Süddeutsche Zeitung

48. Internationales Filmfestival Karlovy Vary:Mehr Geld, mehr Saturday Night Fever

Die Münchner-Filmfest-Leiterin Diana Iljine hat sich in diesem Jahr über den knappen Etat ihrer Filmschau beschwert. Denn selbst in Burkina Faso werden Festivalmacher anscheinend besser ausgestattet. Bei mehr Geld gibt es auf jeden Fall mehr Saturday Night Fever, wie man in diesem Jahr beim Filmfestival in Karlovy Vary studieren konnte.

Von Paul Katzenberger, Karlovy Vary

In München war in Filmkreisen zuletzt von einem Ort namens Ouagadougou die Rede. So heißt die Hauptstadt von Burkino Faso, und diese richtet das Panafrikanische Film- und Fernsehfestival aus, welches alle zwei Jahre stattfindet. Diese Filmschau in einem der ärmsten Länder der Welt soll angeblich ein höheres Budget als das Münchner Filmfest haben.

"Wir haben keine 50.000 oder 100.000 Euro über, um eine Catherine Deneuve einzukaufen wie etwa Berlin", sagte Filmfest-Leiterin Diana Iljine zum Start der diesjährigen Münchner Filmschau. Man könnte hinzufügen: Auch nicht wie das Manaki-Brüder-Festival im mazedonischen Bitola, das sich im vergangenen Jahr die französische Diva leistete.

Doch in München beschränkte sich der Starrummel in diesem Jahr auf Oscar-Preisträger Sir Michael Caine. Mehr Stargäste würden weniger Filme bedeuten, und da entschieden sich die Organisatoren, denen nach eigener Aussage der Etat eines "Tatorts" - konkret sind es 1,8 Millionen Euro - zur Verfügung steht, eben für die Filme.

Gut so, kann man dazu nur sagen: Genau deswegen gelang den Münchner Festivalmachern trotz knapper Mittel in diesem Jahr erneut ein beeindruckendes Festival - mit vielen Highlights aus dem aktuellen Weltkino, und der ein oder andere interessante Gast wie etwa Alejandro Jodorowsky, Nicolas Winding Refn und Costa-Gavras war außerdem trotzdem da.

Geld ist also nicht alles - mit Begeisterung und Engagement lässt sich bei der Ausrichtung eines Filmfestivals manch fehlender Euro ausgleichen. Die Münchner Festivalmacher müssen wohl aber auch die Bereitschaft zur Selbstausbeutung mitbringen, um den Status als zweitgrößtes deutsches Filmfestival nach der Berlinale (Budget: circa 20 Millionen Euro) zu verteidigen.

Fast ebenso exotisch wie Ouagadougou

Auf halber Strecke zwischen München und Berlin wird das traditionsreiche Filmfestival von Karlovy Vary ausgerichtet, dessen Name für deutsche Ohren fast ebenso exotisch klingt wie Ouagadougou. Karlsbad, wie Karlovy Vary auf deutsch heißt, bietet für sein Filmfestival allerdings weit mehr Mittel auf als die burkinische Hauptstadt für ihre Filmschau: Der Etat in dem böhmischen Kurort umfasst mit 5,2 Millionen Euro das Dreieinhalbfache dessen, was in München zur Verfügung steht.

Das diesjährige Internationale Filmfestival in Karlsbad bot sich also geradezu dafür an, den Unterschied zwischen einem angemessen ausgestatteten A-Festival und dem unterfinanzierten Filmfest München auszuloten. Für einen Vergleich eignen sich die zwei Festivals durchaus: Bevor Iljine die Zahl der gezeigten Filme in diesem Jahr deutlich zusammenstrich, waren München und Karlsbad in Bezug auf das Programm ungefähr gleich groß, wobei das tschechische Festival schon seit jeher fast doppelt so viele Besucher hat.

Da war zunächst der Starfaktor, der in Karlsbad mit John Travolta, Oliver Stone, dem Oscar-Preisträger Jerry Schatzberg und der Oscar-Nominierten Agnieszka Holland gar nicht so viel beeindruckender ausfiel als in München - von Berlinale- oder Cannes-Niveau auf jeden Fall aber trotz Travoltas Saturday-Night-Fever Einlagen weit entfernt war. Da war aber auch die spürbar professionellere Organisation, der höhere Aufwand beim Corporate Design, bei der Website, bei den Trailern und die Tatsache, dass Karlsbad in der Lage war, eine starke politische Botschaft zu formulieren.

Denn Jafar Panahi, der iranische Dissidenten-Regisseur, der in seinem Land unter Hausarrest steht, war plötzlich Gast des Festivals: Die Zuschauer des Kinos im Kurmittelhaus Drei trauten ihren Augen nicht, als der Venedig-Gewinner von 2000 plötzlich auf der Leinwand zu sehen war und zu ihnen sprach. Per Skype live zugeschaltet, sagte Panahi: "Leider habe ich meine Familie in der Filmwelt verloren, aber mein Herz ist bei Euch. Es ist für mich sehr schmerzhaft, nicht mehr Teil der Gesellschaft sein zu können, denn ich mache Filme über die Gesellschaft. Jetzt lebe ich in einer absoluten Welt der Trauer."

Wie schon zuvor die Filmfestspiele in Cannes vor zwei Jahren und die diesjährige Berlinale, bei denen heimlich gedrehte Filme Panahis zu sehen waren, wurde das Filmfestival in Karlsbad so zu einer Bühne für den Filmemacher, der dem Mullah-Regime in Teheran einmal mehr vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausrichten konnte, dass es ihn zwar physisch wegsperren kann, sein Geist aber frei bleibt.

Politische Signale adeln Filmfestivals ganz besonders, doch der Panahi-Auftritt belegte auch in künstlerischer Hinsicht eine der Stärken des Karlsbader Festivals. Denn der Anlass für den Auftritt des iranischen Filmemacher bestand in der Vorführung seines Film "Pardé", für den er bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären bekommen hat. Zu sehen waren in dem böhmischen Kurort allerdings auch der Berlinale-Siegerfilm "Mutter und Sohn" sowie das chilenische Beziehungs-Drama "Gloria", das viele Beobachter für den heimlichen Sieger der diesjährigen Berlinale hielten, sowie etliche weitere Beiträge des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs.

Auch der halbe Wettbewerb von Cannes war mit Filmen wie "Jeune et Jolie", "Heli" oder "Like Father, like Son" vertreten. Katrin Gebbe, die in diesem Jahr in Cannes den einzigen deutschen Film präsentiert hatte, zeigte ihren mutigen Debütfilm "Tore tanzt" ebenfalls. Vom "Sundance"-Festival setzte der diesjährige Siegerfilm "Fruitvale Station" mit einer überragenden Octavia Spencer (Oscar 2012) einen starken Akzent.

Zweischneidiger Wettbewerb

So erklärt sich die Beliebtheit, die das Karlsbader Festival in der internationalen Filmbranche und bei den Redakteuren der großen amerikanischen Filmblätter Variety und Hollywood Reporter genießt.

Wer bei einem anderen Festival einen wichtigen Film verpasst hat, hat hier beste Chancen, ihn noch zeitnah sehen zu können. Und das bei kurzen Wegen, einer Bilderbuch-Landschaft, dem Jugendstil-Flair eines Habsburger Heilbades und einer tadellosen Kino-Infrastruktur. Denn als ehemaliges Aushängeschild des kommunistischen Europas in der internationalen Festivallandschaft verfügt Karlsbad beispielsweise über ein richtig großes Premierenkino - im Gegensatz etwa zu München.

Doch der Wettbewerb, also genau der Programmteil, an dem sich ein A-Festival wie Karlsbad von einem Festival wie München tatsächlich gravierend unterscheidet, ist zweischneidig. Denn einem kleinen A-Festival wie Karlsbad fällt es schwer, ausreichend viele Spielfilme zu finden, die mindestens ihre internationalen Premieren feiern (was bei A-Festivals vorgeschrieben ist) und gleichzeitig von hoher Qualität sind.

Zwar sichert der Wettbewerb einerseits Sponsorengelder und Aufmerksamkeit in der Filmwelt - beim diesjährigen Filmfest in München war beispielsweise der letztjährige Karlsbader Beitrag "La Lapidation de Saint Étienne" aus Frankreich zu sehen. Doch andererseits zwingt er die Programmierer, viel Durchschnittliches zu bringen - das Weltkino gibt einfach nicht ausreichend viele neue Filme auf Cannes-, Venedig- oder Berlinale-Niveau her.

Auch in Karlsbad war das in diesem Jahr zu erleben. Gespannt durfte man in diesem Jahr auf einige alte Bekannte wie Krzysztof Krauze und Joseph Madmony sein, die beide den hiesigen Wettbewerb schon einmal gewinnen konnten.

Mit ihren neuen Filmen überzeugten allerdings weder der Pole noch der Israeli. Bei seiner Weltpremiere bot Krauzes Biopic "Papusza" einerseits großartige Schwarz-Weiß-Bilder, dank der hervorragenden Kameraführung durch Krzysztof Pak und Wojciech Staron geriet jede Einstellung zu einem Meisterwerk aus Licht und Schatten.

Andererseits machte es die nicht-lineare Struktur der Filmbiografie von Bronislawa (Papusza) Wajs dem Zuschauer schwer, der polnischen Roma-Dichterin und -Sängerin auf ihrem Weg zu öffentlicher Anerkennung zu folgen.

Die Lebensgeschichte Papuszas spielt sich vor dem Hintergund zweier Weltkriege und der erzwungenen Sesshaftigkeit von Romas unter dem kommunistischen Regime ab, doch dieser Kontext geht im Film nahezu unter, ebenso wie die Figur Papuszas kaum entwickelt wird. Krauze, der bei "Papusza" gemeinsam mit seiner Frau Joanna Kos-Krauze Regie führte, weckt beim Zuschauer so kaum emotionale Anteilnahme für seine Protagonistin.

In "A place in heaven" macht sich Joseph Madmony an eine Geschichte biblischen Ausmaßes, doch er verhebt sich an der schieren Größe seines Unterfangens: Ein hochdekorierter israelischer General hat in seiner Jugend in einem Anflug von Hochmut seinen Platz im Himmel an einen Armeekoch für ein Omelette verkauft. 40 Jahre später liegt er im Sterben und sein strenggläubiger Sohn ist nun in einem Wettlauf mit der Zeit, um den Vertrag zu stornieren und so die Seele des Vaters zu retten.

Sex-, Alkohol- und Kokain-Orgien in Island

Madmony behandelt dabei so gewichtige Themen wie die Geschichte Israels, dem Verhältnis der Religion zur säkularen Gesellschaft und der Beziehung der Generationen zu einander, doch bei der Vielzahl von Allegorien und angerissenen Handlungssträngen bleiben seine Figuren zwangsläufig oberflächlich.

Der Regisseur vermeidet es am Ende, sich selbst zu positionieren, was völlig legitim ist. Doch sein Film packt den Zuschauer zu wenig, damit der sich die aufgeworfenen existenziellen Fragen selbst stellt.

Neugierig durfte man auch auf den risikobereiten und innovativen isländischen Regisseur Marteinn Thorsson sein, der nicht nur seine schwarze Komödie "XL" über einen alkoholkranken und sexsüchtigen Top-Politiker mitgebracht hatte, sondern auch Hauptdarsteller Olafur Darn Olafsson. Der hatte zuletzt in seiner Rolle in dem mysteriös-bedrückenden Schiffbruchdrama "The Deep" von Baltasar Kormákur (Karlsbad-Gewinner 2007) zu überzeugen gewusst.

Dass Olafsson an der Seite seines Regisseurs war, war nur konsequent, denn "XL" ist eine One-Man-Show mit einem hervorragenden Hauptdarsteller aber einem schwachen Drehbuch. Die grell und schnell inszenierte Sex-, Alkohol- und Kokain-Orgie wirkt spätestens nach einer halben Stunde schablonenhaft, während sich die Handlung immer wieder in Sackgassen manövriert.

Der Preis für den besten männlichen Hauptdarsteller, den Olafsson mit nach Reykjavik nehmen durfte und für den er sich bei der Preisverleihung mit einem gutturalen Schrei bedankte, war für diesen Kraftakt indes mehr als angezeigt.

Hauptpreis für Weltkriegs-Drama

Erneut keine Prämierung gelang Oskar Roehler mit seinem "Quellen des Lebens". Die knapp dreistündige Tour de Force durch die Geschichte der Bundesrepublik der Sechziger und Siebziger war bereits beim Deutschen Filmpreis durchgefallen, jetzt stand der Gewinner des Deutschen Filmpreises aus dem Jahr 2000 auch in Böhmen am Ende mit leeren Händen da.

Immerhin schien das autobiographische Familienepos über drei Generationen beim Publikum zu verfangen, führte "Quellen des Lebens" zwischendurch doch im Rennen um den Zuschauerpreis. Doch auch der ging schließlich an eine andere - an die tschechische Regisseurin Alice Nellis für ihre Komödie "Revival".

In Osteuropa blieb auch der Hauptpreis des Festivals: Den mit 25.000 US-Dollar dotierten Kristallglobus gestand die Jury unter Agnieszka Holland dem ungarischen Regisseur Janos Szasz für sein kathartisches Weltkriegs-Drama "Le grand cahier" zu.

Die Geschichte zweier Stadt-Jungen, die während des Zweiten Weltkrieges von ihrer Mutter aus Budapest bei der bösartigen Großmutter auf dem Land versteckt werden und dort zu Zeugen der Grausamkeit des Krieges werden, lebt von der Kameraführung des österreichischen Routiniers Christian Berger (Das weiße Band, Ludwig II). Der gekünstelte Tonfall des Films macht es aber schwierig, Empathie für die Brüder zu entwickeln.

Angst vor der Zensur

Szaszs Adaption des gleichnamigen Bestsellers "Le grand cahier" der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin Agota Kristof hatte schon vor seiner Weltpremiere in Karlovy Vary besonders viel Neugierde der Beobachter auf sich gezogen. Denn während der mehrjährigen Produktionszeit des Films hatte Ungarns umstrittene Regierung unter Victor Orbán die staatliche Filmförderung des Landes vollkommen umgekrempelt, was bei den Filmschaffenden des Landes die Angst vor der Zensur heraufbeschworen und zu einem Erliegen der ungarischen Filmproduktion geführt hatte.

"Le grand cahier" war nun der erste Film, der von der neuen ungarischen Filmförderungsanstalt HNFF bezuschusst wurde. Dass das insgesamt vier Millionen Dollar teure Kriegsdrama überhaupt nach Karlsbad eingeladen wurde, war für HNFF-Chefin Agnes Havas bereits ein wichtiger Erfolg: "Ungarische Filme sind zurück im Markt", sagte sie dem Hollywood Reporter kurz vor der Premiere des Films. Nun dürfte die Genugtuung in Budapest umso größer ausfallen. Denn auch hier will das Geld für's Kino ja mindestens so gut wie in Ouagadougou angelegt sein.

Der Besuch des Karlsbader Festivals wurde teilweise vom Veranstalter unterstützt.

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