60. Berlinale:So kalt, so wahnsinnig

"Ich liebe dich", sagt er lächelnd, während er sie zu Brei schlägt: "The Killer inside me" ist grenzwertig - aber endlich mal wieder ein Film, der einfach eine Geschichte erzählen will.

S. Vahabzadeh

Die Bärenfrage bleibt offen - es gibt bei dieser Berlinale keine klaren Favoriten, und es ist auch gar nicht so einfach, sich vorzustellen, was dem Jurypräsidenten Werner Herzog gefallen haben mag. Etüden in Langsamkeit und Lehrstücke, ein bisschen viel Schwarzbrot hatte der Wettbewerb im Mittelteil zu bieten, mal abgesehen von "Jud Süß - Film ohne Gewissen", dem man alles mögliche vorwerfen kann, nur nicht, er sei langweilig.

60. Berlinale: Unschuldiges Babyface mit sadomasochistischen Trieben: Casey Affleck mit Kate Hudson in "The killer inside me".

Unschuldiges Babyface mit sadomasochistischen Trieben: Casey Affleck mit Kate Hudson in "The killer inside me".

(Foto: Foto: Reuters)

Es ist dann jedenfalls ganz erholsam, wenn man zum Abschluss des Wettbewerbs an ein paar Filmemacher gerät, die einfach nur Geschichten erzählen wollen, Charaktere aus Papier zum Leben erwecken, bis sie einem zu Herzen oder wenigstens an die Nieren gehen; Filmemacher, denen ein paar Bilder eingefallen sind, die einen für ein paar Augenblicke selig machen.

Gérard Depardieu steuert auf Brando-Maße zu

Wie ist das, beispielsweise, wenn die Schiffschaukelbremser der Siebziger in die Jahre kommen? Das ist vielleicht keine zentrale Frage, die die Welt bewegt, aber manchmal verleiht die Antwort einer Frage eben neues Gewicht.

"Mammuth" ist der einzige französische Film im Wettbewerb: Gérard Depardieu, der um die Taille auf Brando-Maße zusteuert, spielt mit ungeheurer Selbstironie und ohne jeden Funken Eitelkeit einen Kerl, der nicht ohne Grund Mammuth genannt wird - ein massiges Relikt, das von einer anderen Zeit erzählt. Er hat immer gearbeitet seit er 16 war, und da sitzt er nun, in den Ruhestand geschickt, wie ein schmuddeliger Sumo-Ringer, aber die Haare immer noch bis zur Hüfte, man muss ja schließlich das, was man noch hat, in Szene setzen.

Ein Puzzle hat er bekommen als Abschiedsgeschenk von den Kollegen im Schlachthof. Na, sagt seine Frau, ihr seid euch ja in den Jahren so richtig nahe gekommen. Alles, was er nun anfängt, macht er auf sehr komische Art falsch, und weil er dringend einige Papiere beibringen muss, die seine Gelegenheitsjobs in jungen Jahren belegen, um Rente zu bekommen, schickt ihn seine genervte Frau auf eine Reise quer durch seine Jugend.

Der schönste Film des Wettbewerbs

Die Reise ist ein Farbenrausch, man sieht die Landschaft so wie er sie sieht, von seinem 73er Motorrad aus - Bruchstücke seiner Erinnerung tauchen auf, Geräusche, das Gesicht der toten ersten Freundin (es ist das Gesicht von Isabelle Adjani). Einmal findet er ein abgelegenes Lokal, in dem er einmal gearbeitet hat - leer und verfallen, aber man kann hören, wie das vor dreißig Jahren von Leben erfüllt war.

Überhaupt ist "Mammuth", inszeniert und geschrieben vom Regie-Paar Benoît Délépine und Gustave Kervern, voller bizarrer Einfälle - die versponnene Nichte, die Kunst aus massakrierten Puppen macht, ein Kerl, der jeden Morgen am Strand Kleingeld mit einem Metalldetektor sucht. Bilder von melancholischem Zauber, manchmal glasklar und manchmal wie Super-8-Filme aus der Vergangenheit.

Was man da sieht, das sind die Mosaiksteinchen eines Lebens, in dem vieles schlecht gelaufen ist - und das Mammuth doch nach Kräften genossen hat. Und Gérard Depardieu macht aus diesem Kerl, dem keiner je wirklich eine Chance gegeben hat, eine rührende und faszinierende Figur. "Mammuth" wäre, würde er nicht am Ende doch ein wenig konfus wirken, der schönste Film dieses Wettbewerbs.

Ein verborgenes Talent

Vielleicht ist Geschichtenerzählen wie Puzzlespielen, jedenfalls hat der Reiz, genau die richtige Stelle zu finden, um einzelne Teile einzufügen, noch einen Film inspiriert: "Rompecabezas" der Argentienierin Natalia Smirnoff. Ihre Heldin ist wahrhaftig eine Vertreterin des anderen Geschlechts, von Natur aus beigeordnet.

In der Eingangssequenz rackert sie sich ab in der Küche bei einer Party, brät und kocht und bedient - und man ist dann etwas erschrocken, als sie die Torte aufträgt und sich das Fest als ihr eigener fünfzigster Geburtstag erweist. Sie hat ein Puzzle geschenkt bekommen, und entdeckt, als sie sich daran versucht, ein verborgenes Talent. Wie sie dann auf der Suche nach etwas, was sie besonders macht, fündig wird, erst heimlich und dann bei Puzzleturnieren, wie sie selbstbewusster und entspannter wird - das hat Smirnoff ganz ruhig und mit viel Sinn für Zwischentöne inszeniert.

Bei dem britischen Regisseur Michael Winterbottom, der "The Road to Guantanamo" gemacht hat und "Welcome to Sarajevo", weiß man vorher nie so recht, was man kriegt - der ist manchmal subtil und dann wieder überdeutlich, humorvoll oder bierernst, er wechselt hin und her zwischen Genrefilmen und Politkino, macht manchmal gar Dokumentarfilme.

Ein Psychopath, den alle für einen netten Kerl halten

Mit der auf Tatsachen beruhenden Afghanistan-Entführungsstory "A Mighty Heart" mit Angelina Jolie hat er versucht, das alles miteinander zu verkuppeln - es wurde aber keine sehr glückliche Dreiecksbeziehung daraus. Sein neuer Film "The Killer Inside Me" ist nun ganz klar Genrekino, nach einem Roman des amerikanischen Krimiautors Jim Thompson, mit dem Kubrick seine ersten Drehbücher geschrieben hat.

Casey Affleck mit seinem unschuldigen Babyface ist eine gute Besetzung für die Hauptfigur: Lou Ford, Sheriff in einem texanischen Kaff in den Fünfzigern, ist ein Psychopath, den alle für einen netten Kerl halten. Er schmiedet einen Mordplan, mit dem er seinen toten Bruder rächen will; die Prostituierte Joyce (Jessica Alba), mit der er gerade seine sadomasochistischen Triebe auslebt, muss er dafür opfern - das tut mir so leid, ich liebe dich, sagt er lächelnd, während er sie zu Brei schlägt.

Später, als ihm jemand auf die Schliche kommt, muss auch noch seine Verlobte dran glauben. Winterbottoms Gewaltdarstellung ist wirklich grenzwertig, am Rande des Erträglichen. Aber er braucht sie, um diesen Charakter zu zeichnen, diese beängstigende Figur, so kalt und so wahnsinnig.

In kleinen Flashbacks sieht man, wie Lou auf den Weg in diesen Wahnsinn gebracht wurde - aber Winterbottom schafft es dann doch, den Unterton von Entschuldigung zu vermeiden. Und obwohl die Gewaltszenen so krass sind, hat er hier zum Subtilen zurückgefunden - letztlich zeigt er uns doch die Welt, wie er sie sieht: brutal und unfair, und manchmal ist man dem Wahnsinn seiner Mitgeschöpfe schutzlos ausgeliefert.

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