Süddeutsche Zeitung

"A Rainy Day in New York" im Kino:Der böseste und verzweifelteste Woody-Allen-Film seit Langem

In den USA ist Woody Allen zur Unperson geworden, in Europa läuft sein neues Werk trotzdem: "A Rainy Day in New York" ist schwerelos und hart zugleich.

Von Fritz Göttler

Woody Allen schenkt sich in seinem neuesten Film ein Happy End. An der Delacorte-Uhr im Central Park, im Herzen von New York. Die Stadt der verpassten, imaginären, und doch meistens magisch geglückten Dates.

Die Stadt, die wir in "A Rainy Day in New York" erleben, ist von Woody Allen über Jahrzehnte quasi im Alleingang geschaffen worden, ein Märchen-, ein Traumreich, bevölkert mit verdrucksten, manchmal langweiligen Protagonisten, in den gediegenen Apartments von Manhattan, wo der junge Held - sein Name ist Gatsby - sich unwiderstehlich zum Flügel hingezogen fühlt, um dort den Song "Everything Happens to Me" zu intonieren. Vittorio Storaro, der einst die Filme von Bertolucci und Coppola grandios zum Leuchten brachte, lässt nun hier sein warmes, dichtes Licht wieder durch das Grau der regnerischen Stadt dringen, sehr sophisticated, illuminiert von großer Philosophie von Aristoteles bis Wittgenstein.

Woody Allen ist keiner, der seine Figuren wirklich lieben kann, sie bleiben ihm suspekt. Er ist hin- und hergerissen, misstraut jeglicher Naivität und ist doch fasziniert von allen möglichen Klischees. Ashleigh Enright zum Beispiel, ein Mädchen aus Tucson, verkörpert von Elle Fanning, ist ganz aus dem Häuschen, sie hat für die Studentenzeitschrift ihrer kleinen Universität ein Interview zugesagt bekommen mit dem Regisseur Roland Pollard (Liev Schreiber), in Manhattan. Ihr Freund Gatsby, Sohn reicher New Yorker Eltern (Timothée Chalamet), wird sie begleiten, stellt ein tolles Programm zusammen für das Wochenende, vom Ausstellungsbesuch bis zur Cocktailstunde im Carlyle. Was er überhaupt nicht will: auf dem jährlichen Empfang der Eltern antreten, der just an diesem Wochenende angesetzt ist.

Mit über achtzig Jahren hat Woody Allen einen richtigen Nouvelle-Vague-Film gedreht. Die mittelalten Männer sind groteske Schreckfiguren, Regisseur "Rolly", sein Drehbuchautor Ted Davidoff (Jude Law) und sein Starschauspieler Francisco Vega (Diego Luna). Das diffuse Gespinst künstlerischer Kreativität, mit dem sie sich umgeben, hat Ashleigh fest im Griff - sie reagiert mit Schluckauf und Blackout. Elle Fanning spielt das mit einer apart verdrucksten Hilflosigkeit. Der Film ist böser - und verzweifelter - als viele der früheren Werke Woody Allens.

Woody Allen liebt Städte im Regen - Sonnenschein deprimiere ihn nur, hat er erzählt

Gatsby hat's ein wenig leichter als Ashleigh. Als er von ihr versetzt wird - sie wird zu einem Screening von Rollys Film abgeschleppt -, trifft er Shannon (Selena Gomez) die jüngere Schwester einer Exfreundin, und muss sie gleich küssen im Auto, weil er als Akteur einspringt beim Dreh eines Studentenfilms - alternatives Filmemachen! Gatsby kriegt dabei schließlich sogar den Mund auf, und dann setzt auch der Regen ein, den der Titel verheißt. Woody Allen liebt Städte im Regen - "wenn ich morgens die Vorhänge aufziehe und die Sonne scheint, bin ich deprimiert".

Im Jahr 2017, als der Film gedreht wurde, drang die "Me Too"-Debatte ins Bewusstsein Amerikas, und mit ihr kam die von seiner Ex Mia Farrow vorgebrachte Anschuldigung zurück, Woody Allen habe seine Adoptivtochter Dylan missbraucht im Jahr 1992 - was von diesem heftig bestritten wird. Die jungen Stars des "Rainy Day" aber wollten nun nichts mehr mit dem Film und mit der Persona non grata Woody Allen zu tun haben, Timothée Chalamet, Selena Gomez, Rebecca Hall gaben ihre Gage weiter an Organisationen wie Time's Up. Ein unentwirrbares Gespinst von Moral und Professionalismus und Charakter. Das Amazon Studio hat den von ihm produzierten Film in den USA nicht ausgewertet und einen Vier-Filme-Kontrakt mit Allen gekündigt. Nur in Europa läuft der Film im Kino, er hat in Frankreich auch das Filmfestival in Deauville eröffnet. Seinen nächsten Film hat Woody Allen in San Sebastián angesiedelt und im August abgedreht.

Timothée Chalamet kommt in seinem lässigen Tweedjackett dynamisch daher wie einst der junge Antoine Doinel in den Filmen von François Truffaut, er begibt sich mit Shannon ins Metropolitan Museum of Art, lässt sich beeindrucken von John Singer Sargents "Madame X" und gerät dann in die ägyptische Abteilung, in ein hektisches Versteckspiel zwischen schrägen dunklen Museumswänden - "die sind merkwürdig, diese Ägypter, die haben alles auf das Jenseits gesetzt." Wird er das hinkriegen, ein ganz anderes Leben, das sich dem ökonomischen System der amerikanischen Gesellschaft entzieht, am Piano oder am Pokertisch?

Als er mit Tausenden gewonnenen Dollars im Carlyle sitzt, kommt eine Frau an seinen Tisch, phantomhaft wie in einem film noir - sie erinnert an Jane Greer, die Robert Mitchum erscheint in "Out of the Past". Ich lasse Träume wahr werden, erklärt sie. Für fünfhundert Dollar die Nacht. Wenige Stunden später wird er erfahren, von seiner Mutter, was die wirkliche Basis der amerikanischen Familie und Gesellschaft, des amerikanischen Erfolgs ist.

A Rainy Day in New York, USA 2019 - Regie, Buch: Woody Allen. Kamera: Vittorio Storaro. Schnitt: Alisa Lepselter. Mit: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Selena Gomez, Jude Law, Diego Luna, Liev Schreiber. NFP/Filmwelt, 92 Minuten.

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SZ vom 06.12.2019
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