30. Filmfest München:Rundum relaxt

Giorgio Moroder hat die Popmusik revolutioniert - und das auch schon oft gehört. Bei der Eröffnung des Münchner Filmfests tut der Luxusprivatier dann sechs Minuten lang auch prompt so, als sei er DJ. Wahnsinn!

Jan Kedves

Giorgio Moroder, der Gigant! 1975 dehnte er "Love to Love You Baby" auf sagenumwobene 17 Minuten, so dass Donna Summer im Verlauf, wie die BBC einmal ordentlich nachzählte, ganze 23 Orgasmen stöhnte. "E=MC2", sein Soloalbum aus dem Jahr 1979, war die weltweit erste volldigitale Musikproduktion, Gerätekosten 10.000 Dollar am Tag. In den achtziger Jahren ließ er sich dann vom Erfolg seiner Filmmusik zu "American Gigolo" oder "Top Gun" dazu beflügeln, den exklusiven Cizeta-Moroder mitzuentwickeln - lange bevor Volkswagen mit dem Bugatti Veyron einen 16-Zylinder-Sportwagen in Serie schickte.

30. Filmfest München: "Vielleicht war mir zuletzt a bisserl langweilig." Giorgio Moroder am DJ-Pult im Keller des Bayerischen Hofs.

"Vielleicht war mir zuletzt a bisserl langweilig." Giorgio Moroder am DJ-Pult im Keller des Bayerischen Hofs.

(Foto: imago stock&people)

Und weil Moroder nun mal Moroder ist, hat er es sich am vergangenen Freitag auch nicht nehmen lassen, in München seinen bislang verblüffendsten Rekord aufzustellen: das kürzeste DJ-Set der Welt! Kaum sechs Minuten stand der 72-jährige Südtiroler, den man fast verschollen geglaubt hatte, hinter dem Mischpult im - wo sonst? - Keller des Bayerischen Hofs. Dessen rustikal möblierter Nightclub verströmt genau das Flair, das in Siebziger-Jahre-Diskotheken geherrscht haben muss - samt Spiegelkugel an der holzverkleideten Decke.

Obwohl der Auftritt nirgends angekündigt ist, hat das Gerücht Runde gemacht. Natürlich. Die Fans des heutigen "Sound of Munich", die sonst bei Partys der Labels Gomma oder Permanent Vacation tanzen, sind gekommen. Alle. Und sie fühlen sich keineswegs betrogen, als es nach sechs Minuten schon vorbei ist. Im Gegenteil: Sie zeigen zu seinem rasant durchgeflipperten Medley aus Eigenproduktionen - "From Here to Eternity", Berlins "Take My Breath Away", Donna Summers "I Feel Love" - begeistert Ausfallschritte und stellen sich hinterher brav für ein Autogramm an, während sich die Fotografen die Finger wundknipsen. Das war Giorgio Moroders DJ-Debüt in Deutschland!

"Eine Riesenarbeit!"

Aber warum eigentlich? "Vielleicht war mir zuletzt a bisserl langweilig", sagt der Meister einen Tag vor seinem Auftritt. Er sitzt in einem flauschig ausgelegten Separée des Bayerischen Hofs, zwei Etagen über dem Nightclub, und gibt den rundum relaxten Luxusprivatier. An seine alte Wirkungsstätte ist er auf Einladung des Münchener Filmfests zurückgekehrt, bei dem Filme mit Moroder-Filmmusiken gezeigt werden. Die ganze Stadt scheint vom Moroder-Fieber gepackt, einige Münchener DJs haben Tribute-Partys angekündigt. Auf den Flyern, natürlich: Moroder mit Pornoschnauzer. Er selbst hat sich den ikonischen Balken schon vor langer Zeit abrasiert. Er trägt ein dezent gestreiftes Hemd zu schwarzen Prada-Schlappen. Seine Haare: silbern. Dreißig Jahre Los Angeles haben seinen Südtiroler Dialekt wunderbar konserviert.

Die Krise der Musikindustrie? Hat Moroder nur durch die jährlichen Abrechnungen seiner Rechteverwerter mitbekommen: "Meine Royalties gehen pro Jahr um 5 bis 10 Prozent nach unten" - was ihm als Plattenmillionär aber, bitte nicht missverstehen, kaum weh tut. Die Arbeit an Hollywood-Filmmusik, die ihm in den achtziger Jahren drei Oscars einbrachte, hat er aufgegeben, weil die Studios immer mehr Material forderten. Ganze 90 Minuten Musik müsse man heute für einen 120-Minuten-Actionfilm abliefern, klassisch orchestriert: "Eine Riesenarbeit!" Er sei ja kein ausgebildeter Komponist.

Vor einer Weile habe er aber "ein paar neue Lieder" geschrieben, mal schauen, vielleicht werde er eins Rihanna oder Nicki Minaj anbieten. Letztens, als Thomas Bangalter von Daft Punk anrief, flog er nach Paris, um in deren Studio als lebende Disco-Legende zwei Stunden über sein Leben zu erzählen. Was mit der Aufnahme geschieht? Daft Punk wollen sie für ihr neues Album benutzen, er lasse sich überraschen. Und sonst? "Schauen Sie, ich habe viel Golf gespielt. Aber dann habe ich aufgehört, Golf zu spielen. Und meine Frau spielt auch kein Golf mehr."

Ungünstiger Zeitpunkt für den DJ-Auftritt

Moroders DJ-Auftritt in München entbehrt nicht einer dezenten Ironie. Er war es, der zur Hochphase von Disco die heutige DJ-Musik erfand, indem er als einer der ersten Produzenten Bassläufe aus dem Moog-Synthesizer verwendete. Das brachte seine Stücke auf maschinell exaktes Tempo, so dass sie sich anhand von zwei Plattenspielern problemlos ineinander mixen ließen. Nun betritt DJ Moroder ausgerechnet zu einem Zeitpunkt die Bühne, die für DJs nicht die besten sind. Möchte noch jemand DJ sein in einer Zeit, in der Paris Hilton denken kann, für eine Superstar-DJ-Karriere reiche es aus, einen Kopfhörer aus Swarovski-Kristallen aufzusetzen? DJ, das ist bei jugendlichen Großstädtern heute ein beliebtes Schimpfwort: "Geh Tea bubblen, du DJ!"

Trotzdem finden sich natürlich, wohin man blickt, Spuren des einstigen Traumberufs: Der iPod-Konsument, der sich in der U-Bahn an die Muscheln seines überdimensionierten DJ-Kopfhörers greift und dabei wissend mit dem Kopf nickt, signalisiert seiner Umwelt keineswegs, dass er in Ruhe gelassen werden will, sondern dass er im Besitz eines Wissensvorsprungs ist: "Ich höre schon, was in deinem Mix noch gar nicht vorkommt!"

Filter im Sechs-Minuten-Mix

Was Moroder im Keller des Bayerischen Hofs macht, ist dann aber doch noch etwas ganz anderes. Er mixt gar nicht. Er hört auch nicht auf einem Kanal irgendeinen neuen Track vor. Er trägt nicht mal Kopfhörer! Er legt einfach eine schon abspielfertig gemixte CD ein. Die Idee sei ihm gekommen, als Kim Jones, der Herrendesigner von Louis Vuitton, ihn gefragt habe, ob er nicht die Musik für die Präsentation der Herbst-Winter-Kollektion 2012/2013 machen wolle. Im Januar marschierten die Vuitton-Models dann in einem zur riesigen Discokugel umgemodelten Treibhaus im Pariser Parc André-Citroën zu Moroders Mix aus "The Chase" und "I Feel Love". Er selbst stand da und stellte sich - die Stimme gefiltert durch einen Vocoder - dem Publikum vor. Großer Applaus. Das habe ihm gut gefallen, sagt Moroder, vor allem habe es ihn daran erinnert, dass er, als er jung war, gern auftreten wollte.

Produzent wurde er eigentlich nur, weil ihm seine Stimme nicht gefiel und er immer die Texte vergaß. Eine DJ-Simulation in persönlicher Anwesenheit mit vorcoderisierten Ansagen als Lösung seiner Bühnendefizite? Es werden sich genügend Clubs auf Ibiza und russische Yachtbesitzer finden, denen es viel Geld wert ist, auf diese Weise ein bisschen alten Disco-Glamour abzubekommen.

In genau diesem Glamour will man sich selbstverständlich auch beim Bayerischen Rundfunk sonnen. Im Münchener Funkhaus findet - am Nachmittag vor der Party - die Soundtrack-Diskussion "Film Ton Art" statt. Fritz Egner interviewt seinen Stargast, oder besser: Egner erinnert Moroder vor vollem Saal daran, dass beide sich seit über vierzig Jahren kennen. Tatsächlich? Als Moroder Anfang der Siebziger sein sagenumwobenes Musicland-Studio im Keller des Arabella-Hauses in München-Bogenhausen einrichtete, wo später neben Donna Summer auch die Stones und Queen aufnahmen, habe er, der junge Egner, Schalldämpfungsmaterial an den Studiowänden angebracht - und Moroder habe ihm Milch vorbeigebracht, damit er sich den Feinstaub aus der Kehle spüle. "Jedes Mal wenn ich heute ein Tetrapak in die Hand nehme, denke ich an dich", umschwärmt der Radiomann seinen Gast. Später habe Moroder ihn sogar einmal ins Restaurant des Hotel Arabella geschickt und gesagt, er solle sich bestellen, was immer er wolle. So sei er als junger Mann zu seinem ersten flambierten Pfeffersteak gekommen. Antwort Moroder: "Ich habe die Rechnung gesehen!"

Jürgen Koppers, Robby Wedel, Keith Forsey

Interessant am Gespräch ist vor allem, wie Moroder immer wieder die Namen der Musiker und Ingenieure einstreut, die mit ihm damals im Musicland-Studio arbeiteten: Jürgen Koppers, Robby Wedel, Keith Forsey. Es muss die Bescheidenheit eines Mannes sein, der schon zu oft gehört hat, er sei der "Erfinder von Disco". Natürlich hat Giorgio Moroder Disco nicht erfunden. Als Musiker, der ursprünglich aus dem Schlager kam, hatte er die besonders eingängigen Melodien, und dazu kamen neueste Technik und die richtigen Helfer.

Wichtiger noch für den Moroder-Mythos, wichtiger als der reine Synthesizer-Klang, war etwas anderes, das wird im Bayerischen Hof deutlich, als eine halbe Stunde vor Moroders Auftritt Mirko Hecktor, der mit "Mjunik Disco" vor drei Jahren die offizielle Geschichtsschreibung des Münchener Nachtlebens herausgegeben hat, "The Chase" aus dem Jahr 1978 auflegt. Was hören wir da? Figuren, die sich nicht ändern, aber ständig an- und wieder abschwellen. Ist nicht das die eigentliche Faszination an synthetischer Musik, dass genau zu hören ist, wie seine Informationen von verschiedenen Filterschaltungen ständig in neue Stimmungen gezwungen werden? Leben wir nicht heute erst in der rundum gefilterten Welt, an der Moroder schon damals musikalisch geschraubt hat? Die meisten aktuellen Charthits arbeiten mit Filtereffekten, und im Netz wird der immergleiche Strom von Informationen per Filter so lange zugeschnitten, bis man alles wieder für neu hält, und wenn uns danach ist, drücken wir auf den Instagram-Knopf, der aus Handyfotos einen Polaroid-Look filtert.

Moroder hat in seinen Sechs-Minuten-Mix - abgesehen davon, dass schon das Ausgangsmaterial mit Filtereffekten arbeitete - zusätzliche Filtereien hineingedreht, und die ergänzt er beim Abspielen der CD noch um Equalizer-Tricks aus dem DJ-Mischpult. Ein Filterexzess also, in dem die typischen Moroder-Ausgangsinformationen - Dancing! Sexy! Futuristisch! - bald unter dicken Wattebäuschen verborgen pumpen, um im nächsten Moment umso heftiger loszuschrillen. Man könnte denken, länger als sechs Minuten hielte man das ohnehin nicht aus - aber das stimmt nicht. Moroder, der König, wippt dazu ein kleines bisschen im Takt und spricht seine Befehle ins Mikro: "Und - jetzt - alle!"

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