Abriss-Wahn im Osten:Ende der Kulturpaläste

Ostdeutsche Städte geben wichtige Denkmale auf - mangels Geld können sie nicht saniert werden. Nach dem Verkauf schleifen die neuen Eigentümer die bedeutenden Geschichtszeugnisse.

Ira Mazzoni

Wer reißt schon ein klassizistisches Kurhaus ab und macht auch noch die ornamental umblühten Brunnenparterre nebst Parkanlagen platt, um auf dem geräumten Areal Einfamilienhäuschen zu bauen?

KONVERSION IN FÜRSTENBERG

Die Röblinsee-Siedlung bei Fürstenberg hat es geschafft und ist heute eine Touristenattraktion. Das Foto stammt von 1999. Links im Bild steht in kyrillischen Buchstaben "Gastronom".

(Foto: DPA)

In Rabenstein bei Chemnitz ist das beinahe schon Realität. Rabenstein ist allerdings kein mondäner Kurort und das vermeintliche Kurhaus war "Kulturpalast der Bergarbeiter", errichtet von der in Moskau gegründete Wismut AG, die im nahen Erzgebirge waffenfähiges Uran schürfte. Als der stalinistische Prunkbau mit seinem 950 Zuschauer fassenden Theater, mit Tanzsaal, Bibliothek, Billardzimmer, Clubräumen, Café, Restaurant und Kinderspielraum 1951 eröffnet wurde, war es der erste Kulturpalast der DDR. Dem Sechs-Säulen-Portikus gegenüber lag der nicht minder beeindruckende "Kavaliersflügel", der ein "Haus für Körperkultur" mit großzügigem Freibad kostümierte. Das Zentrum des verbindenden Blumenparterres schmückte ein riesiger Springbrunnen.

Bereits 1967 trennte sich die Wismut AG von der teuren Anlage. Die als Karl-Marx-Stadt neu aufgebaute Stadt Chemnitz übernahm zwar Schwimmbad und Tierpark, überließ aber den aus der Zeit gefallenen Palast dem DDR-Fernsehen. Bis zur Jahrtausendwende nutzte der Mitteldeutsche Rundfunk die Liegenschaft. Seitdem gab es nur Pleiten, Pech und Pannen mit Investoren und ein paar "Fiesta-Nächte".

Der Abrissantrag des neuen Investors wurde schon vor einem Jahr gestellt, die Stadt lehnte den Antrag ab, der Investor widersprach, das Verfahren wurde daraufhin für ein Jahr ausgesetzt, um neue Nutzungskonzepte zu entwickeln. Ideen gibt es - Seniorenresidenz, Gesundheitspark, Ateliers, Lofts oder eine Art Designpark - nur keine treibende Kraft, die die Dinge voranbringt, zumal Um- und Neubau der Chemnitzer Innenstadt Geld und Kräfte binden. So läuft die Galgenfrist für den Kulturpalast dieser Tage ab. Der Eigentümer will das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht weiter betreiben.

Wer will in Krisen- und Schuldenzeiten Anklage erheben? Wer den Unsinn geißeln, das Denkmal-Ensemble ausgerechnet an einen Häuslebauer zu vergeben, der Ruhe im Grünen verkaufen will, während sich in Chemnitz der Verein "Stadthalten" darum bemüht die Gründerzeit-Quartiere zu beleben? Wer will dieses eine Abrissbegehren wegen Unzumutbarkeit der Erhaltung eines übergroßen, abgenutzten Pompbaus geißeln, während sich Land auf Land ab Abrissbegehren aus wirtschaftlichen Erwägungen mehren.

Auch "schwierige" Denkmale wurden schon gerettet

Betroffen sind Denkmäler aller Epochen und aller Größenordnungen. Vom mittelalterlichen "Lieben Augustin" in Lindau, der einer Hotelerweiterung im Wege steht, bis zu den alten Messehallen Leipzigs, die einer Möbelhaus-Kiste weichen sollen. Ganz zu schweigen von den städtebaulichen Zeugnissen der West- und Ostmoderne, deren Denkmalqualitäten häufig noch nicht richtig erfasst, geschweige denn akzeptiert sind. Nahezu selbstverständlich werden infrastrukturellen Großprojekten bedeutende Denkmäler geopfert. Resignation angesichts von Leerstand und Verfall, vollmundige Versprechen und Bequemlichkeit führen zu Situationen, in denen der Abriss ohne Alternativen scheint.

Der Wegzug aus den Innenstädten ist umkehrbar

Aber es gibt gute Gründe zu widersprechen. So wie das Kulturhaus in Rabenstein, so stand auch einmal die "Akropolis" von Rüdersdorf/Brandenburg vor dem Aus. Inzwischen ist nicht nur das Haus, sondern die gesamte Ausstattung dank eines Fördervereins detailgetreu restauriert. Kongressbetrieb, Tagungen und Vereinsleben, Theater, Konzerte, Gemeindebibliothek und Stadtchronist finden hier ausreichend Raum. Rüdersdorf mit seinen Kalköfen ist längst Touristenmagnet und das Kulturhaus gehört zu den Sehenswürdigkeiten.

Ganz ohne öffentliche Fördermittel wurde jüngst die riesige HO-Gaststätte "Der Aktivist" in Eisenhüttenstadt gerettet. Mit architektonischem Feingefühl hat die Eisenhütter Wohnungsbaugesellschaft die 1953 eröffnete, programmatisch neoklassizistisch aufgemotzte Großgaststätte im Zentrum der Stadt zum Firmensitz nebst verkleinerter Gastronomie umgebaut. Dafür erhält die EWG in diesem Herbst den Denkmalpreis des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in Form der Silbernen Halbkugel. Mit ausgezeichnet wird übrigens auch der Chemnitzer Verein "HausHalten" für sein Engagement bei der Vermittlung leerstehender Denkmal-Stadthäuser.

Die Beispiele aus Rüdersdorf, Eisenhüttenstadt und der Chemnitzer Innenstadt zeigen, dass selbst "schwierige" Denkmale eine Chance haben, wenn die Politik nicht auf einen Jetzt-oder-Nie-Verkauf setzt, sondern Geduld bewahrt. Eine Eigenheimsiedlung auf grüner Wiese um den Preis des ersten DDR-Kulturpalastes wird die Chemnitzer Probleme nur verschärfen. 50 Millionen Euro hat die "Stadt der Moderne" in den Um-und Neubau ihres Zentrums investiert, um den Wegzug zu stoppen. Da spricht doch eigentlich alles gegen die Häuschen im Grünen. Das dürfte auch der Investor spüren, der seit neuestem auch eine Rückkaufofferte an die Stadt richtet. Vielleicht ergibt sich doch noch eine Alternative zum Abriss des "Kurhauses".

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