Süddeutsche Zeitung

A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" im Kino:Begehren, neu sortiert

In Nicolette Krebitz' Film "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" begehrt die unvergleichliche Sophie Rois einen sehr viel jüngeren Mann.

Von Annett Scheffel

Gleich zu Beginn fällt ein kleiner Satz. Fast unbemerkt. Ein sanfter Seitenhieb, schnell weggewischt, bevor die Handlung mit viel Fantasiefreude weitergetrieben wird. Als die Hauptfigur, eine Schauspielerin, ihrem Nachbarn und Vertrauten von einem kinoreifen Handtaschenraub erzählt, fragt der sogleich nach, ob sie sich die Geschichte nicht nur ausgedacht hat.

Es ist eine der vielen Spuren, die Nicolette Krebitz in ihrem neuen Film "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" legt. Vielleicht ist das für den weiteren Verlauf des Films wichtig, vielleicht aber auch nicht. Was in dieser wahnwitzigen Liebesgeschichte wirklich ist und was Projektion - darüber lässt einen die Regisseurin bewusst im Unklaren. Nichts in ihrer Film-Romanze ist festgeschrieben. Aber alles ist möglich. Und erklärt werden muss sowieso nichts.

Nicolette Krebitz hat nach "Wild", ihrem hochkonzentrierten und ein bisschen unheimlichen Film über eine junge Frau, die eine Obsession für einen Wolf entwickelt, eine charmante und leichtfüßige romantische Komödie über ein Paar mit großem Altersunterschied gedreht, wie man sie im deutschen Kino selten sieht. Mit "Wild" erregt Krebitz 2016 auf dem Sundance Festival einiges Aufsehen. "A E I O U", der vierte Spielfilm der 1972 in Westberlin geborenen Filmemacherin und Schauspielerin, lief im Februar im Wettbewerb der Berlinale.

Das Wichtigste vielleicht vorab: Der Titel des Films ist eine falsche Spur. Nichts an diesem Liebesfilm ist so, wie er suggeriert. Weder wird hier etwas durchbuchstabiert, noch in Episoden erzählt, noch in knappen Thesen verdichtet. Auch ein niedliches Großstadtmärchen à la "Die fabelhafte Welt der Amelié" ist es nicht, wie die von Sophie Rois aus dem Off in der dritten Person gesprochene, gedankenschwere Erzählstimme kurz vermuten lässt. "Alles fängt mit A" an, sagt sie. "Das Leben, der Schmerz, die Erkenntnis und die Liebe. A ist der Klang, den man nicht aufhalten kann. Das A ist immer schon da. Und dann gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wie es weitergehen kann."

Weiter als bis zum A kommt Rois dann auch gar nicht erst. Denn die Handlung schreitet mit großen Schritten voran, und bald schon sprühen die Gefühle Funken. Anna, ihre Figur, wird also überfallen. Im Neonlicht vor der Paris Bar raubt ihr ein junger Mann die Handtasche. Dabei war der Tag ohnehin schon mies. Anna ist in einem Alter - um die 60 - in dem es für Frauen schwer wird, Rollen zu bekommen. Sie findet sich gezwungenermaßen in einem Hörspielstudio wieder, in dem sie von ihrem Kollegen begrabbelt wird.

Lässig gerauchte Zigaretten und gemeinsame Gaunereien - das muss Liebe sein

Kurze Zeit später trifft sie den Dieb unverhofft wieder, als er vor ihrer Altbauwohnung steht. Sie soll ihm Sprechunterricht geben. Adrian lebt bei Pflegeeltern, geht noch zur Schule und soll für eine Theateraufführung fit gemacht werden. Und so üben die beiden sprechen und richtig atmen und umkreisen sich liebevoll, sie kocht ihm Suppe, er stiehlt eine Designertasche für sie. Und irgendwie sind sie dann so etwas wie ein Liebespaar.

Es ist eine unwahrscheinliche Lovestory, die Krebitz ausbreitet. Wie französisches Kino in Berlin. So richtig stilecht mit einer Amour Fou und surrealen Einsprengeln, mit vielen lässig gerauchten Zigaretten und kleinen Gaunereien. Im letzten Teil des Films flieht das Paar in einer Nouvelle-Vague-Variation an die Côte d'Azur. Was folgt, ist ein flirrender Freiheitsrausch: Wie Kinder streifen sie als Taschendiebe durch die Altstadtgassen, baden nackt im Meer und schlafen endlich miteinander. "Sie sind außer Atem", zitiert Rois aus dem Off Jean-Luc Godard, als die beiden im Bett liegen.

Sophie Rois spielt ihre Rolle mit dieser unverwechselbaren Sophie-Rois-Art: in einer feinen Mischung aus Empowerment, schräger Kratzigkeit und einer ganz zärtlichen Sehnsucht, die unter der Oberfläche aufblitzt. Ihren jungen Co-Star kennt sie von ihrer Arbeit an der Berliner Volksbühne. Milan Herms spielt dort seit Jahren in der Jugendsparte. Er gibt der Figur des Adrian eine ungestüm unbeholfene, manchmal in theatralische Posen verkehrte Unberechenbarkeit.

Dass es eine so große Freude ist, diesem ungleichen Filmpaar zuzusehen, liegt aber vor allem auch daran, dass die Rollen und romantischen Blaupausen in humorvoll-leichtem Tonfall heftig verdreht werden. Zwar haben wir es mit Prototypen des reinen Kinos zu tun: der unreife Kleinkriminelle und die anmutige Schauspielerin. Anders als in vielen anderen Filme wird das Begehren in einem Spiel der verschachtelten Projektionsflächen aber hier noch einmal ganz neu sortiert. Ein sehr junger Mann begehrt eine sehr viel ältere Frau. Im Mittelpunkt steht aber die weibliche Lust - entgegen gesellschaftlicher Normen. Das verbindet ""A E I O U" mit Krebitz' letztem Film "Wild": dort der Wolf, hier der sehr junge Mann.

Nicht die Frau ist hier das Objekt der Lust, sondern der Mann. Das Machtgefälle ist von Anfang gesetzt. Anna ist die Herrin des Geschehens. Die Abhängigkeiten der beiden Lieben verlaufen stets zu ihren Gunsten. Je nachdem, wie man ihn liest, kippt der Film deswegen teils auch in ein problematisches Verhältnis. Ist das noch eine von Konventionen befreite Liebe? Emotionaler Missbrauch? Oder nur ein geschicktes Spiel mit den Ebenen?

Nicolette Krebitz erzählt von diesen kleinen und großen Verschiebungen jedenfalls mit einer Leichtigkeit, die man so schon eine Weile nicht mehr im deutschen Arthouse-Kino gesehen hat. Man kann den Film auch schauen, ohne sich diese ganzen Fragen zu stellen.

AEIOU - Das schnelle Alphabet der Liebe, D/F 2022 - Regie und Buch: Nicolette Krebitz. Kamera: Reinhold Vorschneider. Schnitt: Bettina Böhler. Mit: Sophie Rois, Udo Kier, Milan Herms, Lilith Stangenberg. Verleih: Port au Prince, 104 Minuten. Kinostart: 16. 6. 2022.

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