"28 Days later" in der SZ Cinemathek:Stadt im Stillstand

Brendan Gleeson, Cillian Murphy & Naomie Harris Characters: Jim, Selena Film: 28 Days Later... (UK 2013) Director: Danny

Überlebenskampf im Endzeit-London: In "28 Days later" grassiert ein tödliches Virus.

(Foto: imago images/Mary Evans)

Der Film der Stunde, der knapp 20 Jahre nach seinem Erscheinen eine schauerliche Aktualität birgt: Danny Boyle fängt mit Handkameras das Schreckensszenario eines Virusausbruchs ein, als drehe er eine Kriegsreportage und keinen Spielfilm.

Von Anke Sterneborg

Jim schlägt die Augen auf und die Welt ist eine andere geworden. Das ist gewissermaßen die Ur-Situation des Kinos - nichts ist, wie es sein sollte, jeder Schritt ist ein Schwanken, Tasten, Ringen um Orientierung. Jede Wahrnehmung ist fremd und damit auch bedrohlich

Es ist der Zustand unschuldiger, unwissender, neugieriger Kindheit, in den das Kino immer wieder uns versetzt, und Danny Boyle braucht dafür in "28 Days Later" keine monströse Effektmaschine, sondern nur ein paar kleine Digitalkameras und ein mit 5 Millionen Dollar geradezu winziges Budget.

Mehrere Wochen ist der Fahrradkurier Jim (Cillian Murphy) offensichtlich nach einem Unfall im Koma gelegen - und in dieser Zeit ist die Welt aus den Fugen geraten. Im Krankenhaus, dort wo sonst die Helfer bereitstehen, jeden Atemzug und jeden Herzschlag überwachen, ist niemand mehr, sein brüchiges Hallo verhallt im Leeren. Er stolpert durch die Gänge, sucht nach Hinweisen und Erklärungen, wankt hinaus, in ein ausgestorbenes London, über die menschenleere Westminster Bridge, den verwaisten Piccadilly Circus.

Der einsamste Mensch der Welt - was im New York von "Vanilla Sky" für Tom Cruise nur ein böser Traum war, ist hier Wirklichkeit. Diese Szenen sind so verstörend, weil man schnell merkt, das dies das echte, kein virtuell getrickstes London ist. Boyle und sein Team haben sich mit zehn Kameras an Plätzen, Brücken und Autobahnen aufgestellt und den Verkehr der Millionenstadt für ein paar Drehminuten angehalten.

Tabula rasa ist dieser Film auch für den Regisseur, den Autor Alex Garland und den Produzenten Andrew Macdonald. Sie fegen die kulinarische Opulenz des amerikanischen Kinos, die ihnen bei ihrem Projekt "The Beach" Bauchschmerzen verursacht hat, beiseite und üben sich lustvoll in Askese. Und bleiben doch ihrer Liebe zum amerikanischen Kino treu - der Film bewegt sich demonstrativ in der Tradition von Cronenbergs "Rabies" und Romeros Zombie- Trilogie.

Ausgelöst wird die Katastrophe von wohlmeinenden Tierschützern, die mit gefangenen Labor-Affen auch die mörderische Tollwut freisetzen. 28 Tage reichen, um nahezu die ganze Bevölkerung Englands in reißende Kannibalen zu verwandeln. So durchsetzen Boyle und Garland die Mythen des Kinos mit den ganz realen Ängsten vor Viren wie Ebola und SARS (das die Welt allerdings erst nach dem Dreh und passend zum Kinostart in Unruhe versetzte). Und wenn sie in nervösen, körnigen Bildern vom Dogma-Kameramann Anthony Dod Mantle, (der neben "Das Fest" und "Mifune" auch Harmony Korines "Julien Donkey Boy" fotografiert hat und mit dem Boyle bereits an zwei BBC-Fernsehfilmen gearbeitet hat ) den Verfall der Welt aufzeichnen, dann bewegen sie sich auf einem schmalen Grat zwischen Inszenierung und Dokumentation, dann nähert sich ihre Arbeit der einer Nachrichtencrew an, die den Ereignissen mit kleinen Kameras seismographisch folgen. Nachdem Jim den ersten Schock der Einsamkeit überwunden hat, findet er erste Lebenszeichen. Doch nicht nur bei den Infizierten, auch bei den (noch) Gesunden stellt sich schnell heraus, dass man ihnen nicht trauen kann: Die Hölle, das sind bei Boyle die anderen.

28 DAYS LATER, GB/USA 2002 - Regie: Danny Boyle. Buch: Alex Garland. Mit: Cillian Murphy, Naomie Harris, Noah Huntley, Brendan Gleeson, Christopher Eccleston. 20th Century Fox, 112 Min.

Diese Kritik ist zuerst am 6. Juni 2003 in der SZ erschienen.

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