unterstützt, sich jedoch früh von ihm abgewendet hatten. Einige dieser Männer gehörten zu den ersten konservativen Opfern des NS-Regimes. Sie verlieren ihr Leben in den als "Nacht der langen Messer" bekannten Mordaktionen Ende Juni 1934.

Die Marburger Rede lässt sich als einer der seltenen öffentlichen Manifestationen konservativer Opposition gegen das NS-Regime lesen. Als Aufleuchten der Potenziale, die konservative Funktionseliten gegen das Regime hätten einsetzen können. Und nicht einsetzten.

Fünfundachtzig Jahre später und während der vergangenen Wochen entstand bei Beobachtern Zweifel, ob die im Zitat formulierten Leitlinien im ehemaligen preußischen Herrscherhaus noch erinnert werden. Ausgelöst durch Forderungen aus dem Hause Hohenzollern sind alte Fragen zum Verhältnis von konservativen Eliten und NS-Staat erweckt worden - und in diesen Sommer getreten wie ein Gespenst.

Im ersten Kabinett Hitler sitzen drei Nationalsozialisten, der Rest sind Konservative oder Parteilose.

Dabei haben sich diese Forderungen und der 75. Jahrestag des Hitler-Attentats zeitlich überlagert. Erstere sind mit der Geschichte des Dritten Reichs deshalb verbunden, weil das maßgebliche Gesetz aus dem Jahre 1994 Entschädigung ausschließt, wenn der Begünstigte dem NS-Regime "erheblichen Vorschub geleistet hat". Lange Zeit vertraulich geführte Verhandlungen werden nun öffentlich debattiert. Dabei bilden zwei Zeitschnitte, Januar 1933 und Juli 1944 - die Machtübergabe an die Nationalsozialisten und der scheiternde Staatsstreich des 20. Juli 1944 - Nadelöhre für die Interpretation deutscher Geschichte. Jeder Versuch, das Verhältnis konservativer Eliten zum NS-Staat zu analysieren, muss sie passieren. Und in starker Vereinfachung sind es zwei Fragen, die der Gesetzgeber 1994 in §1 Absatz 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes versteckt hat: Wer hat das Dritte Reich gemacht und betrieben? Wer waren seine Gegner?

Die Machtübergabe des 30. Januar 1933 war bekanntlich ein Arrangement zwischen Konservativen und Nationalsozialisten. Im ersten Kabinett Hitler sitzen nicht mehr als drei Nationalsozialisten, alle anderen Minister sind konservative und parteilose Mitglieder der alten Eliten. Polizei, Gerichte, Universitäten, Ministerien, Auswärtiges Amt und vor allem das Offizierskorps werden zunächst nicht von "Nazis" geführt, sondern von Mitgliedern der Funktionseliten, ohne die weder das Dritte Reich noch später die Wehrmacht weit gekommen wären. Die Zerschlagung des Parlaments, der unabhängigen Presse, der demokratischen Parteien, der mächtigsten Gewerkschaften Europas, die Zerstörung der Demokratie, die im Ermächtigungsgesetz vom März 1933 einen ersten Höhepunkt fand, gehörten ebenso zu dieser gemeinsamen Geschäftsgrundlage wie die antisemitische Weltsicht.

Wer sitzt Mitte 1933 im Kabinett, wer sitzt im KZ?

In dieses politische Umfeld wäre auch die Mehrheit der Hohenzollern einzuordnen. Zumindest auf der Ebene der Darstellung ließe sich der unglücklich agierende "Kronprinz" als Symbolfigur für das Elend des deutschen Konservativismus verstehen, als Symbol jener Kollaboration, die Hitler den Zugriff auf den Staatsapparat ermöglichte. Am sogenannten Tag von Potsdam leisten der Kronprinz und seine Familie im März 1933 symbolisch wichtige Beiträge, um den Bund von NS-Bewegung und konservativen Kräften in gewaltigem Spektakel darzustellen.

Gleichzeitig wird nordwestlich von München eine Institution neuen Typs eröffnet, Dachau, das erste systematisch geführte Konzentrationslager. Dem genialen Führer solle man Zeit für seine "Aufräumarbeiten" lassen, schrieb der Kronprinz in antisemitischem Zungenschlag am 11. April 1933 an den amerikanischen Superstar Geraldine Farrar, "Heil Hitler!" zeichnend und mit einer Abschrift an Joseph Goebbels.

Hannah Arendt konstatierte für das Dritte Reich eine "Heldenverehrung der Gangster von Seiten der Elite, die Bewunderung jeglicher Grausamkeit, das Bündnis schließlich aller Deklassierten". Am Kronprinzen lässt sich studieren, wie präzise Arendts Sicht auf den Zusammenbruch einer Zivilisation war. Zwei simple Fragen helfen bei der Orientierung: Wer sitzt Mitte 1933 im Kabinett, wer sitzt im KZ?

Wer über viele Jahre Europas Geschichte unterrichtet, stellt fest: Studenten aller Länder der Welt kennen Stauffenberg, einige haben von den Scholls gehört, niemand von der Berliner Widerstandskämpferin Elise Hampel, obwohl letztere Vorbild für die Heldin in Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" war. Wenn aber, wie etwa die Verteidiger eines monumentalen Stauffenberg-Bildes fordern, "Gewissen" die Leitkategorie zur Beurteilung von Widerstand sein soll, wäre schwer zu sehen, womit der Oberst der Wehrmacht die 21-jährige Studentin Sophie Scholl überstrahlen sollte. Für Mut, Klarheit und Haltung der jungen Frau lassen sich im Offizierskorps der Wehrmacht nicht viele Pendants finden. Gelöbnisse finden am 20. Juli statt, nicht am 18. Februar, dem Tag, da die Geschwister Scholl nach der Verteilung von Flugblättern in der Universität München verhaftet wurden.

Die große Erzählung vom konservativen Widerstand gehörte zur Legende, die der Adel nach 1945 dem bundesrepublikanischen Bürgertum erzählte

Wie erklärt sich die Kraft des konservativen Narrativs? Heinz Reif, der wohl innovativste und vielfältigste Adelshistoriker Deutschlands, hat in seinen Arbeiten immer wieder auf die eindrucksvollen Darstellungs-Leistungen des Adels hingewiesen. Adel steht stets auch für Sichtbarkeit und Symbolisierung, nicht zuletzt für die Darstellung von Traumwelten für nicht-adlige Beobachter. Daran anschließend ließe sich die große Erzählung vom konservativen Widerstand in Teilen als Legende begreifen, die der Adel nach 1945 für das deutsche Bürgertum erzählt und dargestellt hat. Es war das Narrativ, das die junge Bundesrepublik benötigte, nicht zuletzt gegen die aggressiv vorgetragene Gegen-Deutung der DDR.

Immer wieder haben sich Historiker bemüht, die Monumentalisierung einzelner Widerstand-Biografien zu hinterfragen. Und sich etwa bemüht, das Verhältnis einzelner Verschwörer zum Antisemitismus zu beleuchten. Dazu gehören quellenbasierte Untersuchungen der genauen Aufgaben, mit denen etwa Stauffenberg, Schulenburg und Tresckow zwischen 1939 und 1942 in Polen, Weißrussland, Russland oder bei der Aufstellung der Ostheere im Nordkaukasus befasst waren. Beim derzeitigen Forschungsstand gibt es hier eher Fragen denn Antworten. Noch wird das Bild konservativer Verschwörer von 1944 her bestimmt, nicht von 1933 oder 1941.

Das Zentrum der Aufmerksamkeit von den frühen und grundsätzlichen Gegnern des Nationalsozialismus auf die im Krieg einsetzende Opposition einer äußerst kleinen Minderheit entschlossener Wehrmachtsoffiziere umgelenkt zu haben, gehört zu den fraglos größten Leistungen der konservativen Legendenproduktionen nach 1945. Was nun Deutungen angeht, nach denen die Hohenzollern der NS-Bewegung fern standen, so haben diese bislang kaum Unterstützung erfahren.

Bereits vor drei Jahren wurden neue Quellenfunde angekündigt, die belegen sollen, dass der Kronprinz am Ende der Weimarer Republik "Hitler verhindern" wollte. Auch der Anwalt der Familie äußerte unlängst in einem Radiointerview, in der Öffentlichkeit sei bislang kaum bekannt, dass die Familie "Kontakte zum Widerstand" hatte und dass der Kronprinz von den Verschwörern "als Staatsoberhaupt auserkoren" war. Und in der Tat - selbst Fachhistorikern auf dem äußerst genau untersuchten Feld des konservativen Widerstands ist dies bislang noch nicht bekannt.

Historiker betonen die Verbindung der Hohenzollern zum Nationalsozialismus

Bislang wurde diese Deutung in der Öffentlichkeit durch kein einziges Dokument erhärtet. Sollten Juristen den Kronprinzen als Widerstandskämpfer identifiziert und damit vierzig Jahre historische Spezialforschung widerlegt haben, wäre es von Gewinn, entsprechende Belege zu sehen. Die in Princeton arbeitende Historikerin Karina Urbach, deren Expertise zum Thema Hochadel und Nationalsozialismus international unübertroffen ist, hat unlängst nicht nur die Verbindung der Hohenzollern zum Nationalsozialismus betont, sondern auch die oftmals selektiven Archivzugänge diskutiert. Wo diese mit Strafanzeigen und Unterlassungsabmahnungen gegen Fachhistoriker und Medien kombiniert sind, könnten sie geeignet sein, zumindest erstere zu verunsichern.

In der Fachdebatte unter Historikern sind zwei Kernargumente abzusehen. Das erste lautet, der Kronprinz habe im Umkreis des Reichswehrgenerals Kurt von Schleicher 1932 versucht, Hitler zu "verhindern". Das zweite fußt darauf, dass er später "Verbindungen zum Widerstand" unterhalten habe. Nun sind diese beiden Erzählfiguren so alt wie die Nürnberger Prozesse und durch Wiederholung nicht glaubwürdiger geworden. Wäre die deutsche Geschichte ein im November 1932 festgefrorenes Polaroid, dann, und nur dann, ließe sich General Schleicher, der umtriebige letzte Kanzler vor Hitler, als Alternative zu Hitler lesen. Da jedoch Schleicher als einer der politisch einflussreichsten Reichswehroffiziere über zehn Jahre an der Zerstörung der Republik arbeitete und dabei eng mit der NS-Bewegung kooperierte, sieht man seiner Neuentdeckung als Schutzmann der Demokratie gespannt entgegen.

Dies gilt auch für die zweite Behauptung: Der Kronprinz habe dem Widerstand des 20. Juli nahegestanden. Zutreffend ist, dass vor allem ältere Verschwörer das Haus Hohenzollern diskutierten, um das erwartete Vakuum nach der geplanten Tötung Hitlers zu füllen. Entscheidend ist allerdings, was das Haus eben gerade nicht getan hat. "Ein Hohenzollernprinz, der den ungeheuren Mut besessen hätte, sich an die Spitze der deutschen Widerstandsbewegung zu stellen", schrieb der konservative Historiker Gerhard Ritter schon 1955, "hätte jedenfalls die historische Lage der Monarchie in Deutschland mit einem Schlage verändert."

Nur, niemand im "Haus" besaß diesen Mut. Aus Kontakten zwischen der Familie zu dem rechten Rand im Spektrum des 20. Juli eine Zugehörigkeit zum Widerstand ableiten zu wollen, erscheint beim Forschungsstand abenteuerlich. Die politische Bedeutung der Hohenzollern nach dem ersten Weltkrieg ist auch in dem zu suchen, was 1933 und 1944 nicht geleistet wurde: die Darstellung einer konservativen Alternative zum Nationalsozialismus.

Edgar Julius Jung, der Verfasser der Marburger Rede, hatte vor seiner Ermordung einem Vertrauten gegenüber geäußert, man trage für die Ermöglichung Hitlers eine partielle Verantwortung und müsse diesen Fehler nun durch eigenes Handeln korrigieren. Auch Schulenburg oder Stauffenberg wäre die mutige Klarheit dieser Position zehn Jahre später zuzutrauen. Und so formulierte der konservative Frontoffizier, Jurist und Rechtsintellektuelle Jung im Sommer 1934 präzise jene zentrale Einsicht, der sich die Verteidiger glatter und monumentaler Geschichtsbilder im Sommer 2019 weiter verschließen möchten. Ein historisches Denken, das Größe und Scheitern konservativer Traditionen ernst nimmt, müsste die Fähigkeit besitzen, Fehlkalkulationen und Bündnisse der Zeit um 1933 kritisch zu reflektieren. Wie immer der von den Hohenzollern geworfene Bumerang nun juristisch fliegen wird, er könnte dazu führen, den Lack von einigen konservativen Legenden beschleunigt abblättern zu lassen.

Der Autor lehrt an der School of History, Classics & Archeology der Universität Edinburgh.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels fanden sich leider zwei Fehler. Die Marburger Rede Franz von Papens fand nicht am 17. Juli, sondern am 17. Juni 1934 statt. Desweiteren liegt das KZ Dachau nicht im Nordosten von München, sondern nordwestlich.

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