Süddeutsche Zeitung

68. Filmfestspiele Venedig:Clooneys Kampf gegen den moralischen Weltgesamtbankrott

Auftakt in Venedig: George Clooney sieht zwar unfassbar gut und entspannt aus, doch er beweist, dass dies nicht alles ist für ihn. In seinem starken Wettbewerbsfilm "The Ides of March" verzweifelt er an der Politik und den Politikern.

Tobias Kniebe

Filmemacher und Filmkritiker, so viel diese beiden Menschentypen sonst trennt, verbindet doch manchmal ein schlechtes Gewissen. Es ist eigentlich immer da, zumindest im Hintergrund.

An wunderschönen, halbverfallenen Orten, und an wunderbar warmen, schummrig beleuchteten Spätsommerabenden - da bricht es dann schon mal richtig hervor. Dann fragen sich beide, während sie sich über Restaurantterrassen zunicken und Kellner rechts und links durchs Bild huschen: Was tue ich eigentlich hier? Müsste ich nicht mehr zum Fortschritt der Welt beitragen? Und ist so ein Filmfestival wie Venedig nicht doch ein bisschen viel der Dekadenz, während anderswo die Jugend die Straßen stürmt, Schuldenstaaten zusammenbrechen und im Grunde doch jeder mit anpacken muss, um den Euro oder den Dollar zu retten?

Prominente Filmemacher antworten auf dieses Problem mit politischem Engagement, etwa in Darfur. Und mit politischen Filmen. George Clooney zum Beispiel wurde am Wochenende noch auf dem Comer See gesehen, da lümmelte er mit Freunden auf seiner Yacht, Cindy Crawford war auch dabei. Clooney sagt aber, auf Yachten im Kreise von Freunden zu lümmeln und dabei unfassbar gut und entspannt auszusehen, könne nicht alles sein. Und wir glauben ihm das sogar. Aktuell investiert er sein Geld, um per Satellitenfotos nach Massengräbern in Sudan zu suchen.

Und er eröffnet das Festival mit einer rabenschwarzen Regiearbeit namens "The Ides of March". Damit gibt er zu verstehen, was er derzeit von der amerikanischen Politik hält, oder genauer gesagt von der Politik im Allgemeinen. Und man schaut sich das an und denkt: oh Mann.

Am Anfang gibt es durchaus so etwas wie eine Lichtgestalt. Mike Morris heißt der Mann. Er ist Demokrat, er will Präsident werden, und er hält Reden, in denen man am liebsten jeden Satz dreimal unterstreichen und dann in Stein meißeln würde. "Die Reichsten in diesem Land", sagt er zum Beispiel unter tosendem Applaus, "müssen endlich ihren fairen Anteil beitragen."

Michael Moore würde durchdrehen vor Glück

Mike Morris verfügt nicht nur über Clooneys Lächeln und seine perfekten Gesichtszüge, er verfügt auch in jeder Situation über sein Charisma. Außerdem hat er den Künstler Shepard Fahey beauftragt, aus seinem Gesicht ein monumentales dreifarbiges Wahlplakat zu gestalten, genau wie damals bei Barack Obama. Michael Moore würde durchdrehen vor Glück und Siegesgewissheit, wenn dies eine reale Kandidatur wäre. Und man fragt sich schon, was da noch schiefgehen soll.

Für Stephen Myers (Ryan Gosling) stellt sich nicht einmal diese Frage. Er ist der junge Pressemann der Kampagne, er bereitet gerade den Sieg bei den demokratischen Vorwahlen in Ohio vor, er ist smart und erkennbar gut in seinem Job. Vor allem aber ist er ein Idealist, der wirklich an seinen Kandidaten glaubt, der das Land verändern und den Niedergang Amerikas aufhalten will.

Eine abgebrühte Reporterin der New York Times (Marisa Tomei) warnt ihn. "Morris ist ein Politiker", sagt sie - "früher oder später wird er dich hängen lassen." Stephen glaubt ihr nicht. Er weiß, dass die Welt nur erobert werden will, genau wie die hübsche zwanzigjährige Praktikantin aus hochangesehener Politikerfamilie (Evan Rachel Wood), die in seinem Büro arbeitet - und er erlaubt es sich, das alles für einen Moment zu genießen.

Man darf jetzt natürlich nicht verraten, wie genau sich all diese Dinge in ihr Gegenteil verkehren. Wie eiskalt Stephen ausgetrickst und dann fallengelassen wird, von den älteren Kampagnenmanagern, die alle schmutzigen Tricks des Gewerbes beherrschen. Und wie eiskalt er darauf reagiert. Es reicht zu wissen, dass alles, was da passiert, so oder ähnlich tatsächlich bereits in echten amerikanischen Wahlkämpfen passiert ist.

Es geht also weder um reine Erfindung noch um schmutzige Phantasie. Am Ende rollt der Zug der Kampagne weiter, wie es aussieht einem unaufhaltsamen Sieg entgegen. Nur klingt jetzt das Wort "Integrität", das da gerade in die Mikrofone der Welt deklamiert wird, vollständig hohl. Und das Wort "Anstand", das ihm folgt, hallt wider, verzerrt vom Höllengelächter des Hohns.

Die Frage, die sich nach diesem starken Auftakt allerdings stellt, liegt nahe: Wenn das die Wahrheit über die Politik ist, so wie George Clooney sie inzwischen sieht - worauf soll man dann überhaupt noch hoffen? Warum richten sich dann alle Augen noch immer auf die Staatslenker und Regierungschefs, auf die gewählten Führer, die den Kapitalismus noch einmal zähmen, den Weltgesamtbankrott noch einmal abwenden, für uns alle die Eisen noch einmal aus dem Feuer holen sollen? Oder anders ausgedrückt: Warum tut sich George Clooney diesen Stress mit Darfur und mit dem politischen Kino noch an, warum beschließt er nicht einfach, für immer auf dem Comer See zu lümmeln und der bestaussehende Rentner der Welt zu sein? Diese Frage ist in der Tat nicht leicht zu beantworten, wenn man aus "The Ides of March" kommt und am stillen, fauligen Kanal hinter dem Casino entlangtrottet.

Unterschied zwischen Kunst und Politik

George Clooney ist wahrscheinlich zu klug, um sie direkt zu beantworten. Wenn er es täte, würde er vermutlich etwas vom Unterschied zwischen Kunst und Politik murmeln, und dass der Künstler, anders als der verantwortungsvolle Politiker, die Misere der Welt drastisch überzeichnen darf.

Der verantwortungsvolle Bürger schließlich, da kommt auch wieder der Filmkritiker ins Spiel, soll bei Worten wie Integrität und Anstand einfach so wenig wie möglich glauben, dann aber trotzdem wählen gehen. Ansonsten ist es seine Aufgabe, gerade dort sinnvolle Arbeit zu leisten, wo ihn das Leben nun mal hingestellt hat. Damit lässt sich, selbst in Venedig an einem lauen Sommerabend, das schlechte Gewissen fürs Erste beruhigen.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2011/caja/gba
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