Süddeutsche Zeitung

Adbusting:Unverhältnismäßigkeit der Mittel

Lesezeit: 5 min

Sogenannte Adbuster manipulieren die Aushängeschilder des Kapitalismus - und provozieren manchmal harte polizeiliche Ermittlungen gegen sich.

Von Thilo Eggerbauer

In dem 1988 erschienenem Science-Fiction-Klassiker "Sie leben!" findet der arbeitslose Ölarbeiter John Nada eine Sonnenbrille, die ihn die Welt schwarz-weiß sehen lässt und ihm ermöglicht, versteckte Botschaften hinter Werbeplakaten und -anzeigen zu erkennen. Hinter einem "Ausverkauf"-Schild offenbart die Brille den Imperativ "Konsumiere!", hinter einem Plakat für Urlaube in der Karibik, auf dem eine halb nackte Frau abgebildet ist, den Befehl: "Heirate und vermehre dich!"

Zwar stecken hinter der Werbepropaganda dieses Films hirnwaschende Außerirdische, trotzdem macht er eindrucksvoll deutlich, wie sehr das Stadtbild in der westlichen Welt von Werbung geprägt ist und wie wenig man sich im Alltag über deren Botschaften Gedanken macht.

Ob sich Regisseur und Drehbuchautor John Carpenter für den Film von dem sogenannten Adbusting (etwa: Werbezerschlagung) hat inspirieren hat lassen, ist nicht bekannt, allerdings folgt er einer ähnlichen Logik. Adbuster gibt es - auch hierzulande - seit den späten Sechzigerjahren. Sie überkleben Werbung im öffentlichen Raum, verfremden sie oder gestalten sie um, sodass deren Sinn bloßgestellt oder ad absurdum geführt wird. Dahinter steht die Kritik an visueller Umweltverschmutzung durch Werbung. Aber auch der Wunsch, eigene politische Botschaften zu senden.

Die im deutschsprachigen Raum bekannteste Gruppe von Adbustern heißt "Dies Irae", Latein für "Tag des Zornes". Die Mitglieder bleiben anonym, eigenen Angaben zufolge besteht das Kollektiv aus Künstlern, Aktivisten und Leuten, die selbst in der Werbebranche tätig sind. Auf Facebook folgen ihnen gut 25 000 Menschen. Dort posten sie auch Bilder ihrer Aktionen. "Ein Herz für Kinderarbeit - H&M" oder "Nazis essen heimlich Falafel".

Johannes ist Teil des Kollektivs, sein Name ein Pseudonym. "Unserer Meinung nach ist der öffentliche Raum ein Raum des Diskurses und ein Raum, wo Politik stattfinden soll und der nicht von kommerzieller Werbung eingenommen werden soll. Deswegen finden wir es völlig legitim, diese Form des Protestes zu nutzen", sagt er. Adbusting sei für ihn sowohl Kunst als auch politischer Protest.

Um den öffentlichen Raum zugänglicher zu machen, startete das Kollektiv zusammen mit einer anderen Adbusting-Gruppe, "Rocco und seine Brüder", folgende Aktion: In Berlin hängten sie Warnwesten mit Schlüsseln an Werbekästen, dazu eine Anleitung zum Öffnen. In den Vitrinen brachten sie Plakate mit dem Spruch "Der Schlüssel zur Stadt" an. "Das war sozusagen ein Starterpaket. Du musst es dir nur nehmen, dich einmal überwinden und dann kannst du dir den öffentlichen Raum rück-aneignen."

Wenn bei einer Aktion ein Plakat entfernt wird, folgt die Strafanzeige wegen Diebstahls

Die Adbusting-Szene, die kaum eine ist, weil deren Protagonisten nur anonym arbeiten und sich darum nur schwer vernetzen können, ist immer wieder mit polizeilichen Ermittlungen konfrontiert, die von den Beteiligten als unverhältnismäßig wahrgenommen werden. Jüngstes Beispiel: An einer Bushaltestelle hängt jemand ein verändertes Werbeplakat der Bundeswehr auf. "Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?" stand auf dem Original, gemacht wird daraus: "Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!", dazu der Verweis auf eine Demonstration gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall.

Beim Öffnen des Werbekastens werden die beiden Adbuster allerdings von Zivilpolizisten erwischt. Weil sie das Plakat, das sich zuvor in der Vitrine befand, entfernten, folgt eine Strafanzeige wegen Diebstahls. Im Zuge der Ermittlungen gibt es bei den beiden Hausdurchsuchungen, sowie auch bei ihren jeweiligen Eltern. Handys werden abgenommen. "Ich war verwirrt und hatte Angst", sagt eine Aktivistin im Gespräch. "Ich hatte erst mal wirklich keine Idee, warum die da waren". Die Staatsanwaltschaft begründete die Maßnahmen mit dem Verdacht auf besonders schweren Diebstahl. Das Plakat war ja aus einem verschlossenen Werbekasten entwendet worden. Bei einer Durchsuchung wurden noch fünf weitere Werbeplakate gefunden. Das Verfahren wurde allerdings dann wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Mehrere Hausdurchsuchungen wegen eines Plakates. Sind solche Maßnahmen angemessen? "Nein", sagt Mohamad El-Ghazi, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier. "Wir sprechen hier, wenn überhaupt, über einfachen Diebstahl, beziehungsweise über Sachbeschädigung. Bei Adbusting geht es maximal um Bagatellkriminalität. Ich glaube, es ist relativ eindeutig, dass hier Hausdurchsuchungsmaßnahmen, also Eingriffe in die Wohnung, unverhältnismäßig sind." Bei einem Werbeplakat handle es sich um eine geringwertige Sache, man könne also nicht von Diebstahl in einem besonders schweren Fall sprechen, auch wenn das Plakat durch den Werbekasten besonders gesichert war.

Die Aktivistin legte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. "Ich akzeptiere es nicht, dass mein Verfahren erst so schlimm sein soll, dass man mein Telefon einziehen darf und Hausdurchsuchungen durchführen muss, dann aber das Verfahren aufgrund von Geringfügigkeit eingestellt wird. Die Polizei hatte schon vorher alle Beweise. Wenn es also von Anfang an geringfügig war, dann war die Hausdurchsuchung nicht rechtmäßig".

Dieser Fall ist nicht der einzige, bei dem die staatliche Verfolgung von Adbusting als nicht verhältnismäßig kritisiert wird. In einem Fall vom Juni 2019 wurden die entsprechenden Plakate auf DNA-Spuren untersucht. Die Adbuster machten "Bundeswehr macht den Meister" zu "Bundeswehr macht den Franco A.". Aus dem Slogan "Gas, Wasser, Schießen" wurde "Gas, Shoah, Schießen. Mörder*innen gesucht".

Dies Irae bekannte sich 2016 zu einer Plakat-Aktion in Erfurt. Sie stellten den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke als "nationalistischen Rattenfänger" dar. Die Polizei ermittelte daraufhin wegen Beleidigung. Sie machte Höckes Büro aufmerksam, damit dieser Strafanzeige stellen möge. Auch hier wurden an Plakaten DNA-Spuren entnommen. Von dem Plakatierer wurde gar ein Mundhöhlenabstrich genommen, um den Kreis der Verdächtigen einzuengen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren zwar frühzeitig ein, weil die Aussage auf dem Plakat von der Meinungsfreiheit gedeckt war, doch offensichtlich arbeitete die Polizei danach noch weiter an dem Fall: Durch einen DNA-Treffer wurde ein Beschuldigter ermittelt.

2018 beschäftigte sich sogar der Verfassungsschutzbericht im Kapitel "Gewaltbereiter Linksextremismus" mit Adbusting. Eine Anfrage der Linken im Bundestag ergab außerdem, dass sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ) in den Jahren 2018 und 2019 viermal und der militärische Abschirmdienst zehnmal mit Adbusting befassten.

Mohamad El-Ghazi geht davon aus, dass man in den meisten Fällen von Adbusting von straflosem Verhalten sprechen muss. "Diese Profi-Adbuster, die das originale Werbeplakat dort abhängen und einfach ein neues Werbeplakat in die Werbetafel einkleben, haben nur ein geringes Strafbarkeitsrisiko." Ein Diebstahl setze voraus, dass der Täter eine Zueignungsabsicht besitzt. Wenn man das Werbeplakat vor Ort liegen lässt, sei diese Absicht nicht gegeben. Bleibe das Werbeplakat vollkommen unversehrt, scheide auch Sachbeschädigung aus.

El-Ghazi ist bisher keine Verurteilung in einem Adbusting-Fall bekannt. Sein Bruder, der Anwalt Fadi El-Ghazi habe Adbuster schon mehrmals beraten. Auch die Akte zum geschilderten Fall habe dieser gelesen. Die Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung ist auch deswegen interessant, weil die Entscheidung des Gerichtes künftige Ermittlungen in vergleichbaren Fällen beeinflussen könnte. Sollte das Gericht der Beschwerde Recht geben und feststellen, dass die Hausdurchsuchung ungerechtfertigt war, weil kein Anfangsverdacht für eine Straftat bestand, würde man in Zukunft in vergleichbaren Fällen überhaupt keine Strafverfahren mehr führen können, so Mohamad El-Ghazi. Würde es entscheiden, der Anfangsverdacht war berechtigt, eine Hausdurchsuchung dennoch unverhältnismäßig, müssten Staatsanwaltschaften auch dies in Zukunft berücksichtigen.

Sollte die Aktivistin mit ihrer Beschwerde keinen Erfolg haben, kündigte El-Ghazi an, er werde zusammen mit Andreas Fischer-Lescano für sie Verfassungsbeschwerde erheben.

Fischer-Lescano ist Professor für Verfassungsrecht an der Universität Bremen. Auf Verfassungsblog.de schreibt er: "Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt".

Besonders, wenn die Kritik der Adbuster von links kommt und sich gegen staatliche Institutionen richtet, scheinen die Behörden Interesse an der Strafverfolgung zu haben. "Dass gerade in diesen Fällen ermittelt wird, wundert uns auch. Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass Kritik am Staat und seinen Institutionen unterbunden werden soll", sagt El-Ghazi. Für Dies Irae kein Grund aufzuhören: "Vielleicht tut es zu sehr weh. Vielleicht fühlen sich die Behörden zu sehr auf den Schlips getreten, aber genau das muss eine Gesellschaft aushalten, dass viele Sachen nicht okay sind, und die müssen auch artikuliert werden können.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2020
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