Süddeutsche Zeitung

63. Filmfestival Cannes:Prosit Weltschmerz!

Während Kulturstaatsminister Neumann prunkt und prostet ist die Stimmung der Filme eher mies. Aber ein paar Tage bleiben ja noch für den Widerstand gegen den inneren Jammerlappen.

T. Kniebe

Wer auch immer der umtriebige Geist im Hintergrund ist, der hier in Cannes die Auftritte unseres Kulturstaatsministers arrangiert - er muss gewisse Ambitionen als Regisseur haben. Beim traditionsreichen deutschen Empfang wurde Bernd Neumann diesmal auf ein Podest am Strand des Carlton Hotels platziert, das so prominent unter freiem Himmel aufgebaut und grell erleuchtet war, dass der Politiker, das nächtliche Meer im Rücken, seine aufmunternden Worte zur Vitalität des Kinos nicht nur zu den Gästen der eigenen Party sprach.

Nichts ohne die Politik

Er war noch meilenweit auf der Uferpromenade zu sehen und zu hören, und er nahm dabei gleich die ganze Stadt in den Blick. Cannes wäre nichts mehr ohne die Politik, sollte das wohl heißen. Und es stimmt ja auch. Ohne den breiten Zustrom von Subventionen, der alljährlich an die Côte d'Azur fließt, ohne öffentliche Gelder wäre hier tatsächlich nur halb so viel los. Speziell der deutsche Steuerzahler unterstützt dabei keineswegs nur die Arbeit deutscher Regisseure.

Man kann auch Ukrainer sein und in Berlin leben, um einen russischsprachigen Wettbewerbsbeitrag finanziert zu bekommen, eine rein südafrikanische Geschichte war diesmal auch kein Problem, und so fort. Selbst enthusiastische Internetreporter und junge Dotcom-Unternehmer sind, wie sich im Gespräch herausstellt, vor allem dank großzügiger EU-Förderung hier; und würde man die lange Reihe der Strandpavillons, in denen ungezählte Nationen ihre staatlichen Förderprogramme anpreisen, entlangspazieren und pro Land ein Gläschen Champagner trinken - man hätte bis zur Alkoholvergiftung höchstens ein Drittel geschafft.

Nicht kämpferisch, sondern resignativ

Wir halten durch, wir sind immer noch da, wir haben trotz allem Spaß - und unsere Fördergremien und Regierungen werden uns schon nicht im Stich lassen. Das ist in diesem Jahr die Botschaft. Es soll sogar wieder aufwärts gehen, heißt es, der Filmmarkt meldet erste prominente Verkäufe. Lange kann das mit der Krise also nicht mehr dauern. Wenn bloß die Filme nicht so deprimierend wären.

Besonders die Beiträge des Wettbewerbs sind weiterhin von einem Pessimismus durchzogen, den man kaum noch beschreiben kann, ohne in tägliche Redundanz zu verfallen. Im Einzelnen können das sogar überzeugend erzählte Geschichten sein, aber in der Wiederholung und Zusammenballung verstärken sie sich nicht etwa gegenseitig, sondern erzeugen Überdruss. Es wirkt, als seien die weltpolitischen Schocks der letzten zwei Jahre, gefiltert durch sensible Künstlerseelen, erst jetzt mit voller Wucht im Kino der Cineasten angekommen. Der Grundton ist dabei allerdings nicht etwa kämpferisch, sondern resignativ. Die Filmemacher, mit ihrer jeweils individuellen Erschütterung angereist, finden sich plötzlich als Teil einer ziemlich traurigen und wenig originellen Herde wieder.

Mörderische Kreaturen

Da ist im Wettbewerb zum Beispiel Sergei Loznitsa mit seinem Schastye Moe / Mein Glück, der in Russland spielen soll, aber hoffentlich keine Meditation über das Wesen der russischen Seele ist. Sonst müsste man schließen, dass der Russe, selbst das alte Mütterchen am Wegesrand, eine von Grund auf herz- und gefühllose, gern auch mörderische Kreatur ist.

Ob einem Erfrierenden da ein Scheit Brennholz verweigert, ein Kriegsheimkehrer ausgeraubt, ein gastfreundlicher Familienvater von Soldaten ermordet wird - jede dieser Geschichten, die sich entlang eines Roadmovies aufreihen, nimmt mit unausweichlicher Logik immer die schlimmste denkbare Wendung. Warum das so sein muss, wird nicht ganz klar, aber ein paar historische Rückblenden deuten immerhin eine Erklärung an: Das Land zwischen Smolensk und Moskau, sagt Loznitsa, ist immer noch in dem emotionalen Wolfszustand gefangen, in den Hitlers Vernichtungsfeldzug es seinerzeit zurückgeworfen hat.

Ende der Realtitätsflucht

Gefühllosigkeit, Verrohung und Opportunismus plagen aber auch die koreanische Gesellschaft, wenn man Lee Chang-dongs wesentlich subtilerem Wettbewerbsbeitrag Poetry folgen will. Man merkt das nicht sofort, weil die Hauptfigur eine freundlich plappernde alte Lady ist, die eine Art Volkshochschulkurs besucht, um - zunächst offenbar vergeblich - die Kunst des Gedichteschreibens zu erlernen.

Bald muss sie jedoch erfahren, dass ihr halbwüchsiger Enkel mit seiner Jungsclique daran beteiligt war, eine Mitschülerin zu vergewaltigen und in den Selbstmord zu treiben. Die Versuche der Großmutter, so etwas wie ein Gewissen in dem gar nicht mal auffällig renitenten Jungen zu wecken, scheitern derart kläglich, dass sie am Ende nicht in ihrer freundlichen Realitätsflucht verharren kann. Als sie am Ende ein Gedicht zu Papier bringt, ist dies auch die Ankündigung einer Verzweiflungstat ...

Düstere Meditationen

Von all den düsteren Meditationen der letzten Tage hat Poetry sicher die Chance, am längsten nachzuwirken - weil Lee Chang-dongs Geschichte die am wenigsten konstruierte ist, weil seine Stimmungen gerade in ihrer Verhaltenheit und scheinbaren Zerstreutheit die größte Kraft entfalten. Letztlich geht es dabei auch um die Frage, wie der Dichter - oder überhaupt der Künstler - sich der Wahrheit stellen kann.

Dass es dabei durchaus andere Möglichkeiten gibt, als dem eigenen Weltschmerz hemmungslos nachzugeben, dass auch im Widerstand gegen den inneren Jammerlappen eine große Tradition des Künstlertums und speziell des Kinos liegt - diesen ewig wahren Gedanken aus Preston Sturges' Sullivan's Travels müssten sich jetzt allerdings auch die Autorenfilmer der Welt mal wieder dringend wieder hinter die Ohren schreiben. Vielleicht schafft es sogar hier in Cannes noch einer, den Trend triumphal zu durchbrechen - ein paar Tage bleiben dazu ja noch.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2010/nvm
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