Süddeutsche Zeitung

90. Geburtstag:Jerry Lewis, Amerikas Albtraum

Seine Filme sind Meisterstücke an Körperbeherrschung und Zerstörungslust. Nun wird der große Komiker Jerry Lewis 90 Jahre alt.

Von Fritz Göttler

Nach Donald Trump wurde Jerry Lewis kürzlich gefragt, in einem langen TV-Interview, im Dezember vorigen Jahres, bevor der nervenfetzende Vorwahlen-Parcours startete. Großartig, war die Antwort: "I think he's great . . . Weil er ein Showman ist. Und wir hatten noch nie einen Showman auf dem Stuhl des Präsidenten."

Man sah ihm an, wie ihn das elektrisierte, jenen Anarchismus im Weißen Haus sich vorzustellen, den er selber jahrzehntelang in die Kinos und zuvor ins amerikanische TV gebracht hatte. In seinen Filmen tauchen solche Figuren schon hin und wieder auf, Studio- oder Produktionsbosse, die vor dem eigentlichen Filmbeginn sich ans Publikum wenden und sich plötzlich gar nicht mehr einkriegen vor selbstinduziertem Lachen, über das was folgen wird.

Please, don't try so hard

Wie Trump ist auch Lewis Teil jener subversiven Kraft, die stets das Gute will . . . (und was die Mittel angeht, hat Lewis auch einige jener brachialen Sätze parat, derer sich Trump bedient). Er macht ein Kino der Impulse, des Impetus - das heißt, er ist einfach durch nichts zu stoppen. In "The Disorderly Orderly / Der Tölpel vom Dienst" ist er Krankenpfleger in einem Nobelsanatorium, er hat es leider nicht zum Arzt geschafft, ist aber von einem unwiderstehlichen Willen getrieben, es immer noch einmal zu probieren. Die robuste Kathleen Freeman, die in vielen seiner Filme ihm als Antipodin dient, hier als die Oberschwester, treibt er damit in den Zusammenbruch. Please, don't try so hard, fleht sie ihn an - und auch dieses Nichtversuchen versucht er natürlich wieder besonders intensiv.

Seine Gags sind messerscharf kalkuliert und mit traumhafter Körperbeherrschung exekutiert, aber seine eigentliche Komik beginnt immer danach. Wenn die Schadensbegrenzung das Chaos perfekt macht.

Der amerikanische Traum, weil er in den Fünfzigern sich allzu schnell, allzu bunt, allzu großspurig entwickelte, hat die Lust an der Zerstörung gleich in sich getragen. Das ist einer der größten Horrormomente der Kinogeschichte - und absolut realistisch dazu -, wenn Lewis in "Artists and Models" neben seinem Kumpel Dean Martin aus nächtlichem Schlummer schreckt und seine Nachtmahre von Vincent dem Falken hinausschreit. Der amerikanische Albtraum gebiert - Comics, und diese Träume werden, gemalt, ein Riesenerfolg.

Er ist ein Mutant und ein elektronisches Genie, sagt sein Mentor Frank Tashlin

Destruktion ist die große Produktionskraft des amerikanischen Kinos. Die Shows, die das Paar Jerry Lewis / Dean Martin in den Fünfzigern im Fernsehen durchzogen, sind wahre Zerstörungsorgien, und in den gemeinsamen Filmen zertrümmern sie jedwede Logik, die der Handlung zuallererst. Mit seinem Mentor Frank Tashlin hat Lewis das dann, in acht Filmen, weitergeführt in die Sechziger, und schließlich selbst die Regie übernommen, als total film-maker. Immer radikaler setzt er reine Farben aneinander, erzählt von Schock zu Schock. Als er 1972 von einem kleinen Showman erzählen wollte, der Kindern in einem deutschen KZ ein wenig helfen sollte, in dem Film "The Day the Clown Cried", waren die Farben verwaschen und schmutzig. Der Film blieb unvollendet, Jerry Lewis will nicht, dass wir ihn sehen.

Er ist ein Mutant, und ein elektronisches Genie - sagte Frank Tashlin. Er war immer, technisch gesehen, Avantgarde. Man würde gern sehen, was er heute, im Streaming- und Internet-Chaos, zu erzählen hätte. Am Mittwoch feiert er seinen neunzigsten Geburtstag.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2016/cag
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