86.000 Bücher selbst geschrieben:Noch nie hatte ein Autor mehr zu sagen

Philip Parker hält einen Weltrekord der besonderen Art: Sein Verlag hat über 200.000 Bücher veröffentlicht - knapp die Hälfte davon weisen ihn sogar als Autor aus. Ob zu Recht? Darüber streitet er gern.

Paul Katzenberger

Wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, ein Buch zu schreiben, dann scheint Philip Parker irgendwie den Dreh raus zu haben. Denn unter dem Namen seines Verlages Icon Group sind mehr als 200.000 Titel veröffentlicht worden - knapp 86.000 davon nennen ihn als Autor. Die schwindelerregende Zahl riecht nach einem Weltrekord. Die New York Times schrieb kürzlich sogar, Parker habe sich als den "am meisten veröffentlichten Autor in der Weltgeschichte" bezeichnet. Eine Unterstellung, die den Autor ärgert: Ein Amazon-Manager habe ihn so bezeichnet, sagte er zu sueddeutsche.de - das Eigenlob sei ihm also angedichtet worden. "Ich bin Phil - Titel haben mich noch nie interessiert", übt er sich in Bescheidenheit.

Zurückhaltung ist Parkers Sache aber auch nicht. Einmal in Fahrt, redet er ohne Punkt und Komma, um sein überaus fruchtbares Wirken zu erklären. Und Erklärungen sind notwendig, wenn einer mehrere zehntausend Bücher geschrieben hat, die Titel tragen wie: "Der Ein- und Ausfuhrmarkt für Haushalts-Kühlschränke in der Tschechischen Republik" (104 Dollar), "Das Noonan-Syndrom - eine Bibliographie für Ärzte, Patienten und Erbgut-Forscher" (28,95 Dollar) oder etwa "Die Aussicht für den weltweiten Eisenerz-Bergbau von 2007 bis 2012" (795 Dollar).

Ultraspezifisches

Wie schafft es einer, derartig Ultraspezifisches in dieser Menge zu schreiben? Der 47-jährige, der auch als Professor für Unternehmensführung an der renommierten Wirtschaftshochschule INSEAD bei Paris arbeitet, erklärt das so: "Ich habe die industrielle Massenproduktion für das Buchschreiben erfunden." Schöngeistiges ist auf diese Weise nicht zu erwarten. Vielmehr beruht Parkers Autorenschaft in den meisten Fällen auf reiner Mathematik, Datenbanksystemen und Computern - das räumt er sofort ein.

Wie das genau aussieht, erklärt er an einem Titel: "Die Perspektiven für Kugelschreiber in China von 2007 bis 2012." Das Buch sei nichts anderes als eine Hochrechnung, die auf derzeit vorliegenden Daten für Kugelschreiber in China aufsetzt", erklärt er: "Ich brauche dafür nur ganz wenige konkrete Informationen, um dann mit einer passenden Wahrscheinlichkeitsfunktion, die Zukunft für die chinesischen Kugelschreiber vorherzusagen."

Zahlenkolonnen und Grafiken

Für Worte ist da nicht viel Platz, wie ein Blick in das 139 Seiten starke Büchlein zeigt: Mit Ausnahme der Titelseite, der Inhaltsangabe und des Vorworts besteht es lediglich aus Zahlenkolonnen und Grafiken.

Mit 60 bis 70 Computern, sechs oder sieben Programmen sowie sechs Angestellten stellt Parkers Icon Group im kalifornischen San Diego also vollautomatisch Bücher her. Das Themenspektrum reicht von volkswirtschaftlichen Zahlen für die exotischsten Waren in aller Herren Länder, seltenen Krankheiten, englischen Wörterbüchern für Sprachen von Afrikaans bis Zarma (gesprochen im Südwesten Nigers) sowie rare Kreuzworträtsel, etwa von Arabisch auf Englisch.

Überschaubare Auflagenzahlen

Die Auflagenzahlen für solche Werke sind überschaubar: Nur die begehrtesten Titel wurden einige hundert Male verkauft, meist bewegt sich die Auflagenstärke im Bereich einer Handvoll von Büchern, oft bei null.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Parker dennoch Geld verdient und welche Ziele er verfolgt.

Noch nie hatte ein Autor mehr zu sagen

Trotzdem verdient die Icon Group Geld. Denn bei der schieren Masse seiner Bücher reicht auch die extrem geringe Nachfrage nach einem einzelnen Titel aus, um die Kosten hereinzuspielen.

Die waren zwar zunächst sehr hoch: "In dem System stecken sieben Mannjahre und ich habe einen siebenstelligen Betrag investiert", sagt Parker. Doch nun ernte er den Ertrag, da die Kosten für jedes neue Buch sehr gering ausfielen: "Ein bestelltes Kreuzworträtselbuch kostet mich nur etwa 13 Cent an Strom." Da die Bücher entweder "print-on-demand" seien oder elektronisch ausgeliefert würden, entfielen weitere Kosten und er sei ab dem ersten Verkauf bereits in den schwarzen Zahlen.

Doch es ist gar nicht das Geld, dem Parker mit dem Projekt nachjagt. Vielmehr verfolgt er bei jedem seiner Genres einen Nutzen, der ihm persönlich am Herzen liegt.

Interesse an seltenen Krankheiten

Bei den volkswirtschaftichen Büchern ist es wohl sein ureigenes Interesse als Ökonom, doch die in die Tausenden gehenden Medizinbücher haben einen ganz persönlichen Grund: "Mein Vater starb an einer extrem seltenen Form des Gehirntumors. Ich will daher Menschen mit ausgefallenen Krankheit, die Möglichkeit geben, sich weitgehend zu informieren. Schließlich gibt es für diese Erkrankten oft gar niemanden, der ihnen weiterhelfen könnte", so der Großverleger.

Wenn es überhaupt Medikamente gebe, dann seien diese häufig im Entwicklungsstadium und von der amerikanischen Gesundheitsbehörde noch nicht freigegeben. "Viele Patienten wissen aber nicht, dass es auch noch die National Organization for Rare Disorders (NORD) gibt. Deren Daten und Erkenntnisse sind öffentlich zugänglich, man muss nur wissen, wie man rankommt", so Parker.

Wer also beispielsweise unter Blepharitis leide - einer selten vorkommenden Entzündung der Augenlider -, für den sei sein kommendes Buch zu dem Thema ein echtes Hilfsangebot.

Leidenschaft für Wörterbücher

Seine ausgefallenen Nachschlagewerke für Sprachen, die selbst Dialekte wie "Bairisch" oder "Haitianisches Kreolisch" mit einschließen, erklärt Parker mit seiner Leidenschaft für Wörterbücher: "Ich habe mit 17 angefangen, Wörterbücher zu sammeln - heute ist mein Haus voll davon."

Während zunächst nichts darauf hinweist, dass Parkers Bücher computergeneriert sind, bleibt es aufmerksamen Leser nicht verborgen: In einer Leserkritik bei Amazon.com bezeichnet Maria Thompson aus Baltimore sein "offizielles Quellenverzeichnis für Patienten mit Wirbelsäulenverengung" als eine "reine Linksammlung." Der Suchbegriff "Wirbelsäulenverengung" führe bei Google oder Yahoo! zu den gleichen, wenn nicht besseren Ergebnissen.

Parker will solche Vorwürfe allerdings nicht stehenlassen: "Viele meiner Bücher sind zwar rein computergeneriert, aber ausgerechnet auf die Medizinbücher trifft das nicht zu", stellt er klar. Vielmehr seien seine heilkundlichen Titel von Menschenhand geschrieben - von Ärzten, deren Texte er über die US-Gesundheitsbehörde NIH beziehe. Zwar würden auch bei diesen Büchern viele Produktionsschritte computergesteuert, doch sie seien von staatlichen Gesundheitsauschüssen gegengelesen und genehmigt.

Eigene Daten aus Togo

Auch bei seinen rein maschinell hergestellten Büchern streitet Parker den Vorwurf ab, dass sie lediglich Linksammlungen des Internets seien. Vielmehr beruhten diese Werke auf einem - je nach Genre - sinnvollen mathematischen Algorithmus und einer dazu passenden Datenbank: "Manche dieser Daten tauchen zwar auch im Internet auf, doch das ist keineswegs immer der Fall", betont er.

Seine Dateien stammten vielmehr häufig von befreundeten Universitäten wie etwa Yale oder der Brigham Young University. Außerdem schaffe er auch eigene Datenbanken, etwa für die seltenen Sprachen: "In Togo, wo ich eine kleine Farm unterstütze, geben Leute für mich Wörter in vielen verschiedenen afrikanischen Sprachen ein", erklärt er.

Und schließlich stecke in den verschiedenen Algorithmen sehr viel Know-how: "Ich habe acht Jahre gebraucht, um das Ganze hochzuziehen", betont er.

Ist Parker also ein echter Autor, oder nicht? Er sei eher so etwas wie ein "Zusammensteller" elektronischer Daten schrieb die New York Times, wodurch sich der Vielschreiber aber völlig falsch charakterisiert fühlt: Ein Zusammensteller sei er schon, aber nur bei den von Menschenhand geschriebenen Medizinbüchern. Für die rein elektronisch geschriebenen Bücher nimmt er hingegen für sich in Ansprch, dass er den Computer nur als Schreibwerkzeug bedient: "Meine Bücher beruhen auf meinen Ideen und Gedanken - ich bin also auch ihr Autor."

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