62. Filmfestival Venedig:Das große Favoritensiegen

Ang Lees bewegender Schwulenwestern "Brokeback Mountain" wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und damit seiner Favoritenrolle gerecht.

Susan Vahabzadeh

Die ganze Zeit wurde gemunkelt, eine Jury unter dem großen Scorsese-Ausstatter Dante Ferretti sei komplett unberechenbar - aber nun kam ein Ergebnis heraus, das man so nach drei, vier Tagen prophezeit hat: Ein Löwe für Ang Lees "Brokeback Mountain", einen wahrhaft bewegenden Schwulenwestern.

Ang Lee
(Foto: Foto: dpa)

Und für George Clooneys McCarthy-Drama "Good Night, and Good Luck" - ein Film, der ganz und gar ist, was er predigt - der Drehbuchpreis und die Coppa Volpi für Hauptdarsteller David Strathairn. Das ist das große Favoritensiegen. Der Indie-Veteran Strathairn war halt nicht schön genug fürs große Hollywood - aber für seinen großartigen, bewegenden Auftritt als Journalist, der McCarthy die Stirn bietet, hat er die Coppa Volpi voll verdient. Und in seinen dunklen Augen hat schon immer etwas gefunkelt, was auch Clooney selbst hat.

Ang Lee wiederum hat sich an ein Liebesdrama unter Männern gewagt mit unglaublicher Kraft - zu den wenigen Lee-Hassern in Venedig gehörte die ultralinke Tageszeitung Manifesto, die wetterte, mit diesem Film könne man den Amish die Schwulenehe verkaufen. Na, wenn's weiter nichts ist.

Viele Filme außer Konkurrenz

Wenn jetzt genörgelt wird an diesem Wettbewerb, hat das auch mit der Abfolge zu tun, denn mit den beiden großen Siegern hat er begonnen vor zehn Tagen. Warum auch immer der Festivalchef Marco Müller mit seinen stärksten Beiträgen einsetzte und dann am Ende einen italienischen Film nach dem anderen zeigte - Giovanna Mezzogiorno bekam für "La bestia nel cuore" die andere Coppa Volpi, was gerade so in Ordnung geht -, es blieb bei dieser Reihenfolge am Ende ein schlechterer Eindruck als nötig.

Es gibt noch eine Merkwürdigkeit anzumerken zu diesem Programm. Es liefen bei dieser Mostra fast so viele Filme außer Konkurrenz wie im Wettbewerb vertreten waren. Manches wäre entbehrlich gewesen - "Das Comeback" mit Russell Crowe war am Lido so überflüssig wie der Gespensterfilm "Fragile" mit Calista Flockhart. Aber manche Entscheidungen haben eben mit dem Rahmen der Möglichkeiten zu tun.

Tim Burtons großartiger Puppentrickfilm "Corpse Bride" beispielsweise hat sich nicht um einen Preis beworben - obwohl Marco Müller das lieber gewesen wäre. "Ich halte den Film für ein Meisterwerk - aber Tim wollte partout nicht in den Wettbewerb, und da ist man machtlos." Verzichten wollte er nicht drauf. Vielleicht ist das auch ganz gut so - das Festival ist nicht als Machtdemonstration des amerikanischen Kinos gedacht. Wobei der Rest der Welt, Laurent Cantet mit "Vers le sud" oder Kitano mit "Takeshi's", sich nicht gerade in Hochform präsentiert hat - hat das Kino vor den amerikanischen Erzählstrukturen kapituliert?

Fehlende Kontroversen

Soll man auf ein sehr offen zugängliches Kino, das es einem leicht macht, das seine Absichten unverhüllt vor sich herträgt, mit einem reagieren, das selber nicht mehr zu wissen scheint, was es eigentlich will? Dass es nicht so sein muss, hat der alte französische Held Philippe Garrel bewiesen, der für "Les amants réguliers" den Regiepreis bekam - sperrig ist sein Film über die Studentenrevolte von 1968 sicherlich, aber jede seiner Wendungen ist durchdacht.

Die großen Kontroversen, die Filme, über die man sich die Köpfe heiß reden kann, haben gefehlt. Letztes Jahr wirkte die Auswahl sehr glamourös, aber ein wenig unpolitisch. Das kann man in diesem Jahr nicht behaupten: Garrel und Clooney, der Dokumentarfilm "Workingman's Death" von Michael Glawogger - nur kann man auch politische Filme so machen, dass sie nicht wirklich kontrovers sind. Wenn Clooney von McCarthy erzählt und den Patriot Act meint, rennt er in Europa offene Türen ein. Die Debatte, die er anzetteln möchte, wird in den USA stattfinden müssen.

Aber diese Filme sind trotzdem Teil der Lösung, nicht des Problems. Es war insgesamt, fürs ganze Kino, kein besonders gutes Jahr. Bei der Berlinale hatte es geheißen, im Programm gebe es so wenig Highlights, weil den Kampf um die tollsten Filme Cannes-Chef Thierry Frémaux gewonnen habe; der hatte, wie sich dann im Mai herausstellte, aber auch nur ein paar davon ergattert. Nun heißt es, die großen Dinger würden erst in den nächsten Tagen in Toronto laufen - aber auch da heißt es abwarten, vielleicht kann auch Toronto diese Filme nicht herbeizaubern, vielleicht wurden sie einfach nie gedreht.

Es ist auch keineswegs so, als wären die Nebenreihen voller Kleinodien gewesen, die man sich im Wettbewerb gewünscht hätte. Die "Orizzonti" in Venedig sollen sich per definitionem neuen Strömungen im Kino widmen. Nichts gegen Herzogs "The Wild Blue Yonder" und Philip Grönings "Die große Stille" und Liev Schreibers "Everything Is Illuminated" - aber wo sich in diesen Filmen die neuen Strömungen verbergen könnten, bleibt ein Mysterium.

Die Mostra lief, anders als im letzten Jahr, ohne Pannen ab, und ein sehr publikumsfreundliches Festival ist Venedig geworden im zweiten Jahr nach Müllers Amtsübernahme - ganz normale, ungeladene kinoliebende Besucher können, für 8 bis 25 Euro, Karten für die großen Galas kaufen - in Cannes klagen die Einwohner immer, dass sie es selbst nie in den riesigen Festivalpalast schaffen, in dem so viel mehr Platz ist als in der Sala Grande von Venedig.

Bizarres Fest im Excelsior

Die Mostra braucht trotzdem einen neuen Festivalpalast - das Modell dafür ist auf der Suche nach 120 Millionen Euro, um Wirklichkeit zu werden. Wann es soweit ist, steht in den Sternen, dabei droht noch mehr Druck - in Rom wird, als zusätzliche Belastung für Toronto, auch noch ein Konkurrenz-Festival geplant, das im Oktober 2006 erstmals stattfinden soll. Venedig braucht einen Filmmarkt, und die entsprechenden Räume dafür. Wettbewerb, Orizzonti und Nebenreihen bieten mengenmäßig nicht genug für die Einkäufer aus aller Welt. Wenn die nicht da sind, ein Teufelskreis, ist es schwieriger, gute Filme zu bekommen - die laufen dort, wo die Einkäufer sind.

Am vorletzten Abend gab es noch ein bizarres Fest im Excelsior, bei dem die Gipsy Kings, eine libysche Band mit Bauchtänzerinnen und 50 Cent schönen, aber ohrenbetäubenden Lärm machten, während sich die Gäste Kaviar aus gigantischen Salatschüsseln auf die Teller häuften. Gastgeber war ein in Italien lebender Fußballspieler - Gaddafis Sohn Mutassim.

Und der Anlass, stand in örtlichen Zeitungen, sei, dass er den Festivalpalast ein bisschen mitsponsern möchte, was er sich sicher leisten könnte. Bei der Mostra hielt man sich aber bedeckt in dieser Sache. Die Vorstellung, dass es dann künftig auch auf den Eröffnungsfesten Bauchtanz gibt und das zentrale Kino vielleicht Sala Gaddafi statt Sala Grande heißt, ist auch allzu merkwürdig - wird auch, keine Sorge, nicht passieren. Aber vielleicht macht mal jemand einen Film draus.

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