AC/DC-Tourauftakt in Nürnberg:DÄ DÄ DÄ!
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Staaten mögen zerfallen, Wirtschaftssysteme zusammenbrechen - doch AC/DC klingen wie immer. Wäre ihre Musik Politik, sie würde knapp am Populismus entlangschrammen. Aber wie lange geht das noch gut?
Von Jakob Biazza, Nürnberg
Auftakt der AC/DC-Deutschlandtour auf dem Nürnberger Zeppelinfeld. Die größte Rockband aller Zeiten ist noch einmal unterwegs. Eine Konzertkritik in fünf Punkten.
Warum tun wir uns das an?
Um die Gegenwart zu verstehen, natürlich. AC/DC sind schließlich die unbestechlichste Messinstanz für Zeitgeist und Zustand der Welt. Wenn auch, anders als Kunst sonst, eher nicht aus sich selbst heraus. Mehr ex negativo: Wann immer die Australier ein Album herausbringen oder auf Tour gehen, lässt sich erkennen, wie sehr sich die Zeiten schon wieder geändert haben.
Neben dem Zustand der Welt interessiert der Zustand der Band. Denn es gab ja Brüche innerhalb der großen Konstante. Malcolm, der eine Young, der für den (Studio-) Sound der Band wahrscheinlich sogar wichtigere, fehlt. Demenz. Mit 62 Jahren sitzt er in einem Heim in Sydney. Da, wo er sonst auf der Bühne steht, vom Publikum aus gesehen links, nahe beim Schlagzeug, wo man mit dem Hintergrund verschmilzt und keine Show machen muss, sondern einfach nur den Motor am Schnurren halten kann: Da steht jetzt sein Neffe Stevie Young. Auf dieser Tour ist Lead-Gitarrist Angus Young damit das letzte verbleibende Gründungsmitglied. Ob das funktionieren kann?
Noch einen Moment Geduld. Vorher ist vielleicht noch interessant, ...
... was wir vor dem Konzert erwartet haben
Das haben wir zum aktuellen Album "Rock Or Bust" geschrieben:
Der Rest: reiner, reduzierter AC/DC-Rock. Keine Überraschungen. Und das ist unbedingt als Pluspunkt zu werten. AC/DC ist tatsächlich die einzige Band der Welt, bei der stumpfe Wiederholung als künstlerischer Gewinn gilt. (...) AC/DC rocken. Sie haben immer gerockt. Sie werden immer rocken. Sollten die Musiker in zehn Jahren noch in der Lage sein, ein letztes Album aufzunehmen, dann wäre der Traum: Es heißt "Rock". Darauf befinden sich zehn Songs. Und jeder von ihnen heißt ebenfalls "Rock".
Und was gab es dann wirklich?
Na ja, genau das natürlich: reinen, reduzierten AC/DC-Rock. Was ja nicht weniger ist als der Idealtypus von Rock an sich. Die Essenz. Die Songs sind und bleiben die absolute Verdichtung, und ja, schon auch Verkürzung auf Brachial-Schlagworte: Riff, Pause. Gesanglinie, Pause. Dä Dä Dä, "Rock or bust". Dä Dä Dä, "For those about to rock". Dä Dä Dä, "Black", Dä Dä Dä, "Hell". Dazu genau zwei verschiedene Beats: einer im Vier-Viertel-, einer im Sechs-Achtel-Takt. Wäre diese Musik Politik, sie würde immer knapp am Populismus entlangschrammen.
Das ist so weit bekannt. Was man bei alldem aber so leicht übersieht, ist die schon manische Disziplin, mit der diese Reduktion live aufrechterhalten wird. Konstanz ist ja nichts, das einfach so da ist. Besonders angesichts dieser noch auf hundert Meter spürbaren körperlichen Belastung, die die Inszenierung von Exzess für die Band inzwischen bedeutet. Stumpfe Wiederholung als künstlerisches Prinzip, zumal ja ohne Computer, das ist härtestes, absolute Kontrolle abverlangendes Handwerk. Nicht mehr. Aber Himmel, auch nicht einen Fingerbreit weniger.
Und was bedeutet das jetzt für die Welt?
Die Dä Dä Däs klingen noch wie immer. Und sie fühlen sich sogar fast an wie immer. Der Gitarristenwechsel funktioniert. In einem Wort: Konstanz. Staaten mögen zerfallen, Wirtschaftssysteme zusammenbrechen (tatsächlich halten sich hartnäckig Theorien über die Korrelation von Erfolgen von AC/DC und Rezessionen), die Digitalisierung mag die Welt revolutionieren und umwürfeln - solange der Familienbetrieb Young & Young auf zwei Gitarren mit drei Grundakkorden eines dieser archaischen "Dä Dä Dä"-Riffs rausdonnert, ist doch alles gut. Alles zu ertragen.
Was ja schon fast ein Treppenwitz der Geschichte ist: Die metaebenenloseste Band des Universums ist tatsächlich zur fast metaphysischen Idee eines Musikstils geworden. Und die Akteure auf der Bühne damit beinahe zu Aufführungspersonal.
Und hier droht der Welt nun doch Gefahr. Denn auch alle Disziplin kann nicht ganz wegwischen, dass das Personal porös wird. Es ist schon eine kleine Schrecksekunde, als die Gesichter speziell von Angus Young und Sänger Brian Johnson (die man der Bedeutung für die Show wegen wohl nicht austauschen könnte) auf den Videoleinwänden in HD ausgeleuchtet sind. Nicht, weil sie so alt aussehen wie sie eben sind. Es ist zehrende, ausmergelnde Kraftanstrengung, die da inzwischen aus verquollenen Augen herausblickt. Kantige Bewegungen. Erschöpfte Mimik. Jedes Bending an der Gitarre, jedes hervorgepresste Gekreisch scheint inzwischen wie Raubbau an den Körpern. Das funktioniert alles noch. Wir reden hier von alter, grober Mechanik. Otto-Motor, Dampfmaschine, so was. Die schmiert sich nach den ersten Songs und läuft dann immer runder, was tatsächlich noch eher beeindruckt als Mitleid erregt.
Der Haken
In Summe wirkt die Inszenierung über den gesamten Abend aber doch um mehr als nur Nuancen abgespeckt: Kein Song läuft länger als unbedingt nötig. Extra-Pirouetten und Teile vom früheren Show-Firlefanz sind gestrichen. Riff, Pause. Riff, Gesang. Riff, Gitarrensolo. Riff, Schluss. Vielleicht ist das die finale Reduktion? Man kann das diesmal wohl noch so durchgehen lassen, ja. Dä Dä Dä, alles gut. Dä Dä Dä, nur wie lange noch?