32. Internationales Filmfestival Istanbul:"Die Kunst muss frei sein"

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"Man kann die Kunst nicht vom Menschen trennen." Costa-Gavras in Istanbul. (Foto: Paul Katzenberger)

Wenn ein Filmtheater zum Symbol der Freiheit wird: Das 32. Filmfestival in Istanbul steht tagelang im Schatten des Konfliktes um das Traditionskino "Emek" im Stadtteil Beyoglu. Wie im Fall Fazil Say geht es bei der Auseinandersetzung um die Religion. Trotzdem finden die türkischen Filmemacher ihre Stoffe zuallererst im Alltag der säkularen Gesellschaft.

Von Paul Katzenberger, Istanbul

Den gesellschaftlichen Konflikten gilt sein Augenmerk. Von der Militärdiktatur in Chile über den Rechtsextremismus in den USA bis hin zur Rolle der katholischen Kirche beim Holocaust hat sich Oscar-Preisträger Costa-Gavras mit seinem Werk immer wieder in die Auseinandersetzungen um die menschlichen Freiheitsrechte eingeschaltet. Und so drängte es ihn als Ehrengast des diesjährigen 32. Internationalen Filmfestivals in Istanbul auf die Straße, als es dort darum ging, die Freiheit der Kunst zu verteidigen.

Bei seinem Auftritt vor 2000 Demonstranten im Istanbuler Stadtteil Beyoglu muss sich Costa-Gavras gefühlt haben wie seinerzeit, als er gegen das Obristen-Regime in Griechenland demonstrierte. Gemeinsam mit den Regisseuren Jan Ole Gerster ("Oh Boy"), Mike Newell ("Vier Hochzeiten und ein Todesfall") und Marco Bechis ("Junta") unterstützte der französische Exil-Grieche die Demonstranten, die sich bei Halbzeit des Festivals gegen den beabsichtigten Abriss des Cercle d' Orient wandten, einem 1870 in der zentral gelegenen Yesilcam-Straße errichteten Jugendstil-Komplex. Seit 1924 beherbergt er das legendäre Emek-Kino, das nun einer Shopping-Mall weichen soll.

Für Istanbuls westlich orientierte Künstler ist das Emek ein Symbol für das kulturelle Erbe Istanbuls, das dem seit Jahren anhaltenden Bauboom am Bosporus geopfert wird. Wobei das noch eine wohlwollende Interpretation ist. Denn in der Schließung staatlicher Kinos und Theater sehen viele Filmschaffende nichts anderes als den Versuch der islamisch dominierten Regierung, die Kontrolle über die Theaterkunst zu erlangen, die traditionell in den Händen der säkularen Oberschicht der Türkei liegt.

Ein Demonstrant, maskiert als Clown, protestiert im Dezember 2011 gegen den Abriss des Emek-Kinos. Auf dem Plakat steht: "Lasst es in Frieden! Wenn es schon zerstört werden soll, dann durch den Applaus des Publikums."  (Foto: Imago Stock&People)

Der Konflikt schwelt nun schon seit knapp drei Jahren, doch aus Anlass des Filmfestivals brach er nun wieder offen aus. Schließlich war das Emek-Kino bis zu seiner Schließung vor wenigen Jahren Hauptaustragungsort der Veranstaltung.

Aber ausgerechnet wegen des Emek-Kinos musste das Festival in diesem Jahr vorübergehend mit einer geringeren öffentlichen Aufmerksamkeit auskommen. Denn tagelang kannten die Zeitungen und das Fernsehen nur noch die Demonstration für den Erhalt des Filmpalasts als Thema - nachdem die Polizei beim Protestzug plötzlich mit Knüppeln auf die Demostranten eindrosch, Wasserwerfer und Tränengas einsetzte, sowie vier Aktivisten verhaftete, darunter den bekannten türkischen Filmkritiker Berke Gol.

Filmischer Protest

Dabei ging unter, dass Costa-Gavras' aktueller Film "Capital", den er mit nach Istanbul gebracht hatte, durchaus auch als filmischer Protest gegen den Abriss des Emek-Kinos verstanden werden kann. Zwar nimmt der erstaunlich agile 80-Jährige in dem Drama zuvorderst die angelsächsischen Auswüchse der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung ins Visier. Doch der aktive Rückzug des Staates aus der Wirtschaft zur Durchsetzung politischer Ziele ist an einem Ort wie dem Cercle d'Orient ein größeres Problem als anderswo.

Denn er belegt, wie auch der aktuelle Fall des türkischen Star-Pianisten Fazil Say dass die Freiheit der Kunst in der Türkei einen schweren Stand hat gegen religiösen Fundamentalismus. Und so fühlte sich Costa-Gavras als Grandseigneur des politischen Kinos in Istanbul gezwungen, sein altes Credo zu betonen: "Wenn die Kunst der Macht untergeordnet wird, ist das gefährlich. Die Kunst muss frei sein. Man kann Kunst nicht vom Menschen trennen, nicht vom Leben und dem, was in der Gesellschaft vor sich geht."

Zur Freiheit der Kunst in der Türkei trägt das Filmfestival Istanbul wesentlich bei. Entstanden 1981, nachdem die "Sinematek" der Zensur der Putschisten-Junta unter General Kenan Evren zum Opfer gefallen war, hat sich es zum größten Kulturereignis der Türkei entwickelt.

Das unaufgeregt-ambitionierte Programm von mehr als 200 Filmen bietet zwar kaum Premieren, doch gerade deswegen ist die durchschnittliche Qualität der gezeigten Filme hoch. Denn die Istanbuler Beiträge sind zuvor oft bei den Großfestivals von Berlin über Cannes und Venedig bis zum Sundance Festival aufgefallen und gehören damit zum besten, was das Weltkino derzeit zu bieten hat. Der Siegerfilm in der Sektion "Internationaler Wettbewerb", das Drama "What Richard did" von Lenny Abrahamson, gewann in diesem Jahr bereits den Irischen Film- und Fernsehpreis.

Zudem dient das Festival dem Filmland Türkei als Schaufenster: Semih Kaplanolu und Nuri Bilge Ceylan hatten hier ihre ersten großen Auftritte, bevor sie später bei der Berlinale und in Cannes für Furore sorgten.

Renommee als Filmemacherin hat sich auch Asli Özge erarbeitet, die sich mit "Men on the Bridge" nicht nur einem breiteren Publikum in der Türkei bekannt gemacht hat, sondern es mit dem Sozialdrama 2010 sogar in die deutschen Kinos schaffte.

Handelte "Men on the Bridge" noch im Arbeitermilieu, so wendet sich Özge in ihrem aktuellen Film "Hayatboyu - Lifelong" der Istanbuler Oberschicht zu: Die gefeierte Künstlerin Ela (Defne Halman) und der erfolgreiche Architekt Can (Hakan Cimenser) scheinen es geschafft zu haben und führen nach außen hin eine glückliche Ehe. Doch in Wahrheit sind die Gefühle füreinander erloschen. Tochter Nil (Gizem Akman) ist inzwischen aus dem Haus - eigentlich könnten sich Ela und Can trennen, und so einem jeweils neuem Leben eine Chance geben. Doch das würde auch heißen, die Annehmlichkeiten der Fassade aufs Spiel zu setzen, und so schafft es keiner der beiden Eheleute, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen und leidet lieber weiter.

Die Ehe ist schal geworden: Szene mit Defne Halman (links) und Hakan Cimenser aus Asil Özges aktuellem Film "Lifelong". (Foto: Festival)

Sie habe zeigen wollen, dass sich Menschen immer wieder selbst etwas vormachten, indem sie sich einredeten, es sei alles ok, sagte Özge in Istanbul zu den Beweggründen für ihren Film: "Das macht es aber schwerer, den Mut für Veränderung zu finden und sich auf das Neue und Unbekannte zuzubewegen."

Menschen, die dem sauer gewordenen Alltag nicht entkommen können, sind ein typisches Problem von säkularen Wohlstandsgesellschaften und "Lifelong" zeigt die Türkei als solche in einer Weise, die sich vom westlichen Autorenkino kaum unterscheidet.

Wenn sich die Zivilgesellschaft im eigenen Kino findet

Ob darin schon ein Trend des türkischen Kinos zu sehen ist, sei dahin gestellt. Auffällig war in Istanbul jedenfalls, dass viele türkische Beiträge den gesellschaftlichen Alltag als Thema aufgriffen, so etwa auch der Siegerfilm des nationalen Wettbewerbs, "Sen Aydinlatirsin Geceyi - Thou Gild'st the even". Regisseur Onor Ünlü beschreibt in dem Psychodrama das Leben von Menschen in einer kleinen anatolischen Stadt, die trotz außerordentlicher Fähigkeiten von Sorgen und Ängsten bedrängt werden. Es sei ihm um die Essenz der Humanität gegangen, sagte Ünlü in Istanbul und lag damit nah an den Anliegen Özges und vieler weiterer türkischer Filmemacher, die am Bosporus zu sehen waren.

Humane Stoffe sind ein gutes Zeichen - sie stehen wohl für eine Gesellschaft im Aufschwung, die ihre Probleme immer stärker im Alltag findet. Dennoch fiel auf, dass politische Themen, die es mit dem Kurden-Konflikt und dem bislang kaum aufgearbeiteten Genozid an Armeniern 1915/16 durchaus gäbe, nur in wenigen Filmen wie Lusin Dinks "Saroyanland" oder Hatice Kamers "My Mother's Compass" behandelt wurden.

Doch wie sagte Costa-Gavras: "Jedes Kino ist politisch." Für die Türkei könnte das bedeuten, dass die Zivilgesellschaft, die sich mehr und mehr im eigenen Kino findet, ihr kulturelles Erbe künftig mit noch breiterer Brust zu verteidigen weiß.

Der Besuch des Filmfestivals Istanbul wurde teilweise vom Veranstalter unterstützt.

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