50 Jahre Rolling Stones:Lärmen, rocken, randalieren

Die "Rolling Stones" sind der Inbegriff von Gigantonomie und Stadionrock, eben die größte Rock-Band der Welt. Auf ihrem Siegeszug, der vor 50 Jahren seinen Anfang nahm, hinterließen sie aber auch eine Spur der Verwüstung.

Willi Winkler

Der Sänger trägt eine Art Rock, schneeweiß ist er oder doch eher frottee, es muss das Konzert vom 5. Juni 1969 im Hyde Park sein, veranstaltet zum Gedächtnis von Brian Jones. Sie stellen ihren neuen Gitarristen Mick Taylor vor und lassen sich als "größte Rock-'n'-Roll-Band der Welt" anpreisen, was sie mit "Midnight Rambler" und "Love In Vain" und "Honky Tonk Women" auch gleich beweisen werden. Erst aber steigen Abertausende weiße Schmetterlinge auf, und der so aufreizend berockte Mick Jagger rezitiert die Ode von Percy Bysshe Shelley, die der für seinen Freund Keats geschrieben hat: "Peace, peace! He is not dead, he doth not sleep / He has awakened from the dream of life."

50 Jahre Rolling Stones: Um keinen Preis der Welt eine "Rock-'n'-Roll-Truppe", sondern unkommerziell: Keith Richards und Mick Jagger 1977 in London.

Um keinen Preis der Welt eine "Rock-'n'-Roll-Truppe", sondern unkommerziell: Keith Richards und Mick Jagger 1977 in London.

(Foto: AFP)

Aber Brian ist wirklich tot, und er war, ehe er im Swimmingpool ertrank oder - wie nicht wenige Treue glauben - heimtückisch ertränkt wurde, wegen chronischer Unzuverlässigkeit aus der Band geschmissen worden. Rock 'n' Roll schön und gut, aber auch nach der übelsten Orgie musste der nächste Auftritt klappen. Unpünktlichkeit gab es nicht, das wusste der ehemalige Student an der London School of Economics, Michael Philip Jagger, aber ganz genau zu verhindern, und darum musste der geniale, der schöne, der einzigartige Brian Jones aus der Band entfernt werden. Mit den Schmetterlingen vom Hyde Park und über den Leichnam von Brian Jones hinweg steigt die Band auf, die heute der Inbegriff von Gigantomanie und Stadionrock ist, eben die größte Rock-Band der Welt.

Der Chronist kann bürokratisch genau das Gründungsdatum für die heute weltweit operierende Firma The Rolling Stones Ltd. nachweisen. Es begab sich am 12. Juli 1962, dass der Band- und Blues-Leader Alexis Korner einen Auftritt bei der BBC hatte, an diesem nämlichen Donnerstag aber gleichzeitig in den Marquee Club gebucht war. An seiner Stelle kamen Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones sowie der Pianist Ian Stewart zum ersten Mal zusammen auf die Bühne. Sie wollten um keinen Preis der Welt als "Rock-'n'-Roll-Truppe" gelten, erklärte Mick Jagger in seinem ersten Interview, sondern unkommerziell sein. Bill Wyman kam als Bassist dazu, und ein halbes Jahr später schloss sich Charlie Watts am Schlagzeug an. Ian Stewart war ihrem Manager zu hässlich. Er durfte zwar weiter Klavier spielen und die Tourneen organisieren, aber er passte nicht ins Bild einer Gruppe von jugendlichen Delinquenten, denen vom Handtaschenraub bis zum Bahnhofsstrich alles zuzutrauen war.

Sie spielten den Blues, den in England keiner kannte, und sie brachten den Blues zurück nach Amerika, wo ihn keiner gewollt hatte, weil er von den Schwarzen kam, und natürlich pfiffen sie auf ihr Gelöbnis und wurden größer, gewaltiger und kommerzieller als alles, was die Welt bis dahin an Popmusik gesehen hatte.

Laut, böse und gegen die Erwachsenen

Zum Jubiläum der Rolling Stones gibt es keine Tournee, aber dafür einen sogenannten "offiziellen" Prachtband, für den die Bandmitglieder alte und nicht immer besonders originelle oder auch nur gute Fotos kommentiert haben. (The Rolling Stones 50. Über 1000 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe. Prestel Verlag, München 2012. 352 Seiten, 49,95 Euro). Er zeigt merkwürdige Kostüme, gewagte Frisuren und Gesichter, die keiner mehr kennt: halbverhungerte Buben aus Südengland, die sich alle Mühe geben, böse zu wirken, zeigt sie im Studio, auf der Bühne, mit schönen Frauen. Nur die Musik zeigt das Buch nicht. Ohne Musik wäre aber alles nichts geworden, wären sie nicht die weltgrößte Band geworden, hätte es die Frauen nicht gegeben, nicht die legendären Orgien und die Drogen, wäre Brian Jones nicht gestorben und der vielfach süchtige Keith Richards nie zu der wunderlichen Squaw avanciert, die von den Mittelklassejungs der ganzen Welt wegen ihres bewegten Lebens angehimmelt wird. Ohne die brutale Gewalt der Riffs von "The Last Time" oder "Satisfaction" redete heute keiner mehr von den Rolling Stones.

50 Jahre Rolling Stones und - bislang - keine grosse Feier

Jeder Depp kann sich deshalb gescheit vorkommen, wenn er das Alter der noch aktiven Bandmitglieder Jagger (im Bild bei einem Auftritt 1972 in Houston), Richards, Watts sowie Ron Wood zusammenrechnet. Oder ihnen ihre gigantischen Vermögen vorhält.

(Foto: dapd)

Zur Deutschland-Tournee 1965 fällt den anonymen Kompilatoren des Bildbandes nur ein, dass sie von der Zeitschrift Bravo "unterstützt" worden sei. Bravo hat damit allerdings lebensnotwendige Entwicklungshilfe geleistet. 1965 gab es in der Bundesrepublik nur den schlimmsten Schlagerdreck zu hören, und ein unterlassener Gang zum Friseur zog sofort wehrmachtsübliche Ordnungsmaßnahmen nach sich. Die Rolling Stones brachten eine bis dahin unerhörte Lebensfreude in diese erstarrte Nachkriegswelt. Sie waren laut, sie waren böse und sie kümmerten sich nicht um die Erwachsenen. Das ist so lange her, dass niemand mehr davon spricht, also auch kein Wort davon, dass sie das Konzert in Berlin abbrechen mussten, weil die Fans liebevoll die Waldbühne zerlegten.

Die Rolling Stones, das nur zur Erinnerung, sind nicht nur monströs groß gewordene Stadionmusiker, die ebensolche Preise verlangen, sie zogen einst eine Spur der Verwüstung durch die Welt. Mit ihrem phantastischen Lärm eroberten sie erst London, im Gefolge der Beatles verheerten sie Nordamerika, sackten beiläufig Europa ein und vergaßen auch Hongkong, Japan und Australien nicht. Heute bewahrt sie keine Überdosis Feuchtigkeitscreme mehr vor der Tatsache, dass sie schon länger im Geschäft sind als es ihre Vorbilder, die schwarzen Blues-Musiker, je waren. Jeder Depp kann sich deshalb gescheit vorkommen, wenn er das Alter der noch aktiven Bandmitglieder Jagger, Richards, Watts sowie Ron Wood zusammenrechnet. Wer mag, kann ihnen auch ihr erspieltes Vermögen vorhalten, sie der Steuerflucht zeihen oder sozialkritisch dahermaulen, dass sich der ehemalige Vietnam-Protestant Mick Jagger zum Ritter hat schlagen lassen, aber damit ist nichts über die rohe Kraft gesagt, die der Musik dieses astreinen Buena Vista Social Club bis heute innewohnt.

Wenn die ersten Takte von "She's a Rainbow" oder "Wild Horses" erklingen, wenn Mick Jagger um Sympathie für den Teufel wirbt und beiläufig andeutet, wie das Böse in die Welt kommt, wird selbst der zerbeulteste Lautsprecher in einer Strandbar zum Wunderkasten. Die ungeschlachte Musik ist die größte Befreiungsbewegung, die die Welt im 20. Jahrhundert erlebt hat.

Nein, armer Brian, sie sind nicht tot, sie sind nicht einmal alt, sondern verkörpern den Traum vom Leben, und sie spielen noch immer den Blues. Keith Richards braucht doch nur einmal mit der Linken über die Saiten zu fegen und sich dann nach Ron Wood umzuschauen, ob der auch einstimmt, er braucht Mick Jagger nur einen weiteren, eher verächtlichen Blick zuzuwerfen, damit der weiß, was sich gehört, und in seinem besten Fake-Amerikanisch ansetzt: "Aaaah-metta gin-soaked-barroom-queen-in-Memphisss. . ." Im Ernst, geht es besser?

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