Süddeutsche Zeitung

"A Late Quartet - Saiten des Lebens" im Kino:Spiel mit den Augenbrauen

Normalerweise sind Filme über klassische Musik Dokumentationen. Das legt die Messlatte für einen Kinofilm unerreichbar hoch. Doch der Regisseur von "Saiten des Lebens" hat aus dem Klischee von der Viererehe am Notenpult einiges herausgeholt - auch durch die Mimik der Darsteller.

Von Andrian Kreye

Man muss gar nicht in die musikalische Materie einsteigen, um zu erkennen, dass ein Streichquartett die perfekte Vorlage für ein melodramatisches Kammerspiel im Kino ist. Auch wenn das 14. Streichquartett von Beethoven, welches das fiktive Fugue String Quartet in dem Film mit dem ungerecht kalauerigen deutschen Titel "Saiten des Lebens" probt, eine wuchtige Allegorie auf den Plot ist.

Der Cellist und Altmeister des Quartetts Peter Mitchell (Christopher Walken) bekommt während der Vorbereitungen für die Tournee zum 25. Jubiläum des Quartetts von seiner Ärztin die Diagnose zum Ende seiner Laufbahn. Seine Schwierigkeiten am Instrument sind frühe Symptome einer Parkinson-Erkrankung. Die lange schwelenden Konflikte, die daraufhin ausbrechen, kosten das Quartett ihren Gründer, den zweiten Geiger Robert Gelbart (Philip Seymour Hoffman) und die Bratschistin Juliette Gelbart (Catherine Keener) ihre Ehe und den ersten Geiger Daniel Lerner (Mark Ivanir) seine Moral und die Freundschaft zu seinen Weggefährten.

Es ist eine hochzivilisierte Welt, in die das Chaos und der Wahnsinn da hineinbrechen, ein in sich geschlossener Kosmos in den neoklassizistischen Bürgerhäusern rund um den Central Park und in den akustisch fein austarierten Sälen der Konzerthallen und Konservatorien der Stadt. Die gerät da an ihre Grenzen. Das passt. In Beethovens Spätwerk gehört das 14. Streichquartett in cis-Moll zu den emotionalsten Auseinandersetzungen mit der Vergänglichkeit des Lebens, die abgesehen von Requien je in der Musik geschrieben wurden. Als allegorisches Grundmotiv legt das die Messlatte für einen Kinofilm unerreichbar hoch. Wäre da nicht die Besetzung.

Es gibt zum Beispiel kaum ein besseres Kinoerlebnis, als Philip Seymour Hoffman beim Verzweifeln zuzuschauen. Nur wenige bringen die Mischung aus Furcht, Selbsthass und Überlebenswillen, die jemanden beim Scheitern erfasst, so auf den Punkt. Dazu kommt Christopher Walkens meisterhafter Minimalismus. Ähnlich wie er in seinen Gangsterrollen mit eiskaltem Blick und monotonem Duktus die gesamte Palette der Grausamkeiten auf das Zusammenziehen der Augenwinkel reduzieren kann, spiegelt er mit wenigen Blicken den fatalistischen Pragmatismus eines Todgeweihten. Und dann ist da noch Catherine Keener, die jedem Film nur mit dem Spiel ihrer Augenbrauen eine dramatische Wendung geben kann.

Mark Ivanir, der den selbstherrlichen ersten Geiger spielt, und Imogen Poots in der Rolle seiner Schülerin und Tochter der Gelbarts, können da nicht immer ganz mithalten. Das bringt die Balance hin und wider ins Schlingern.

Da ist die Episode in einer Shopping Mall und einem Taxi, in der für die Gelbarts das gesamte gemeinsame Leben zusammenbricht. Er hat sich mit einer Flamencotänzerin eingelassen. Die hat nicht nur sein chronisch verletztes Ego des ewig zweiten Geigers gestreichelt, sondern auch noch einen destruktiven Ehrgeiz in ihm geweckt. Keener und Hoffman überbrücken virtuos die Kluft zwischen der epischen Gewalt des plötzlichen Endes ihrer Ehe und der Banalität der Öffentlichkeit, in der sich dieses Ende vollzieht.

Wenn sich dann Keener mit Poots oder Walken und Hoffman mit Ivanir dramatische Konflikte liefern, sieht man die schauspielerische Überlegenheit der drei, die ihre beiden nicht ganz so virtuosen Kollegen nur bedingt auffangen können. Das aber sind nur wenige Schwächen für einen Film, der es schafft, die emotionalen Abgründe der klassischen Musik, die im Konzertsaal sonst so endgültig verinnerlicht werden, in eine adäquate Handlung zu übersetzen.

Es ist kein Zufall, dass die meisten Filme, die sich mit klassischer Musik auseinandersetzen, sonst Dokumentationen sind. Das größte Problem des Kinos ist da die Kluft zwischen den meist unsichtbaren Gefühlsregungen der Vortragenden und den extremen Spannungsbögen der Werke. Alleine das leitmotivische 14. Streichquartett erstreckt sich in der Konzertfassung über sieben Sätze und eine gute Dreiviertelstunde. Das kann man nicht filmgerecht exzerpieren. Warum auch. Es ist ja gerade der Reiz am Medium Film, dass er so viel schneller zu emotionalen Ergebnissen kommt als eine Symphonie.

Und dann sind da die technischen Anforderungen. Auch Philip Seymour Hoffman, Christopher Walken und Catherine Keener kämpfen sichtbar damit, das Spielen überzeugend zu simulieren. Am deutlichsten wird das in der Schlussszene (man verrät da keine große Überraschung - Parkinson ist keine Krankheit mit möglichem Happy End), wenn Walkens Figur abdankt und seine Nachfolgerin auf die Bühne bestellt. Nina Lee spielt sich da selbst, die Cellistin des Brentano Quartetts, das auch den Beethoven für den Soundtrack aufgenommen hat. Sie hat keine Zeile zu sprechen, aber die Souveränität, mit der sie dann am Cello sitzt, führt noch einmal vor, dass Bogenstrich kein Stunt ist.

Dokumentationen stehen da nicht ganz so unter dem Druck. Sie sind eher Ergänzung als Abbild der Wirklichkeit. Regisseur Yaron Zilberman macht auch gar keinen Hehl daraus, dass er von einer dieser Dokumentationen inspiriert wurde. Vorbild war "High Fidelity: The Adventures of the Guarneri Quartet", in dem sich die vier Musiker auch noch nach Jahrzehnten bis zum Äußersten um Nuancen streiten.

Inspiriert von einer Dokumentation

Zilberman bleibt nah dran an seiner Vorlage. Der dramatische Höhepunkt, das Konzert, bei dem sich Peter Mitchell von seinem Quartett verabschiedet, spielt im Konzertsaal des Metropolitan Museum of Art, in dem auch das Guarneri Quartett 2009 seine Abschiedskonzerte gab. Und wie der Mitbegründer und Cellist des Guarneri Streichquartetts, David Soyer, ist Walkens Figur ein Schüler von Pablo Casals.

Es ist erstaunlich, dass sich bisher noch kein Regisseur auf solche Steilvorlagen eingelassen hat. Das Budapest Quartett war zum Beispiel dafür bekannt, dass seine Mitglieder auf Tourneen im selben Restaurant an unterschiedlichen Tischen aßen. Der ehemalige erste Geiger des Audubon Quartet, David Ehrlich, ließ sich seinen erzwungen Ausstieg nach einem erbitterten Gerichtsstreit mit mehr als 600.000 Dollar bezahlen, was seine ehemaligen Mitmusiker dazu zwang, ihre Instrumente zu verkaufen. Vom Vegh Quartett heißt es, sie hätten ihre Konzerttermine zuletzt nur noch über ihre Anwälte vereinbart.

Doch was Yaron Zilberman aus dem Klischee von der Viererehe am Notenpult gemacht hat, gehört zu den besten dramaturgischen Etüden, die das Kino in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Gerade weil er das Quartett als Form betrachtet hat und sich nicht vom Inhalt treiben ließ.

A Late Quartet, USA 2012 - Regie, Buch: Yaron Zilberman. Kamera: Frederick Elmes. Originalmusik: Angelo Badalamenti. Mit: Philip Seymour Hoffman, Christopher Walken, Catherine Keener, Mark Ivanir, Imogen Poots. Senator Film, 106 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1662033
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.04.2013/kath
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.