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"300": Sparta im Kino:Mythos Opfertod

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Der Film "300" ist nur eine weitere Fortschreibung des Mythos vom heldenmütigen Opfertod der Spartaner bei den Thermopylen.

Stefan Rebenich

Old Europe hat in Hollywood Konjunktur. Erst ließ Wolfgang Petersen Agamemnon gegen Troja ziehen, dann zerschlug Alexander bei Oliver Stone das Perserreich. Und jetzt kommt das blutige Schlachtenepos "300" in die Kinos: Todesmutige Krieger aus Sparta kämpfen einen aussichtslosen Kampf gegen die hunderttausendfache Übermacht aus dem Osten.

Der griechische Dichter Simonides hat im fünften vorchristlichen Jahrhundert das Geschehen in einem berühmten Epigramm gefeiert, das Friedrich Schiller ins Deutsche übertrug: "Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest / Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl."

Der historische Hintergrund ist rasch skizziert: Um diejenigen Städte des griechischen Mutterlandes abzustrafen, die den Aufstand der ionischen Städte an der kleinasiatischen Küste unterstützt hatten, unternahm der persische Großkönig Dareios I. zwei Strafexpeditionen.

Stellung halten bis zum Schluss

Die eine erlitt Schiffbruch in der stürmischen Ägäis, die andere endete 490 v. Chr. in der Ebene von Marathon. Zehn Jahre später nahm sein Sohn Xerxes einen neuen Anlauf. Im Frühjahr 480 v. Chr. rückten die Perser mit einer riesigen Streitmacht an, um die unbotmäßigen Stadtstaaten zur Raison zu bringen. Nach längeren Diskussionen entschlossen sich dreißig kampfbereite griechische Stadtstaaten, den Thermopylen-Pass in Mittelgriechenland gegen das persische Landheer zu verteidigen und entsandten ein peloponnesisches Aufgebot unter dem Kommando des spartanischen Königs Leonidas.

Doch den persischen Truppen gelang es, das Hindernis auf einem Bergpfad zu umgehen. Als der König die Nachricht von der Wendung des Schlachtenverlaufs erhielt, stellte er sich mit 300 Getreuen dem Feind, den sicheren Tod vor Augen.

Generationen von Historikern hat die Frage umgetrieben, warum Leonidas in aussichtsloser Lage die Stellung hielt. Gab es einen Befehl? Wollte er den geordneten Rückzug der übrigen Truppen decken? Veranlasste ihn ein Orakel zum Ausharren? Strebte er nach Ruhm? Oder war er schlicht unfähig?

Exempel für bedingungslosen Gehorsam

Am plausibelsten scheint die Hypothese, dass der König sich und seine Männer opferte, um die griechische Verteidigungsstrategie, die ohnehin nur von einer Minderheit getragen wurde, zu retten. Hätten sich nämlich die Spartaner nach kurzem Kampf hinter den Isthmos von Korinth und damit auf ihr Territorium zurückgezogen, wäre die antipersische Koalition wohl in sich zusammengefallen.

Das Bündnis hielt, noch im selben Jahr siegten die griechischen Verteidiger über die persische Flotte bei Salamis. 479 v. Chr. wurde das Heer der Perser bei Plataiai geschlagen. Der Großkönig gab seine Eroberungspläne auf. In Griechenland wurden Leonidas und seine Krieger in die Geschichte des Sieges integriert. Pflichterfüllung und Vaterlandsliebe hieß die Botschaft der Niederlage. Die Thespier und Thebaner, die ebenfalls zu Hunderten gefallen waren, geriten in Vergessenheit. Das blutige Tal der Thermopylen gehörte den Spartanern allein.

2500 Jahre lang diente die Schlacht als Exempel für bedingungslosen Gehorsam und Opfertod. Doch erst das ausgehende 18. Jahrhundert stilisierte den Spartanerkönig zum Vorbild. Sein Kampf mahnte im Frankreich der Revolution den soldat-citoyen, für die Verteidigung des neuen Staates sein Leben zu geben.

Politischer Totenkult

In Deutschland vereinte sein Beispiel die Bürger im Freiheitskampf gegen Napoleon. Wenig später erkannten europäische Philhellenen in jedem griechischen Bandenführer einen legitimen Erben des Leonidas. Auch in der Neuen Welt rechtfertigte die antike Schlacht sinnloses Blutvergießen: Im amerikanischen Bürgerkrieg wurde die Wendung "to make a Thermopylae" zum geflügelten Wort.

Wie geschaffen war der Tod der Dreihundert für den politischen Totenkult der europäischen Nationalstaaten. Nach dem Ersten Weltkrieg machte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge aus dem historischen Ereignis ein allgegenwärtiges Beispiel patriotischer Gesinnung. "Wie das Gesetz es befahl" spiegelte den Ehrenkodex des gemeinen Soldaten und des humanistisch gebildeten Offiziers.

In der Weimarer Republik und im "Dritten Reich" beschworen Konservative und Nationalsozialisten am Beispiel der Schlacht militärische Pflichterfüllung und kollektives Heldentum bis zum Tode. Hermann Göring bemühte in seiner Rede zum zehnten Jahrestag der so genannten 'Machtergreifung' am 30. Januar 1943 das antike Geschehen, um den sinnlosen Untergang der sechsten Armee in Stalingrad zu rechtfertigen.

Er sagte eine neue Lesart des Epigramms voraus: "Kommst Du nach Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad kämpfen sehen, wie das Gesetz der Ehre und Kriegführung es für Deutschland befohlen hat."

Von der nationalistischen und militaristischen Instrumentalisierung der Thermopylenschlacht hat sich Heinrich Böll 1950 in seiner Kurzgeschichte "Wanderer, kommst Du nach Spa" verabschiedet. Keine hehren Verse verherrlichen die Tat.

Antike für die Massen

Das Fragment des Epigramms prangt über dem zerfetzten Körper eines jungen Mannes, den man in sein altes Humanistisches Gymnasium getragen hat, das am Ende des Zweiten Weltkrieges als Lazarett dient. Hier liest er, blutüberströmt, die Worte, die er als Schüler einst an die Tafel geschrieben hatte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kommt ein martialisches Spektakel aus Amerika nach Europa zurück. Comic und Film ästhetisieren den mörderischen Kampf in der Phalanx. Die Antike ist hier nicht mehr das nächste Fremde, sondern ein Ort, an dem sich männliche Gewaltphantasien austoben können.

Nicht die historische Zuverlässigkeit der Rekonstruktion, sondern die fiktionale Kraft der Imagination zählt. Es bedarf keines Bildungshintergrundes mehr, um die trivialen Botschaften zu dechiffrieren. Die postmoderne Antikenrezeption ist nicht mehr Angelegenheit von Eliten, sondern ein Massenphänomen.

Die Kunde vom ruhmvollen Opfertod der spartanischen Helden erreicht heute ein millionenfaches Publikum. Das erfreut sich im Kinosessel am Schlachtengetümmel und vernimmt doch sehr wohl eine politische Botschaft, deren Ursprünge in die Antike zurückreichen.

Die Griechen priesen nach den Perserkriegen Leonidas und die Seinen, weil sie sich selbstlos für die Freiheit geopfert und Hellas gegen die anstürmenden Barbaren aus dem Osten verteidigt hätten. Der Westen hat diesen Mythos über die Jahrhunderte fortgeschrieben. In den fünfziger Jahren setzte Oskar Kokoschka in einem großformatigen Triptychon, das die Hamburger Universität ziert, die persischen Horden mit den russischen Bolschewisten gleich und verlegte den Kampf um die Errettung des Okzidents in einen westdeutschen Hörsaal.

Die erste filmische Adaptation des Geschehens erfolgte mitten im Kalten Krieg: 1962 drehte Rudolf Maté seinen Film "Der Löwe von Sparta". 2007 nun kämpfen dreihundert Spartaner bis zum letzten Mann gegen die tausend Nationen des persischen Reiches. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie verlegt den Clash der Kulturen an die Thermopylen.

Der Autor lehrt Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike an der Universität Bern.

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Quelle:
SZ vom 2.4.2007
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