Abschied von Joachim Kaiser:"Wir werden seinesgleichen nicht leicht wiedersehen"

Abschied von Joachim Kaiser: "Der letzte große Universalist": Joachim Kaiser 2008 bei den Münchner Opernfestspielen

"Der letzte große Universalist": Joachim Kaiser 2008 bei den Münchner Opernfestspielen

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Für Willibald Sauerländer war jede Unterhaltung mit Joachim Kaiser eine "glanzvolle Performance, Anne-Sophie Mutter wird "sein respektvolles Mahnen" vermissen. Grüße an den verstorbenen SZ-Kritiker von Zeitgenossen und Weggefährten.

Martin Walser

Ich kann immer nur staunen, wenn so einer stirbt. So einer wie Joachim Kaiser. Ich begreife nicht, dass diese ungeheure Lebendigkeit namens Joachim Kaiser einfach ausgelöscht wird. Wie viel Schönheitskraft und Erlebniseinmaligkeit geht mit so einem Sterben unwiederbringlich dahin! Wir werden ärmer, weil Joachim Kaiser jetzt fehlt. Ich weigere mich, dieses Verschwinden anzuerkennen. Ich kann ihn, so oft ich will, auftreten lassen in meiner Erinnerung. Meine Bewunderung für ihn hält ihn mir lebendig. Ich kann ihn jederzeit herbeschwören. Ich wehre mich, wehre mich gegen die Brutalität dieses Verschwindens durch Herbeschwörung. In mir ist Joachim Kaiser unsterblich. Keiner hat mit den Sätzen, die er sagte und schrieb, so erlebbar gemacht, wie vorsichtig er war. Er ertastete die Genauigkeit und hat mich dadurch immer mitgenommen in Einsichten und Stimmungen, die mir ohne ihn nie erlebbar gewesen wären. Er hat nie Ergebnisse produziert, sondern immer den Weg dahin. Er hat uns erleben lassen können, was er zu erleben imstande war.

Dass der sogenannte Tod keine Rücksicht nimmt darauf, wen er jeweils fortreißt, muss einen mit grotesken Vorbehalten versehen gegen alles, was er uns antut. Diese erleuchtete und dadurch leuchtende Sanftheit namens Joachim Kaiser ist nicht umzubringen für die, die ihn erlebt haben. Da hört sich das Nachrufen auf. Übrig bleibt nur der Nachschrei.

Lieber Joachim, du lebst, solang ich lebe.

Dein Gefährte

Der Autor, Jahrgang 1927, ist Schriftsteller

Daniel Barenboim

Heute ist Joachim Kaiser gestorben, eine der größten Persönlichkeiten des Kultur- und Musiklebens der letzten Jahrzehnte. Er war kein Musikkritiker, sondern vielmehr ein Musiker, der Kritik geübt hat.

Der Autor, Jahrgang 1942, ist Dirigent und Pianist

Jürgen Habermas

In der Kürze der gebotenen Zeit muss es bei einem Seufzer bleiben - der Trauer um einen alten Freund, der über die Jahrzehnte ein Freund geblieben ist, obwohl unser Bild von ihm als der faszinierenden, ja verheißungsvollen intellektuellen Gestalt aus den späten 50er- und frühen 60er-Jahren nie gealtert ist. Es ist von dem expandierenden Ruhm des überragenden Musik- und Theaterkritikers nicht berührt worden. Für meine Frau und mich ist Jochen Kaiser, der Star der Süddeutschen Zeitung und der große, zur Institution des Münchner Kulturlebens gewordene Autor, immer die jugendliche, schimmernd-faszinierende Gestalt aus der frühen Frankfurter Zeit geblieben. Damals ist er uns in der ganzen Fülle seiner betörenden Potenzen als ein noch uneingelöstes Versprechen begegnet. In dem Charme seiner leicht hingeworfenen Reaktionen, seiner überraschenden Beobachtungen, entwaffnenden Argumente, glanzvollen Pointen und Anspielungen war jede Spur von Anstrengung, von Mühen des Erwerbs einer immensen Bildung getilgt.

Trotz der Jugend hatte seine Begabung etwas Altersloses. Jochen konnte mit seinen spitzbübisch lächelnden Grübchen jeden gewinnen - und jeden bestechen. Und die Gleichaltrigen durch seine Präsenz, seinen Einfallsreichtum beunruhigen. Er konnte auch irritieren, weil er mit dem Genialischen spielte und manchmal doch etwas von einem Genie hatte. Es war nichts Unfertiges an ihm, aber noch war nichts entschieden. Noch konnten wir alles von ihm erwarten.

Er genoss Guggenheimers Freundschaft und war der Brillanteste unter denen, die in den Frankfurter Heften schrieben. Ich erinnere mich an die glänzende Kritik des "Homo Faber". Damals schrieb er noch über die, mit denen er sich später befreundete. Ein Starnberger Abend mit Jochen und Max Frisch ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. In den 80er-Jahren trank man noch. Jedenfalls hatte Max Frisch sein Vortragsmanuskript für den nächsten Abend bei uns liegen lassen - aber es war Jochen, der sich in den frühen Morgenstunden von München auf den Rückweg gemacht und sich unbemerkt in unser Haus eingeschlichen hatte, um mit dem wiedergefundenen Manuskript den offenbar nervös gewordenen Freund zu beruhigen.

Der Autor, Jahrgang 1929, ist Philosoph

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