Süddeutsche Zeitung

30 Jahre "taz":Chillen auf der Chinchilla-Farm

Lesezeit: 2 min

Manchmal fährt sie die Krallen aus: Die taz wird 30 - Deutschlands bürgerliches Protestblatt feiert sich selbst mit einem Kongress.

Tom Schimmeck

Es war einmal eine Schar verwegener Gestalten, die nisteten sich im April 1979 auf einem ellenlangen Flur im alten Siemens-Quartier im Berliner Wedding ein - Wattstraße, Ecke Voltastraße. Dort begannen die wilden Gesellinnen und Gesellen, auf morschem Mobiliar flegelnd, eine nationale Tageszeitung zu produzieren. Sie krümelten und kleckerten dabei, schlürften Unmengen Kaffee und qualmten viel zu viel. Gut die Hälfte hatte keine Ahnung, alle hatten kein Geld. Sie lebten von vorausbezahlten Abonnements künftiger Leser. Auf den paar Kröten hatten langhaarige Finanzjongleure eine waghalsige Konstruktion von GmbH & Co. KGs errichtet. Die haftenden Gesellschafter wurden von der Restbelegschaft mit dem Versprechen bei Laune gehalten, sie später im Gefängnis zu besuchen.

Journalisten-"Profis" schlugen sich auf die Schenkel: eine Truppe ohne Kapital, ohne Chefs, mit einem Einheitsgehalt von 800 Mark! Auch die Macher hatten Zweifel: "Wenn's schiefgeht", murmelte ein angehender Redakteur beim Gang durch die noch leere Redaktion, "ziehen wir hier halt 'ne Chinchilla-Farm auf."

Doch es ging gut. Die Tageszeitung, bald liebevoll taz gerufen, erwies sich als verblüffend zäh, überstand Streiks, Besetzungen, Intrigen und gefühlte 100 Beinahe-Bankrotte. Sie hatte die modernste Redaktionstechnik der Republik. Und manchmal auch schlicht Glück: 1988 etwa, als der Verlag eine etwas abgenagte Immobilie in der Kochstraße kaufte, hart an der Zonengrenze. Prompt fiel die Mauer. Mit dem Haus, nun in Toplage, konnte man viel frisches Geld pumpen.

Viel Fron, wenig Lohn - die Fluktuation blieb hoch. Ehemalige tazler, gestählt in hunderttausend herrschaftsfreien Plenen, infiltrierten über die Jahre die gesamte deutsche Medienlandschaft, sogar den Springer-Verlag schräg gegenüber. Durchlebten dabei selbst manchen Wandel. Die Zeitung aber blieb. Immer wieder erpresste sie ihre Leser mit frechen Abo-Kampagnen. 1992, in einer der zahllosen Existenzkrisen, gründete sie sich als Genossenschaft neu. Derzeit 8492 Genossen haben bislang gut acht Millionen Euro aufgebracht. Seit Jahren läuft der Laden mühsam stabil, vor allem dank der gut 45000 Abonnenten.

Neben der Zeitung verkauft die taz Fahrräder, Filzhausschuhe und fair gehandelten Kaffee ("tazpresso"). Seit 2005 ehrt sie "HeldInnen des Alltags" mit dem "Panter-Preis". In der zynischen Berliner Medienrepublik wird so etwas gern belächelt. Doch lugt da nicht oft Neid durch das Grinsen der Konkurrenz? Sind diese tazler nicht freier und frecher als der Rest? Und wissen nicht auch die "bürgerlichen Blätter" längst, wie sich Krise anfühlt?

Ja, heute lieben fast alle die taz. Selbst ihre Feinde finden sie meist irgendwie possierlich. Manchmal fährt sie die Krallen aus und ist richtig gut, manchmal nur lustig und allzu manierlich.

Und weil sie nicht gestorben ist, feiert sich die Tageszeitung an diesem Freitag mit einer Geburtstagsgala in Berlin. Am Wochenende schließt sich der "Tuwas"-Kongress mit zahllosen, alles erörternden Foren an, im Haus der Kulturen der Welt.

Der Autor war 1979 einer von vielen Mitgründern der taz. Er besitzt einen Genossenschaftsanteil.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2009/irup
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