Man unterstellt Stars ja gerne, sie hätten in jedweder Situation und Umgebung raumgreifende Präsenz. In Wirklichkeit stimmt das selten. Als der Schauspieler Bradley Cooper bei den Filmfestspielen in Venedig im vergangenen Monat sein Regiedebüt "A Star Is Born" vorstellte, mit sich selbst als traurigem, alterndem Rockstar und Lady Gaga als Newcomerin, in die er sich verliebt und die ihm bald das Rampenlicht verschattet, luden die beiden zum Interview in den Biennale-Palast am Canal Grande.
Da saßen sie in einem kleinen Nebenraum auf dem Sofa und sahen gar nicht besonders glamourös aus. Sie wirkten eher wie zwei Menschen, die gemeinsam einen Nachmittag im Café verbringen und einen Dritten freundlich dazu bitten, obwohl sie sich einander auch so genug wären. Sie seien im Verlauf der Arbeit, sagt Lady Gaga, "richtig gute Freunde geworden".
Die Chemie, welche die beiden im Film entwickeln, hält auch jenseits der Leinwand stand. Sie spielen ein Liebespaar, eines, von dem Hollywood nicht lassen kann. "A Star Is Born" ist ein Remake, Cooper spielt Jackson Maine, der in einer versoffenen Nacht nach einem Konzert eine junge Sängerin hört, Ally, die einzige Frau, die in einer Transenbar ans Mikro darf. Erst ist er nur beeindruckt, aber gegen Morgen hat er sich so gründlich in sie verliebt, dass er eine Weile das Trinken vergisst. Bis sie dann den Duetten auf seinen Konzerten entwachsen ist und zu einem ganz großen Popstar wird, mit einer Musik, die ihm nicht einmal gefällt. Das ist dann ein wenig eigenartig im Film, dass es einem so vorkommt, als sei doch der gute alte Rock, den Jackson Maine macht, das größere Gut als die Lady-Gaga-artigen Popsongs, mit denen Ally ihren Durchbruch feiert. Für Cooper ist es aber vor allem wichtig, dass Jacksons Musik einfach nicht die ist, die Ally interessiert.
"Die schönste Stimme nützt einem nichts, wenn man kein Geschichtenerzähler ist"
Es ist nicht ganz einfach, so viel Standhaftigkeit in die Filmfigur hineinzulesen, die er da für Lady Gaga geschaffen hat.
Bradley Cooper sieht in Fleisch und Blut so aus wie Bradley Cooper. Lady Gaga sieht aber nicht aus wie Lady Gaga. Sie ist heute in Zivil, ganz unauffällig, und dazu passt es, dass sie erst einmal aufsteht, ungefragt Küsschen gibt und haucht: "Nennen Sie mich Stefani!" Es wird dann übrigens klar, was es mit den mörderischen Plateau-Absätzen auf sich hatte, auf denen sie berühmt wurde: Stefani Germanotta ist sehr, sehr klein. Und sie benimmt sich ein wenig wie Ally in "A Star Is Born". Sie ist sehr darauf bedacht, ihren Regisseur und Co-Star Cooper nicht außen vor zu lassen, und bei fast jeder Antwort, die den Film betrifft, dreht sie den Kopf erst einmal zu ihm.
Sie hätte also auch Schauspielerin werden können, das muss man ihr zugestehen, wenn man den Film gesehen hat. Es gibt sogar schon erste Oscar-Gerüchte um ihren Auftritt als Ally. Aber hätte Bradley Cooper, der im Film als Jackson Maine selber singt, es auch als Rockstar geschafft? "Bestimmt!", behauptet Lady Gaga. "Er ist ja ein Geschichtenerzähler. Die schönste Stimme nützt einem nichts, wenn man kein Geschichtenerzähler ist."
Und dann fügt sie hinzu: "Er hat natürlich auch eine sehr schöne Stimme!" Man könnte fast meinen, sie habe die Rolle der Ally noch nicht ganz abgelegt, denn die Frau auf dem Sofa benimmt sich so wie die Frau im Film: furchtbar lieb und Expertin für unterstützende Kommunikation unter besonderer Rücksichtnahme auf männliche Mitmenschen. Ob das nun Stefani Germanotta ist? Oder nur eine Rolle? Denn Lady Gaga war und ist sicherlich auch genau das - eine Rolle. Wie ist das also, verschwindet Lady Gaga langsam hinter Stefani?
Bei den meisten Stars hat man nach einer Weile den Eindruck, dass sie immer exzentrischer werden, um im Gespräch zu bleiben. Lady Gaga, immerhin seit zehn Jahren ein Popstar, setzt eher auf leise Töne in letzter Zeit. Vorbei ist die Zeit der Latexanzüge und Fleischkostüme. Ist sie also wie Ally im Film, die kellnert, wenn sie nicht singt? "Ich war als Teenager sehr unsicher. Aber als ich mich entschieden hatte, Sängerin zu werden, wollte ich richtig durchstarten." Da hat die Kostümierung geholfen. Sie hätte, sagt sie, wie Ally sein können am Anfang des Films: "Sie glaubt nicht an ihre Musik und sie glaubt nicht an ihr Gesicht; nur Jacksons Liebe bringt sie erst richtig ins Leben."
Coopers Film ist die vierte Fassung derselben Geschichte, und eigentlich ist es ja ganz schön, dass Hollywood einen Stoff hat, dem alle paar Jahrzehnte ein Update widerfährt. So wie es ungezählte Aschenputtel-Fassungen gibt, die immer moderner werden. Für den ersten "A Star Is Born"-Film von 1934 hatte die Schriftstellerin Dorothy Parker das Drehbuch mitgeschrieben, die auch ansonsten das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu ihrem Thema machte. Hier ist dann der zentrale Punkt, dass Männer schwindenden Erfolg umso schlechter verkraften, wenn die Frau an ihrer Seite auf dem Weg nach oben ist; in allen Fällen ist diese Frau allerdings auch erheblich jünger. Die berühmteste Version ist die von 1954, in der Judy Garland den neuen Stern am Hollywood-Himmel spielt, während James Mason neben ihr langsam verblasst; in der von 1976, auch schon ins Musikgeschäft verlegt, spielt Barbra Streisand Kris Kristofferson an die Wand.
Man kann an diesen Verfilmungen gut nachvollziehen, wie sich die Zeiten geändert haben, aber dass sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in manchen Punkten nur sehr langsam wandelt, wenn es um die Verteilung des Erfolgs geht. Gemessen an Barbra Streisands Auftritt ist der von Lady Gaga im Film allerdings sehr verhalten und nuanciert, Streisand hat unsicher und schüchtern nicht im Repertoire. Aber letztlich weiß auch Ally dann doch ganz genau, wo sie musikalisch hinwill.
Hollywood ist noch nicht so weit, die Mann-Frau-Konstellation einmal umzudrehen
War es ein Thema bei der Vorbereitung des Films, ob Ally zeitgemäß ist? Es ging ihm, sagt Cooper ausweichend, "vor allem um Authentizität". Am neuen Drehbuch hat Cooper dann auch selbst mitgeschrieben: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich bei etwas Regie führen könnte, ohne es selbst geschrieben zu haben", sagt er. "Ich hatte vorher nie den Mut, selbst Regie zu führen, obwohl ich das schon als Kind wollte. Ich blieb als Schauspieler immer am Set, auch wenn ich gar nicht dran war. Es sollte eine Liebesgeschichte sein, weil jeder mal an Liebeskummer gelitten hat, das ist als Thema ziemlich universal, oder?" Eine Romanze, die aus professionellem Respekt entsteht, ist zumindest im Kino eher eine Rarität; so aber begegnen sich Jackson und Ally. "Das ist wichtig für den Ausgangspunkt des Films: Was passiert, wenn zwei Menschen sich aus tiefster Seele ineinander verlieben, mit größtem Respekt füreinander? Sie haben trotzdem Probleme", sagt Cooper.
Auch da gleichen die beiden auf dem Sofa dem Filmpaar. Cooper hat auf Lady Gaga gesetzt, die außer ein paar kleineren Auftritten keine Schauspielerfahrung hat. Kein Vorsprechen. "Ich sah ihr in die Augen und konnte bis in ihre Seele sehen. Das war's", sagt Cooper. "Ich liebe Menschen, und Gott sei Dank bin ich im Filmgeschäft gelandet, denn Kino lebt von Zusammenarbeit. Gesichter, Augen, Energie - das ist alles; und die Kamera fängt das ein."
Sie hat ihre Sache im Film hervorragend gemacht. Er kann nicht gewusst haben, dass sie das kann, aber er hat auf jeden Fall an sie geglaubt. So richtig zeitgemäß ist das Geschlechterverhältnis in Coopers Fassung dann aber doch nicht. Dem steht vor allem die Selbstverständlichkeit im Weg, mit der Jackson Maine im Selbstmitleid badet, weil sich Ally nur über seine Gefühle hinwegsetzt. Er kann nicht die zweite Geige spielen, das Abgetakeltwerden ist ganz großes Melodram, und so versinkt der letzte Akt des Films im Schmalz.
Es wäre vielleicht ganz interessant gewesen, diesen Film einmal ganz andersherum aufzuziehen: mit einem Mann in der Rolle des Newcomers, und einer Frau, die älter ist als er und sich schwer damit tut zurückzustecken. Es ist schon klar, warum auch Nummer vier noch nicht so weit ist, eine solche Modernisierung der Geschichte auszuhalten. Zu groß wäre die Angst, eine solche Figur würde beim Publikum nicht gut ankommen; man würde einer Frau den Egoismus, der Mr. Maine seit 1934 auszeichnet, nicht durchgehen lassen. Im richtigen Leben nur ungern, im Kino aber, wo das Publikum die Figuren lieben muss, auf keinen Fall. Ein bisschen ist es auch so mit Stefani Germanotta, die ganz damenhaft und zart auf dem Sofa sitzt und lächelt wie tausend Sonnen. Sie wirkt liebenswerter als die Platin-Blondine in schwarzem Latex von vor zehn Jahren, und wärmer; und selbst, wenn man ihr wünscht, dass sie ihre Karriere eisern im Griff behält - sympathisch ist es doch.