Wenn wir doch bloß keine Rassisten wären ... Großbritanniens Ruf als höfliche Nation? Dahin. Unser angeblicher Humor? Verschwunden. Die guten Seiten, bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012 vor aller Welt präsentiert und gefeiert? Nix. Unser Image, zu Hause wie im Ausland, wird nun vor allem durch eine tägliche Schmierenkomödie aus Dummheit, Falschheit und Selbstverletzung bestimmt. Und alles aufgrund von Rassismus. Eine angstgesteuerte Geisteshaltung, die Nachbarn von Nachbarn trennt, Bürger von Bürgern scheidet, immer auf der Suche nach unerreichbarer Reinheit, hat unsere Nation zerrissen. Wohlüberlegt präsentierte und verstärkte Vorurteile haben uns und unsere Institutionen anfällig gemacht für den Brexit. Dieses Denken hat uns Phantomfeinde beschert, während seine Verfechter unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat sowie Karrieren, Gemeinschaften, Familien und Leben zerstören. Hass als Waffe wirkt so toxisch wie immer. Die Nuancen, die Feinheiten, unser Mitgefühl, das unser Verständnis füreinander ermöglicht - all das, was Populisten als "schwach" verächtlich machen: wir erkennen jetzt, dass nur dies uns vor uns selbst rettet.
Nicht alle, die für den Brexit gestimmt haben, waren Rassisten, aber alle, die schon rassistisch dachten, haben anscheinend für den Brexit gestimmt. Der Brexit ist getrieben von absichtlich unreflektierten Bauchkonzepten wie Freiheit und Kontrolle zurückgewinnen. Er war das Ergebnis einer Kampagne, die den nur zu menschlichen Widerstand gegen Wandel und die Empfindlichkeit gegenüber Unterschieden verdrehte und verdüsterte. Jeder Schmerz, jedes Versagen wurde auf "die" geschoben: die EU, die Schwarzen, die Moslems, die Juden, die Anderen. Und natürlich hat der Brexit auch den Katzenjammer des historischen britischen Rassismus angezapft.
Unser Empire hat behauptet, dass weiße, männliche, englische Christen berufen waren, die Welt zu beherrschen: zu stehlen und zu versklaven, Kulturen und Länder zu unterwerfen. Wir klammern uns an unsere vorherbestimmte Überlegenheit, denn ohne sie wären wir bloß eine Horde von Dieben, Vergewaltigern und Schlägern. Und so hat der bei uns vorherrschende Diskurs gestohlene Güter in "die Bürde des weißen Mannes" verwandelt und findet nicht-weißes Britisch-Sein immer noch problematisch. Die Annahme, dass ein Vereinigtes Königreich so schwer wiegt wie 27 andere Länder, bildet immer noch die Grundlage unserer Verhandlungen mit der EU. David Davis saß ohne Unterlagen oder Plan am ersten Verhandlungstisch, weil er ein zu schnell zu hoch beförderter Scharlatan war, aber er stellte damit auch den typischen weißen Briten dar. Vorbereitung würde nur den Schluss nahelegen, dass er nicht von Natur aus überlegen war - und damit auf dem kreiselnden Absturz in halbewiges Versagen. Gepolter und Posieren sind jenseits von Größenwahn das einzige, was Großbritannien noch bleibt. Millionen EU-Bürger werden im Königreich als Geiseln behandelt, sie sollen Tausende Pfund bezahlen, um an einer Lotterie teilzunehmen, die ihren Status, ihre Beziehungen, ihr Leben bei uns retten könnte. Das zeigt den abscheulich schwachen Charakter unserer Führungsschicht - und ihre vernichtende Schwäche.
Totalitarismus ist kein ausländisches Phänomen, sondern ein menschliches
Der Bankencrash 2008 hat zahlreiche Länder in Mitleidenschaft gezogen. Unsere Regierung und die rechtsextremen Kräfte, die sie hofierte und vor denen sie sich fürchtete, haben die Krise in Großbritannien genutzt, um eine eugenische Form des Kapitalismus einzuführen, die jede Art von staatlicher Fürsorge und sozialer Netze abbaut. Über Generationen gewachsene Strukturen, die gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Mobilität fördern, wurden in einem Jahrzehnt des Vandalismus zerstört. Das Paradox der Sparsamkeit wurde ein für alle Mal vorgeführt, als sowohl unsere Volkswirtschaft als auch unser öffentliches Wohlbefinden stagnierten. Gleichzeitig entwickelte sich eine Flüchtlingskrise. Und die Geflüchteten waren die ersten, die für all unser Leid verantwortlich gemacht wurden. Die machtlosesten Menschen der Welt wurden beschuldigt, uns zu vernichten.
In der Downton-Abbey-Schicht traf alter Rassismus auf neue furchteinflößende Verdrängung. Überall in London und den umliegenden Grafschaften wurden die heimatlosen internationalen Superreichen plötzlich lauter, anspruchsvoller und viel reicher als die britischen Reichen.
Eine von Schockwirkung besessene Medienlandschaft vergrößerte ein noch nie dagewesenes Experiment - wie man die Demokratie einer westlichen Industrienation mithilfe von rassistischen Andeutungen, Lügen und emotionalen Triggerpunkten destabilisiert. Während der Brexit-Kampagne von 2016 beschossen uns allein in einem Zeitraum von 24 Stunden über 150 000 russische Fake-Accounts mit fast 50 000 psychologisch wirksamen Botschaften. Anstatt internationale Größe anzustreben, die von Humanität, Selbstvertrauen und Kreativität geprägt ist, klammern sich unsere Herrschenden an paranoides Gejammer und den Wahn genetischer Überlegenheit.
Ganz aktuell schießt sich unsere Regierung auf Schwarze ein, die - oft ganz unbedeutende - Straftaten begangen und ihre Strafe abgebüßt haben. Wie die schwarzen Opfer des Windrush-Skandals, als jahrzehntelang in Großbritannien ansässige Bürger aus den ehemaligen Kolonien wieder dorthin deportiert wurden, werden auch sie von ihren Familien getrennt, aus ihren Gemeinden gerissen und in Ländern abgeladen, die sie womöglich seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen haben. Gegen alle öffentlichen Proteste und juristischen Einwände wird ein Exempel statuiert, um zu zeigen: Verbrechen ist schwarz; das Schwarz muss entfernt werden; Widerstand, Demokratie, sogar Gerechtigkeit sind Teil von diesem Schwarz und diesem Verbrechen. Wenn wir nicht alle verteidigen, verteidigen wir keinen. Wir sind nicht immun gegen Totalitarismus, das ist kein ausländisches Phänomen, sondern ein menschliches. Und wir geraten immer mehr in Gefahr, die schlimmsten Fehler der Menschheit zu wiederholen.
Übersetzung: Ingo Herzke