Achternbusch wird 80:Bayerns Antwort auf Monty Python

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Herbert Achternbusch, gesegnet mit einer unbändigen, ungebändigten Fantasie. (Foto: Barbara Gass)
  • Der Schriftsteller, Filmregisseur und Maler Herbert Achternbusch wird 80.
  • Er ist mit seinem subversiv-sarkastischen Humor der einzig legitime Nachfolger von Karl Valentin.
  • Achternbusch gilt vielen als Enfant terrible und nerviger Provokateur. In Wirklichkeit ist er ein großes, trauriges, unverbogenes Kind geblieben, das staunend in die Welt schaut und Liebe sucht.

Von Christine Dössel

Der junge Mann mit dem Zauselhaar, der da so freundlich lockend, mit einladender Geste, auf den Betrachter zugeht, schaut gut und auch ein bisschen windig aus: kecker Schnauzer, über der Jeans ein lässiges Jackett, die schmale Krawatte lose gebunden. Ein Typ wie der Münchner Klatschreporter Baby Schimmerlos in Helmut Dietls Kultserie "Kir Royal", nur in schwarzhaarig - und eben "echt", ein wirkliches Münchner Original: Es ist der Dichter, Maler und Filmemacher Herbert Achternbusch, der auf dieser Aufnahme von 1973 so direkt und frech in die Kamera blickt, als sage er Grüß Gott zu seiner eigenen Künstlerzukunft, die sich damals gerade groß und vielversprechend vor ihm auftat. Zwei Jahre zuvor war sein erster Roman "Die Alexanderschlacht" erschienen, der als bahnbrechend galt. Kleine Filme drehte er auch schon. Ein Jahr später, 1974, sollte sein erster Kinofilm herauskommen, eine heimatwehe Beziehungsgeschichte: "Das Andechser Gefühl".

Das Porträt des Künstlers als junger Mann stammt von der Fotografin Barbara Gass, die das bayerische Universalgenie Herbert Achternbusch von damals an (es war das erste Treffen) mehr als 30 Jahre lang mit der Kamera begleitet hat. 48 dieser Schwarzweiß-Fotografien sind in einer kleinen Ausstellung zu sehen, die das Münchner Künstlerhaus anlässlich Achternbuschs 80. Geburtstag an diesem Freitag in seinen Klubräumen zeigt. Bilder von Dreharbeiten zu dadaistisch-versponnenen (von Achternbusch-Hassern oft als dilettantisch kritisierten) Low-Budget-Filmen wie "Servus Bayern", "Der junge Mönch", "Der Komantsche", "Der Neger Erwin", "Punch Drunk", "Ab nach Tibet!". Dazu Porträtaufnahmen, die Achternbusch in all seiner Verwandlungslust, Vielgestaltigkeit und, ja, auch Sensibilität zeigen: hier verkleidet als Indianer, dort als Polizist, mal lesend, mal schreibend, mal Wände bemalend. Achternbusch in Ambach mit seinem Lebensfreund - und späteren Intimfeind - Josef Bierbichler, diesem imposanten Wuchtschauspieler. Achternbusch mit Annamirl, Bierbichlers Schwester, Heldin seines Herzens und vieler seiner Filme. Auf einem Foto sieht man sie in einem weißen Hemdchen ein fettes Nilpferd besteigen.

Ein Künstler durch und durch, ein Unangepasster, ewig Suchender, Spielender

Achternbusch, der Grübler, der Spinner, der Biertrinker, der Provokateur und Poet. Achternbusch, der Tausendsassa. Ein Charakterkopf, ein Dickschädel, ein Kindskopf auch. Gesegnet mit einer unbändigen, ungebändigten Fantasie. Ein Künstler durch und durch, ein Unangepasster, ewig Suchender, Spielender. Man muss ihn nur mal in seiner Wohnung im Herzen von München besuchen, direkt hinter dem Kaufhaus Beck, auf dessen Dach er sich schon als kapitalismusmüden, sich nach fernöstlicher Weisheit sehnenden Kaufhausbesitzer filmte ("Mixwix"). Eine bunte Arme-Poeten-Klause hat er sich da geschaffen, eine Künstlerhöhle mit naiv-expressiver Wand- und Bodenmalerei. Seit es ihm gesundheitlich nicht mehr so gut geht, lebt der einst begeisterte Innenstadt-Flaneur und Wirtshausgänger hier wie ein Eremit, betreut von seiner Tochter Judit, umgeben von den Kritzeleien und Bildern seiner (tief aus dem alten Griechenland und der platonischen Philosophie herrührenden) Privatmythologie. Antike Helden, Götter und Gespenster bevölkern seit je Achternbuschs Kosmos. "Von Andechs nach Athen" heißt ein Bildband von ihm. Der Titel benennt die zwei Pole der Achternbusch-Welt, die immer wieder kopf steht in der kindlichen Art, mit der dieser Querdenker sie beschreibt, ganz und gar unkorrumpiert vom Markt und von Meinungen. Es ist eine Mischung aus G'schertheit und Klugheit, Zartheit und Aggression, mit der Achternbusch die Dinge betrachtet. Sein niederbayerisch gestärkter Sprach- und Anarchowitz kann so deppert wie boshaft sein und schreckt weder vor irgendeinem Schmarren noch vor Schmerz zurück.

Achternbusch ist mit seinem subversiv-sarkastischen Humor der einzig legitime Nachfolger von Karl Valentin. Und auch der Einzige, den Deutschland ohne Gesichts- und Witzverlust in eine Arena mit Monty Python hätte schicken können. Sprüche aus seiner Hirnschmiede zieren Postkarten und Kaffeetassen: "Du hast keine Chance, aber nutze sie", "Nichts ist besser als gar nichts", "Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt". Ob in seinen Stücken, Filmen oder Büchern, immer gibt es diese Achternbusch-Sätze, die einen unverblümt vor den Kopf stoßen und kurz mal aus der Bahn werfen, weil sie einen mit so viel Irrwitz und Poesie flashen.

Drehorte
:"Ich bin dafür, dass Säufer Filme machen"

Seinen Film "Der Neger Erwin" hat Herbert Achternbusch in einem heute denkmalgeschützten Wirtshaus gedreht. Ein Werk voll böser Dialoge, wie man sie von diesem Stammtisch-Anarchisten kennt.

Von Jürgen Moises

"Die Zärtlichkeit muss so groß sein wie ein Elefant, sonst nehme ich sie gar nicht an", sagt Achternbusch in dem Film "Der Komantsche" (1979), in dem er als komatöser Indianer Koyotendreck im Niemandsland zwischen Traum und Wirklichkeit schwirrt. Dieses Zwischenreich ist generell sein Terrain. In seinen Filmen und Stücken spielt es keine Rolle, ob einer lebt oder schon tot ist, die Achternbusch-Kunst ist dazu da, beide Sphären zu verbinden. In seinem von der CSU skandalisierten Film "Das Gespenst" (1982) steigt Christus vom Kreuz, um mit der Schwester Oberin einen Wein zu trinken. In "I Know The Way To The Hofbrauhaus" (1991) entflieht eine ägyptische Mumie ihrem Sarkophag im Museum, um sich in München zu vergnügen. In dem Stück "Dulce est", uraufgeführt zu Achternbuschs 60. Geburtstag an den Münchner Kammerspielen, springt ein Paar aus Dingolfing in die Donau, um eine Reise in ein sehr privates, sehr skurriles Totenreich anzutreten. Dabei sagt der Mann den schönen, Achternbusch-grundgesetzlichen Satz: "Mögen andere ihre Fantasie an die Wirklichkeit hängen. Ich hänge die Wirklichkeit an meine Fantasie."

Fortgeträumt aus der Wirklichkeit hat sich der am 23. November 1938 in München Geborene schon als (uneheliches) Kind, das mit fünf Jahren zur Großmutter in den Bayerischen Wald kam und dort aufwuchs. Die Mutter, Sportlehrerin und eine wahre Schönheit, besuchte er in den Ferien in München, der späteren Hauptstadt seiner Kunst. Viel von "Düsternis" ist die Rede, liest man Achternbuschs Ausführungen über diese Zeit. Unter ein Porträt von seiner blonden Mutter-Diva, die sich erschossen hat, schrieb er einmal: "Das ist das Foto, das ich immer meine, wenn ich weine, wenn meiner Mutter Schmerzen in mir widerkrachen." Achternbusch gilt ja vielen als Enfant terrible und nerviger Provokateur. In Wirklichkeit ist er ein großes, trauriges Kind geblieben, das staunend in die Welt guckt und nach Liebe sucht.

Als seine eigentliche Profession sah er immer die Malerei an, ein Metier, das er an den Akademien Nürnberg und München studierte, zwischendurch aber lange vernachlässigte. Dafür hat er mit einem irrsinnigen Output geschrieben und gedreht. 30 Filme, 20 Theaterstücke und 40 Buchpublikationen umfasst sein Werk, in dem er sich an seiner Heimat Bayern und der damals noch monarchisch regierenden CSU abgearbeitet hat wie kein anderer. Und sich damit tatsächlich so etwas wie einen Staatsfeindstatus erarbeitete.

Als Theaterautor kommt Achternbusch aus der Tradition des kritischen Volksstücks à la Marieluise Fleißer, von der er lernte, dass "bayerische Sätze gleich viel gefährlicher klingen, wenn man sie ins Hochdeutsche übersetzt". In "Susn" beschreibt er die Trostlosigkeit eines Frauenlebens in fünf Stationen. In "Gust" referiert ein alter Lohndrescher sein Leben, während seine Frau elendig stirbt. Sein Debüt war "Ella", die Leidensgeschichte einer Frau, die immer eine Gefangene war, 1978 von ihm selber uraufgeführt am Schauspiel Stuttgart. Claus Peymann, damals Intendant, sagt, er habe Achternbusch jede Woche eine Kiste Weißbier aus München liefern lassen, das sei Vertragsbedingung gewesen. Eine richtige und wichtige Investition. Denn ohne den Rausch und den Einfluss der Wirtshauskultur ist Achternbuschs wild schäumendes, sich von Bayern in die Welt hinaus träumendes Werk gar nicht denkbar.

Ihm zugrunde lag immer eine Sehnsucht nach Leberkäs und Weißbier und das Wissen, dass Heimat kein Ort, sondern ein Zustand ist. In diesem Sinne: Prost!

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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