Nachruf auf Abraham B. Yehoshua:Liebhaber aller Widersprüche

Nachruf auf Abraham B. Yehoshua: Abraham B. Yehoshua, 1936 in Jerusalem geboren, starb am 14. Juni 2022 in einem Krankenhaus in Tel Aviv.

Abraham B. Yehoshua, 1936 in Jerusalem geboren, starb am 14. Juni 2022 in einem Krankenhaus in Tel Aviv.

(Foto: Luca Bruno/AP)

Er scheute den Konflikt nicht, mit keiner israelischen Regierung und auch nicht mit der jüdischen Diaspora: Der israelische Schriftsteller Abraham B. Yehoshua ist gestorben.

Von Peter Münch

Kämpferisch war er ein Leben lang, kämpferisch blieb er bis zu Schluss. In der Literatur, in der Politik und im Leben hielt Abraham B. Yehoshua nichts von Feigheit und von faulen Kompromissen, und in Israel wurde er dafür hoch geschätzt - als Künstler und politisch-moralische Instanz. Nun ist er im Alter von 85 Jahren gestorben, und das Land trauert um einen der großen Schriftsteller der Gegenwart.

Israels Präsident Isaac Herzog pries "seine Werke, die aus dem Abbild unserer Heimat und aus den Schätzen unseres Volkes schöpften". Auf diese Heimat und sein Volk schaute Yehoshua mit einem scharfen und dennoch oft schalkhaften Blick. In seinen Figuren spiegeln sich die Widersprüche des israelischen Alltags und ein Bündel an Konflikten wider - jene innerhalb von Familien, jene zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden, und natürlich auch der ewige Nahostkonflikt zwischen Juden und Arabern.

Zusammen mit Amos Oz, der ihm über Jahrzehnte ein enger Freund war, und David Grossmann bildete Yehoshua ein literarisches Trio, das weit über Israel hinausstrahlte. Die beiden anderen mögen im Ausland bekannter sein. In Israel selbst aber gilt ihnen Yehoshua als ebenbürtig.

Die "New York Times" nannte ihn einmal "den israelischen Faulkner"

Anders als Oz und Grossman gehörte er jedoch nicht zur aschkenasischen, europäisch geprägten alten israelischen Elite. Seine Wurzeln liegen im sephardischen, orientalischen Judentum, als Jerusalemer in der fünften Generation. 1936 wurde er dort geboren, zwölf Jahre vor der Staatsgründung Israels. Sein Vater war ein Gelehrter, der fließend Arabisch sprach und ein Dutzend Bücher auf Arabisch veröffentlichte.

In Jerusalem studierte Yehoshua nach Schule und Militärdienst hebräische Literatur. Als Vertreter einer neuen Schriftstellergeneration, die auf moderne Erzähltechniken und realitätsnahe Stoffe setzte, veröffentlichte er die ersten Erzählungen in den Sechzigerjahren. 1977 kam der Durchbruch mit dem bald auch in Deutschland veröffentlichten ersten großen Roman "Der Liebhaber".

Bis heute sind seine Werke in rund 30 Sprachen übersetzt worden. In Israel wie im Ausland ist er mit zahlreichen Preisen bedacht und immer wieder auch als Nobelpreis-Kandidat gehandelt worden. Die New York Times nannte ihn einmal "den israelischen Faulkner". Er selbst nannte William Faulkner als Vorbild und "größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts".

Er war eine Erscheinung, ein Mann von großer Tatkraft

Politisch engagierte sich Yehoshua über Jahrzehnte für einen Ausgleich mit den Palästinensern. Früh schon in den Siebzigerjahren forderte er von der israelischen Regierung den Dialog mit der palästinensischen PLO, später auch mit der Hamas. Von der Arbeitspartei wechselte er hinüber zu Meretz, wo das schrumpfende israelische Friedenslager noch eine Heimstatt fand. Zudem unterstützte er die Menschenrechtsorganisation B'tselem.

Er kämpfte gegen Besatzung und Siedlungsbau und setzte sich vehement für einen eigenen Palästinenser-Staat ein - bis er schließlich vor wenigen Jahren eine aufsehenerregende Wende vollzog. Angesichts der fortgeschrittenen israelischen Landnahme erklärte er die Zwei-Staaten-Lösung für "völlig illusionär" und setzte sich fortan für einen gemeinsamen Staat oder eine Föderation mit gleichen Rechten für Israelis und Palästinenser ein.

Bei aller Kritik an der aktuellen Politik und allem Gerangel mit mehr als nur einer israelischen Regierung ließ es Yehoshua selbstverständlich nie an Patriotismus fehlen - und das brachte ihn bisweilen auch in Konflikt mit der jüdischen Diaspora. So löste er 2006 einen Sturm der Entrüstung aus, als er erklärte, dass die jüdische Identität im Ausland weniger stark ausgeprägt sein könne als in Israel. Wer nicht in Israel lebe, könne nur "teilweise Jude" sein. Auch später kam er immer wieder auf das Thema zurück, in Essays und auch literarisch.

Eine mitreißende Dynamik hat Abraham B. Yehoshua in allem ausgezeichnet, dem er sich widmete. Er war eine Erscheinung mit grauem, wildwüchsigem Haar, ein Mann von großer Vitalität und Tatkraft. Bis zuletzt hat er geschrieben, in Deutschland erschien 2020 noch der Roman "Tunnel". Darin setzte er auch seiner Frau Ika, der lebenslangen großen Liebe, ein Denkmal. Sie starb 2016 an Krebs. Die gleiche Krankheit hat auch ihn nun aus dem Schreiben und Leben gerissen.

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