Süddeutsche Zeitung

64. Filmfestival Cannes: Midnight in Paris:Größe und Vergeblichkeit

Mit Woody Allens neuem Film "Midnight in Paris" mit Carla Bruni wurde am Mittwochabend das 64. Filmfestival in Cannes eröffnet. Eine Sehnsucht nach romantischen Klischees, die er sich in New York nie erlauben würde?

Tobias Kniebe

Auch das ist ein Cannes-Gefühl, das einen gleich am ersten Tag überfallen kann: Ganz gleich, wie sehr man sich auf die neuen Filme freut - früher muss doch alles größer, glamouröser, bedeutungsvoller gewesen sein.

Das Billboard am Carlton Hotel kündigt "Schlümpfe 3D" an, und auf dem Bootssteg werben zwei Riesenplastikstiefel für Dreamworks' "Gestieftelten Kater". Mal ehrlich: Wäre man da nicht lieber schon beim ersten Festival dabeigewesen, im September 1939?

MGM hatte einen "Ozeandampfer der Stars" geschickt, mit Tyrone Power, Gary Cooper, Norma Shearer, der berüchtigten Mae West und vielen anderen. "Der Zauberer von Oz" und "Only Angels Have Wings" liefen - und ja, als Werbeaktion am Strand gab es eine Notre-Dame-Kathedrale aus Pappe, für Dieterles "Glöckner von Notre Dame". Dann kam Hitler und der Überfall auf Polen, das Festival wurde abgebrochen - und doch: Tauschen würden wir jederzeit.

Woody Allen kennt dieses Gefühl sehr genau, da sind wir jetzt sicher. Sein "Midnight in Paris" handelt davon. Alles beginnt mit quäkenden alten Jazztrompeten und einem derart postkartentouristischen Parisbilderbogen zwischen Moulin Rouge und Eiffelturm, dass gleich die schlimmsten Befürchtungen aufkommen: Wird Allen hier eine hirnerweichende Sehnsucht nach romantischen Klischees ausleben, die er sich in New York nie erlauben würde?

Sein Held jedenfalls, der amerikanische Drehbuchschreiber und Möchtegern-Romanautor Gil (Owen Wilson), ist mit seiner pragmatischen Verlobten (Rachel McAdams) und deren Eltern in der "Stadt der Liebe" - und geht allen mit seiner Schwärmerei schnell auf die Nerven. Den Zuschauern auch, aber dann sitzt er eines Nachts auf einer Treppe an der Rue Montagne St. Geneviève. Die Turmuhr schlägt Mitternacht, ein mysteriöser, festlich beleuchteter Oldtimer-Kastenwagen hält an, lachende Menschen nötigen ihn einzusteigen - und ein Traum wird wahr.

Kurz denkt Gil noch, man habe ihn auf eine Roaring-Twenties-Kostümparty verschleppt. Aber dann trifft er ein junges Paar namens Zelda und Scott, und es sind, ganz im Ernst, Zelda und F. Scott Fitzgerald. Cole Porter sitzt am Klavier, dann kommt schon Hemingway, später folgen Gertrude Stein und Picasso, dann Dalí, Buñuel, Man Ray, und so fort.

Zelda ist bezaubernd, launisch und immer betrunken, Hemingway haut einen Machospruch nach dem anderen raus, Gertrude Stein gibt mütterliche Ratschläge, Dalí faselt von Nashörnern. Ein paar Minuten lang ist man, ganz wie der Held, sprachlos über so viel Anmaßung, überhaupt in dieser Runde dabeizusein. Dann macht man sich locker, Marion Cotillard taucht als Künstlermuse auf, und die Sache wird recht vergnüglich.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was Carla Bruni zu tun hat.

Aber sie ist mehr als das. Schnell spürt man, dass hier ein nicht mehr ganz junger Filmemacher letztlich auch über seinen eigenen Platz in der Filmgeschichte reflektiert, wo er sich selbst - das hat er oft gesagt - nur die Note B geben würde. Eben keiner der ganz Großen, einer, der die Sehnsucht noch kennt, in einer anderen Zeit gelebt, zwingendere Mittel des Ausdrucks gefunden zu haben.

Und das Paradoxe ist: Indem Woody Allen sich erstmals seit Jahren nicht mehr dem tragikomischen Zeitvertreib in London, Barcelona oder New York hingibt, sondern dieses Problem des alternden Künstlers ganz direkt angeht - in diesem Moment kommt er der Größe seiner Götter schon wieder viel näher, als er vermutlich ahnt.

Genie und Mittelmaß, Größe und Vergeblichkeit - die Franzosen dankten es Allen mit warmem Applaus, dass er sich gerade Paris ausgesucht hatte, um diesen Erkenntnissen auf so leichte und doch klarsichtige Weise nachzuspüren.

Dass Carla Bruni und Nicolas Sarkozy, lange voll Spannung erwartet, bei der Eröffnungsgala dann fehlen, war schließlich auch kein Problem. Bruni spielt, mit doch etwas laientheaterhaftem Einsatz der Hände, eine Führerin im Rodin-Museum, die dem Amerikaner in Paris auch mal als Übersetzerin aushilft. Ihre Rolle ist aber ganz in der Gegenwart verankert, nicht in der großen Vergangenheit. Und was davon zu halten ist, das macht die Muse Marion Cotillard dem Helden einmal unmissverständlich klar: "Ach, die Gegenwart - die ist doch langweilig."

Ein Verdikt, das umso schwerer wiegt, wenn man die Fortsetzung der Geschichte bedenkt, die Woody Allen - ganz auf Paris fixiert - verschweigt. In den Goldenen Zwanzigern wurde die Hauptstadt im Sommer auch schnell mal zu langweilig. Cole Porter war es vermutlich, der als erster auf die Idee kam, auch mal eine Villa am Cap d'Antibes zu mieten, nur ein paar Kilometer von Cannes entfernt. Ihm folgten Gerald und Sara Murphy, die berühmtesten Gastgeber der Dekade, die dafür sorgten, dass das Hotel du Cap den Sommer über geöffnet blieb. Picasso, Hemingway, Gertrude Stein und all die anderen folgten ihnen an die Riviera, und Zelda und F. Scott Fitzgerald, der später alles in "Tender Is the Night" verewigte.

Sollten Sie also in den nächsten Tagen gegen Mitternacht in Cannes vorbeikommen und einen sehnsuchtsvollen Kritiker am Quai des alten Hafens sitzen sehen, der auf eine festliche beleuchtete Oldtimer-Barke wartet, die ihn in eine andere, bessere Zeit entführen wird - dann wissen Sie Bescheid.

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SZ vom 12.05.2011/rus
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