87. Oscar-Verleihung:Gefangen in der Nostalgieblase

87th Annual Academy Awards - Show

In der Nostalgieblase: Moderator Neil Patrick gefangen in endlosen Anrufungen von "Movie Magic", die in ihrer Häufung aber leider überhaupt nicht magisch waren

(Foto: AFP)

Als habe sich seit den Fünfzigerjahren im Kino nichts mehr getan: Die 87. Oscar-Verleihung lebt von kitschigen Momenten und einem Moderator, der die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Eine Revolution würde der Veranstaltung gut tun.

Von Tobias Kniebe

Am Ende gab es doch einen großen Sieger bei den 87. Academy Awards: "Birdman" gewann als bester Film, der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu bekam die Trophäe als bester Regisseur und auch als bester Autor eines Originaldrehbuchs (zusammen mit drei Co-Autoren), und sein Kameramann Emmanuel Lubezki wurde ebenfalls ausgezeichnet.

Die Geschichte eines abgehalfterten Superhelden-Darstellers, der in einem Broadway-Theater Rettung in der wahren Kunst sucht, zeigt Ex-"Batman" Michael Keaton, der quasi sich selber spielt. In vieler Hinsicht war das ein Wagnis: Keaton wird bis auf die Unterhose entblößt und muss sich seinem Alter stellen, alles ist in ungeschnittenen Takes gefilmt, untermalt nur von einem spartanischen Percussion-Soundtrack.

In den Hauptrollen gewinnen die Favoriten

Insofern ein verdienter, weil innovativer Sieger - voller Witz und bösen Wahrheiten über Hollywood und die Theaterwelt zugleich. Aber vier Oscars, das ist in der Summe noch nicht unbedingt ein Triumph. Nur in Zeiten, in denen es kaum noch Filme gibt, die in einem Jahr wirklich alles abräumen, fällt dieses Ergebnis doch überraschend deutlich aus.

Viele Filmexperten hatten vorab einen anderen Favoriten ganz vorn gesehen: Regisseur Richard Linklater und seinen Film "Boyhood". Ein einzigartiges filmisches Langzeit-Experiment zum Thema Heranwachsen, dass häppchenweise über einen Zeitraum von zwölf Jahren gefilmt wurde. Das gab es noch nie im Spielfilm, das war ebenfalls ein Wagnis und wäre ein genauso verdienter Gewinner gewesen.

Heraus kam für "Boyhood" am Ende aber nur ein einziger Oscar, für Patricia Arquette als beste Nebendarstellerin. Da wäre mehr verdient gewesen, das kann man nur als klare Niederlage sehen. Besser schnitt noch das Musikerdrama "Whiplash" ab, über einen sehr ambitionierten jungen Schlagzeuger, für den nicht nur Coolness-Ikone J. K. Simmons als bester Nebendarsteller gewann, sondern auch der Editor und das Soundmixing-Team.

Das Rennen um die Hauptrollen wiederum hatte sich von diesen Kategorien völlig abgekoppelt, da standen klare Favoriten bereits fest und haben dann auch gewonnen: Der Brite Eddie Redmayne spielte in "Die Entdeckung der Unendlichkeit" den berühmten Physiker Stephen Hawking, zum großen Teil im Rollstuhl und mit schwerer ALS-Behinderung - wieder einmal bestätigte die Academy die gern zitierte Regel, dass es für Rollen mit physischen Handicaps besondere Bonuspunkte gibt. Redmayne war auf der Bühne dann der emotionalste und zugleich charmanteste Sieger.

Bei den Frauen wiederum gewann Julianne Moore für ihre Hauptrolle in "Still Alice", die Geschichte einer Wissenschaftlerin, die ihr Gedächtnis an Alzheimer verliert - eine weitere Tour de force des Leidens. Ohne Zweifel ein bewegender Filmauftritt, und nach bisher vier Nominierungen ohne Sieg war Moore in diesem Jahr einfach an der Reihe. Sie wirkte bei ihrer perfekt vorbereiten Dankesrede dann aber so, als habe sie nie etwas anderes erwartet - da sprang kein Funke der Begeisterung über.

Die Academy sieht Snowden nicht als Landesverräter

Mit seinen liebevollen Kostümen, großartigem Design und überzeugendem Make-up und Hairstyling konnte schließlich auch Wes Andersons "Grand Budapest Hotel" punkten. Er gewann in diesen drei Kategorien, ebenso wie der sogar zweifach nominierte französische Komponist Alexandre Desplat für den Soundtrack. Von der Zahl der Oscars liegt "Grand Budapest Hotel" damit sogar gleichauf mit "Birdman", allerdings in weniger wichtigen Kategorien.

Bei den Dokumentarfilmen war die große Frage, ob der deutsche Autorenfilmer Wim Wenders nicht doch eine Chance auf den Sieg hatte - mit seiner dritten Nominierung für den Film "Salz der Erde", der Leben und Werk des Fotografen Sebastião Salgado feiert. Hatte er aber nicht, denn es gab ein wichtigeres Thema, die Geschichte von Edward Snowdens NSA-Enthüllungen, wie er sie Laura Poitras in "Citizenfour" erzählt hat. Die liberale Academy sah Snowden offensichtlich nicht als Landesverräter, sondern würdigte seinen Mut. Trostpflaster für die Deutschen: Produzenten und Geldgeber von "Citizenfour" kommen zum Teil aus Berlin.

Endlose Musiknummern, eine pathetischer als die andere

Gute Filme werden von diesem Jahrgang also in Erinnerung bleiben - die Show selbst weniger. Die Witze des Moderators Neil Patrick Harris, der mit viel Vorschusslorbeeren bedacht worden war, zündeten viel zu selten, meistens gab er sich als braver Bewunderer großer Filmkunst. Und gute Ideen, die eine Show wirklich auflockern können und dann per Twitter um die Welt gehen - wie das Massen-Starselfie vom vergangenen Jahr oder der Einfall, einen Pizzaboten in die laufende Show zu bestellen, fehlten ganz.

Dafür gab es endlose Musiknummern, eine pathetischer als die andere, endlose Anrufungen von "Movie Magic", die in ihrer Häufung aber leider überhaupt nicht magisch waren, und Tribute an Kitschklassiker wie "The Sound of Music". Während andere Shows wie etwa die Golden Globes längst mit dem scharfen und bösen Witz des 21. Jahrhunderts produziert werden, hängen die Oscars in einer fatalen Nostalgieblase fest - als habe sich seit den Fünfzigerjahren im Kino nichts mehr getan.

Zu dieser Betulichkeit kommt dann noch der Hang vieler Stars, irgendeine gute Sache zu würdigen. Patricia Arquette dankte jeder Frau, die je ein Kind geboren hatte, und trat kämpferisch für mehr Gleichheit der Geschlechter ein; R&B-Star John Legend, der für seinen Song "Glory" aus dem Film "Selma" gewonnen hatte, erinnerte daran, dass heute in den USA mehr schwarze Männer im Knast gefangen sind als 1850 in der Sklaverei. Und Moderator Harris sorgte sich, dass die Oscar-Geschenktüten im Wert von 160.000 Dollar, die jeder Nominierte bekommt, in der Unterschicht revolutionäre Gedanken schüren könnten.

Die wirkliche Revolution aber wäre es, wenn die Oscars und die ganze Filmindustrie sich erst einmal selbst nicht mehr so wichtig nehmen würden - mit mehr Raum für Tempo, Respektlosigkeit und bösen, lässigen, ketzerischen Witz. Das wäre - anders als die demonstrative Zurschaustellung von Gutmenschentum und politischem Bewusstsein - mal tatsächlich ein Zeichen von Demut. Noch haben die Academy Awards das letzte Wort in der Award Season. Aber wenn ihre Macher nicht sehr bald aufwachen, wird das nicht mehr lange so bleiben.

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