Süddeutsche Zeitung

75 Jahre Aufbau:Permanenter Übergang

Vor 75 Jahren wurde der Berliner Aufbau Verlag gegründet.

Von Lothar Müller

Verlagsgeschichten, die nur von Literatur handeln, gibt es nicht. Wenn der Aufbau Verlag an diesem 16. August seinen 75. Geburtstag feiert, blickt er auf die Ruinenlandschaften Berlins im Sommer 1945 zurück, auf die Ära des Kalten Krieges, auf das Ende der DDR vor dreißig Jahren, und die jüngere Vergangenheit, die einmal "Berliner Republik" hieß. In einem Notariat im Westteil Berlins, in einer Straße mit dem schönen Namen "Im schwarzen Grund", wurde der Aufbau Verlag gegründet, im Auftrag des im Juli 1945 gegründeten "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands".

Die Sowjetische Militäradministration erteilte rasch die Lizenz, sorgte für das Verlagsdomizil in der Französischen Straße im Ostsektor. Präsident des Kulturbundes war Johannes R. Becher, dessen "Drei Reden zu Deutschlands Erneuerung" zum ersten Programm 1945 gehörten. Der Verlag war älter als Bundesrepublik und DDR, älter auch als die Währungsreform. Die Grenzen zwischen den Besatzungszonen waren nicht unüberschreitbar. Und es gab eine große Nachfrage. Das trug zum erfolgreichen Take off bei. Alle Titel - darunter Erzählungen von Maxim Gorki, Georg Lukács über "Deutsche Literatur während des Imperialismus", ein Essay des Cheflektors Paul Wiegler über Goethe - erschienen in Auflagen von 10 000 bis 30 000 Exemplaren. Erfolgsbücher wurden "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers, Heinrich Manns "Untertan". Der erste große Bestseller, Theodor Pliviers "Stalingrad" erschien als Lizenzausgabe bei Kurt Desch in München und als "Rotationsroman" bei Rowohlt.

Balzac-Romane ließen sich über die juristischen Abenteuer des Verlags schreiben

Auffächerungen des Programms, Aufbrüche und Rückschläge prägten die Verlagsgeschichte nach Gründung der DDR 1949. Die SED, die ihn als Volkseigentum behandelte, beanspruchte den Verlag als Instrument ihrer Kulturpolitik. Walter Janka, KZ-Insasse, Exilant, Spanienkämpfer, seit 1954 Verlagsleiter, druckte Hemingway, Sartre, ab 1955 erschien, dank eines Abkommens mit Suhrkamp, eine Werkausgabe von Brecht, zugleich bemühte sich Janka um Thomas Mann.

Anfang Dezember 1956, nach der Niederschlagung der Revolution in Budapest, wird er verhaftet, in einem Schauprozess verurteilt. Die Spannung zwischen der offiziellen Kulturpolitik und der ästhetisch-politischen Öffnung, für die er steht, bleibt erhalten, tritt immer wieder zutage, spektakulär, als 1976 Aufbau-Autoren, darunter Stephan Hermlin, Sarah Kirsch, Günter Kunert und Christa Wolf, die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnen. Es ist einer der scheiternden Aufbrüche in eine andere DDR.

Die Schlüsselfigur des Übergangs war der Verlagschef Elmar Faber, Kenner des westlichen Buchmarkts wie der Finessen des Büchermachens in der DDR. Es lag eine gewisse Ironie der Geschichte darin, dass bei der Privatisierung des Verlags im Jahr 1991 die Rolle des Investors mit Bernd F. Lunkewitz besetzt war, einem Immobilienmakler aus Frankfurt am Main, der in seiner Jugend heftig mit der eher maoistisch als sowjetisch orientierten KPD/ML sympathisiert hatte. Balzac-Romane ließen sich über die juristischen Abenteuer des Verlags schreiben, über die verlorenen Illusionen der PDS, die ihn zu besitzen glaubte, über den Ausstieg von Bernd F. Lunkewitz im Jahr 2008. Zugleich entstanden Erfolge in der Anknüpfung an die frühen Jahre. Victor Klemperers "LTI" (1946) über die Sprache des Dritten Reiches fand 1995 eine Fortsetzung in seinen Tagebüchern, Hans Fallada wurde mit der Originalfassung von "Jeder stirbt für sich allein" wieder zum Bestsellerautor. Das war 2011, als der Verlag seinen Neubau am Moritzplatz in Kreuzberg bezog, das Symbol der ökonomischen Konsolidierung seit 2008, als ein neuer Investor, Matthias Koch, die Aufbau Verlagsgruppe übernommen hat. Als Aufbau seinen 70. Geburtstag feierte, hieß der Leiter noch Gunnar Cynybulk. Ihm folgte Constanze Neumann, die gerade das Jubiläumsprogramm vorstellte: mit Han Kangs Roman "Weiß" und Victor Klemperers Kinonotizen "Licht und Schatten".

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SZ vom 14.08.2020
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