Süddeutsche Zeitung

"A Blast / Ausbruch" im Kino:Maria am Sandsack

Erschöpfend ist diese Misere und gnadenlos: Der Film "A Blast / Ausbruch" zeigt Griechenlands Krise - mit leidenschaftlichen Helden, ungestüm und revolutionär.

Von Fritz Göttler

Du spinnst, sagt der Sohn zu Maria. Seine Mutter hat soeben das Handy während der Fahrt zum Autofenster hinausgeworfen. Maria macht viele solche Sachen. Sie ist hektisch und unbeherrscht und unfair, gierig auf wilden, leidenschaftlichen Sex mit ihrem Mann, sie beschimpft die Beamten am Schalter, schlägt unvermutet auf die Schwester ein, zerrt die Mutter aus ihrem Rollstuhl.

Maria ist eine Kämpferin, ihre geschäftige Unermüdlichkeit erinnert an die Frauen in den Alexander-Kluge-Filmen der Sechziger: Alexandra Kluge und Hannelore Hoger. Maria gehört zu den Kindern der permanenten Krise in Griechenland, der schleichenden Misere, die von den Eltern angerichtet ist, und nun müssen die Kinder sich mit den Folgen herumschlagen. Marias Mutter hat einen kleinen Laden. Sie hat aber seit Jahren überhaupt keine Steuern gezahlt. Wo soll das Geld für die Nachzahlungen nun herkommen! Muss man die Ersparnisse opfern, das Ferienhaus verkaufen? So trostlos ist diese Misere, so gnadenlos erschöpfend, dass nicht mal für die Widerständler und Rebellen wirklich Sympathie beim Zuschauen entstehen könnte. Auch diese Revolution ist schon dabei, ihre Kinder zu fressen.

Wenn Maria und ihr Mann Sex miteinander haben, explodiert der Film in satten Farben

Der Regisseur Syllas Tzoumerkas ist ein Parteiloser, wenn es ums Erzählen geht, er vermeidet es, irgendeine seiner Figuren zu begünstigen. Er liebt den Widerspruch, sagt und filmt gern das Unerwartete. Er hat fürs Fernsehen eine Doku über Ezra Pound gemacht und ist von Lars von Triers Dogma-Fantastereien beeindruckt, er spielt selber gern Theater, unter anderem in der "Blitz Theatre Group", der Truppe, in der auch seine Maria spielt, die furiose Angeliki Papoulia. Und er spielt in Filmen seiner Freunde von der sogenannten Neuen - auch: Wüsten - Welle des jungen griechischen Kinos.

Wenn Maria und ihr Mann Yannis Sex miteinander haben, explodiert der Film in satten Farben, tiefem Blau und Rot, aber dann muss Yannis wieder los, er ist Kapitän auf einem Containerschiff. Wenn dieses majestätisch den Hafen verlässt, beschwört es noch einmal die vergangene Reeder-Glorie des Landes. Dann sieht man Yannis einen Korridor ins Innere des Schiffs hineingehen, und alles ist wieder beklemmend eng. Yannis wird jede Menge Sex-Eskapaden haben auf seinen langen Fahrten. Er ist lustgetrieben, auf lebhafteste Weise, sagt Syllas Tzoumerkas. "Ich mag seinen Sinn für Individualität und Freiheit, und diesen Anti-Machismus in einem nationalen Umfeld, wo alle Arten idiotischer Knallköpfe den Ton angaben."

Kein Ausbruch, kein Aufbruch

Die Kamera, die ins Bild hinein sich bewegt, nicht in die Tiefe, sondern in die Enge des Raumes hinein, prägt den ganzen Film. Es gibt keine individuellen Bewegungen, keine Freiheit, keine Zukunft. Keinen Ausbruch, keinen Aufbruch. Maria traktiert verbissen einen Boxer-Sandsack. "Ich habe ein lächerliches Leben gehabt", erzählt sie dann in einer Selbsthilfegruppe frustrierter Frauen. "Ich heiratete mit zwanzig und habe drei Kinder, die ich nicht mehr sehen will. Keines. Und auch meinen Mann nicht. Von heute an will ich nur noch mit Fremden sprechen, wie ihr es seid. Und ich ziehe die Schuld dem Leben vor, das ich bislang hatte."

Einen kurzen Moment von Freiheit nur gibt es, Maria und ihre Schwester am Meer, im Badeanzug. Sie sind ausgelassen wie zwei Mädchen, albern, reden über die Menschenrechte, die jedem Menschen zustehen. Sie spielen mit den Begriffen, schleudern sie durch die Luft, jene anspruchsvollen Begriffe, die durch die Realität so wenig gedeckt sind. Ungestüm sind sie und so revolutionär wie die beiden Maries in Věra Chytilovás "Sedmikrásky / Tausendschönchen" aus dem Jahr 1966 es waren - im Prager Vor-Frühling. Griechenlands aktuelle Jungpolitiker wirken wie verdruckste Schulknaben dagegen, die nachsitzen müssen.

I ekrixi, Griechenland/D/NL 2014 - Regie: Syllas Tzoumerkas. Buch: Youla Boudali, Syllas Tzoumerkas. Kamera: Pantelis Mantzanas. Schnitt: Kathrin Dietzel. Mit: Angeliki Papoulia, Vassilis Doganis, Maria Filini, Efthymis Papadimitriou, Themis Bazaka, Yorgos Biniaris. RealFiction, 83 Minuten.

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SZ vom 17.04.2015/khil
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