Süddeutsche Zeitung

80. Geburtstag:Die Blicke der Liebe

Rudolf Thome, der Münchens Kino der Sechziger prägte und sich dann nach Berlin verzog, wird achtzig. Er war einer der wenigen, die der französischen Novuelle Vague nahe kamen.

Von Fritz Göttler

Die Ansage klingt energisch: "Philipp Kramer! ... Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen." Den Namen in diesem Satz kann man als Anrede verstehen, aber es kann sich auch einer damit vorstellen. Bei diesem Mann, zu Beginn von "Fremde Stadt", 1972, ist beides der Fall. Er steht im Hotelzimmer vor dem Spiegel, und spricht mit sich selbst - ein paar Jahre bevor Robert De Niro solche Spiegelsätze kanonisch machte fürs junge Kino. Roger Fritz ist der Mann, der da mit sich spricht, entspannter als De Niro, ein Bankräuber, der mit seiner Beute nach München kommt. Natürlich heißt er gar nicht Philipp Kramer.

"Fremde Stadt" ist ein wenig bekannter, verdrängter Film von Rudolf Thome, der letzte, den er in München drehte, schwarzweiß, dann ging er nach Berlin, auch deshalb, weil die Independent-Finanzierung in den Siebzigern schwierig wurde. Thome drehte erst mal weiter schwarz-weiß, einer der Filme ist nach Goethes Wahlverwandtschaften und heißt "Tagebuch". München ist seine Stadt geblieben, und in allen späteren Filmen in und ausgehend von Berlin klingen Echos der Swinging Sixties von München nach. Die sind besonders leuchtkräftig im Kultfilm "Rote Sonne", über eine Gruppe Frauen, die Männer nach fünf Tagen Beziehung umbringen, danach sind Emotionen zu gefährlich. Eine Unbedingtheit wie bei Godard, "Le Mépris" und "Pierrot le fou", nur ohne Capri und Côte d'azur. Dafür mit Uschi Obermeier. Die Nouvelle Vague ist ganz nah, aber ein Gefälle bleibt zwischen München und Paris.

Rudolf Thome ist der Musterknabe des deutschen Autorenkinos, der Jahrzehnte Film um Film schuf, alle für seine Geschichten begeistern konnte, Techniker, Stars, Zuschauer, und es schaffte, sich treu zu bleiben dabei. Es fing aber gar nicht an als Autorenkino, sondern als Teamwork. Max Zihlmann und Klaus Lemke waren immer mit dabei, als die frühen Thome-Kurzfilme entstanden, Jean-Marie Straub lieferte Filmmaterial für "Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt", seine Frau Danièle Huillet montierte, und der Film lief als Vorfilm zu Straub/Huillets "Chronik der Anna Magdalena Bach".

"Blicke der Liebe, das zeigt Thome immer wieder, müssen sich nicht treffen", schrieb Hans Schifferle mal in der SZ. Die Anschlüsse sind nie vorhersehbar in diesen Filmen. "Beschreibung einer Insel", den er mit seiner Frau Cynthia Beatt drehte, zeigt ein Forscherteam auf Ureparapara. Die Bilder, schrieb Frieda Grafe, "sind so realistisch wie beim abgefeimtesten Kommerzkino. Sie sind gefaked, simuliert, für die Kamera wiederholt. Sie spielen ihre Unschuld ..." Im Jahr darauf schuf Thome noch einen Kult-Film, "Berlin Chamissoplatz", ein Kreuzberg-Liebesmusical, aus der Frühzeit der Wohnungsmisere. Thomes Kino, gern als poetisch, naiv gefeiert, ist immer politisch. Selbst im idyllischen "Paradiso", wo Hanns Zischler zum Sechzigsten die sieben Frauen seines Lebens zusammenschart, ist vom Balkankrieg die Rede. "Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit anfällt, und dann beliebt er sich unglücklich zu finden" (Goethe). Stellen wir uns Rudolf Thome, der am Donnerstag achtzig wird, als einen glücklichen Menschen vor.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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