Theater:Wir bauen eine Stadt

Gilgamesh

Eine Schöpfungsgeschichte mit Göttern, die Unsinn machen: André Kaczmarczyk (vorne) und Christian Erdmann.

(Foto: Thomas Rabsch)

Das Düsseldorfer Schauspielhaus ist erst in zwei Jahren bezugsfertig. Also beginnt die Intendanz von Wilfried Schulz in einem Zirkuszelt - Roger Vontobel inszeniert "Gilgamesh".

Von Egbert Tholl

Zum Glück setzt der Regen erst weit nach Ende der Aufführung ein. Wäre er früher gekommen, viel hätte man von den gesprochenen Worten nichts mehr verstanden. Denn der Ort der Aufführung ist ein luftiges weißes Zirkuszelt, in das ohnehin die Geräusche der Stadt dringen, der Verkehrslärm, auch mal das Knattern eines Hubschraubers. Das macht die Sache aber auch spannend, weil Theater hier nicht in einem abgeschlossenen Raum stattfindet, sondern mit der Stadt zu tun hat, auch wenn die hereinlärmt. Regen aber hätte die Premiere von "Gilgamesh" noch zu einem weitaus raueren, archaischeren Erlebnis gemacht, als sie ohnehin schon ist.

Als Wilfried Schulz beschloss, am Ende seiner langen Theatermacherkarriere als Intendant von Dresden nach Düsseldorf zu wechseln, hatte man ihm am Rhein ein wunderbar renoviertes Schauspielhaus versprochen. Doch vor dessen elegant geschwungener Fassade tut sich ein enormes Loch auf. Es wird 40 Meter tief werden, eine neue Tiefgarage wird da gebaut, weniger für die Theaterbesucher als für die erwarteten Gäste des 400-Millionen-Euro-Investitionsobjekt "Köbogen 2". Das Objekt ist noch nicht fertig, die Garage auch nicht, und da sie unmittelbar ans Schauspielhaus anstößt, ist in diesem kein Spiel- und Probenbetrieb möglich, zumal das Haus selbst noch seiner Renovierung harrt. Und so wird es die nächsten zwei Jahre bleiben.

Ein völlig neues Erlebnis: in Abendgarderobe auf harten Sitzbänken

Düsseldorf gilt ohnehin als schwierige Theaterstadt, was Schulz mit dem Hinweis kommentiert, hier gebe es eine lebendige Kunstszene, auch viel Punk und Elektro, die wären doch "strunzdoof", wenn sie nicht auch ins Theater gingen. Gleichwohl hat man hier schon einige Intendanten scheitern gesehen, was einem etwas bösen Bonmot zufolge auch damit zu tun haben könnte, dass der Düsseldorfer und die Düsseldorferin in erster Linie im Theater die Abendgarderobe vorführen und nicht von neumodischem Kram belästigt werden wollen. Wie viel Wahrheit in dieser oft kolportierten Aussage steckt, sei dahingestellt, und Wilfried Schulz scheint dies ohnehin nicht zu beeindrucken. Für seine erste Spielzeit hat er nun seinen inzwischen dritten, nicht unbedingt bürgerlich-konzilianten Spielplan erstellt und diesen an die herrschenden Bedingungen angepasst. Zum Auftakt bittet er die Träger der Abendgarderobe in ein karges Zirkuszelt mit harten, knappen Bänken, die einen über den Zustand des eigenen Knochengerüsts wenig im Unklaren lassen.

Das Zelt steht am Ende der Königsallee, schräg gegenüber residieren Geschäfte wie Tiffany, Louis Vuitton, Hermès und Rolex. Vor einem halben Jahr erst hat Schulz der Stadt das Zelt abgetrotzt, seine Argumente waren wohl gut: Hätte er hingeschmissen, man hätte ihn auszahlen müssen, schließlich hatte er seinen Vertrag unter anderen Vorzeichen unterschrieben.

Die Wirkung des flüchtigen Baus ist kolossal. An einer Stelle der Stadt, wo Düsseldorf vollkommen jeglichem Klischee der Stadt der Reichen entspricht, zieht das Zirkuszelt nun für ein paar Wochen Besucher an, die entweder ein völlig neues Theatererlebnis erfahren oder sich vielleicht zum ersten Mal trauen, einen Kulturtempel zu betreten, der halt gar nicht wie einer aussieht. Passend dazu heißt das Düsseldorfer Schauspielhaus jetzt "D'haus", klingt wie "da house" - womöglich war Schulz bereits eifrig in der von ihm beschworenen Elektro-Szene unterwegs. Oder er glaubt vielleicht sogar wirklich an eine umfassende gesellschaftliche Relevanz von einem Theater, das alle Schichten einschließt - in Dresden war sein Haus auch ein Bollwerk gegen Pegida.

Jedenfalls könnten sich nun auch Jüngere von Da House angezogen fühlen, sie müssen nur am Zelt vorbeigehen, während drinnen "Gilgamesh" läuft, denn dann dringt aus diesem der dunkel fließende Rock der Bühnenmusiker Daniel Murena, Manuela Rzytki und Martin Tagar. Das Zelt funktioniert osmotisch in beide Richtungen: Verkehrslärm rein, Hendrix' "Voodoo Child" in zerdehnter Nachtschattenversion raus.

Ein bisschen hinterfotzig ist es schon, dass Roger Vontobel, der neue Düsseldorfer Hausregisseur, die Spielzeit mit "Gilgamesh" eröffnet. Das Epos endet mit einem Bauvorhaben, ähnlich wie Goethes "Faust 2", nur 4300 Jahre früher, je nach Quelle der Überlieferung. Bei Vontobel entsteht aus großen Leuchtbuchstaben die Stadt Uruk, die sagenhafte Hauptstadt der Sumerer, von der längst nur noch eine große Zahl an Lehmziegeln kündet, versunken im mesopotamischen Wüstensand. Es geht also letztlich nicht nur um das Entstehen der ersten Metropole der Menschheit, auch um deren Ende. Eine mythische Schöpfungsgeschichte, in der von Göttern erzählt wird, die entweder Unsinn machen oder auf der faulen Haut liegen, in der Menschen aus Lehm geschaffen - Gilgameshs Freund Enkidu - und dahingerafft werden, der Titelheld von der Unsterblichkeit träumt und dann die Stadt hinterlässt.

Im Lehm suhlen und raufen - das Eröffnungsstück bietet echtes Jungs-Theater

Vontobel verwendet Raoul Schrotts effiziente Synthese der verschiedenen Stränge des Mythos', verdichtet sie weiter und macht echtes Jungs-Theater. Im Mythos gibt es Frauen nur als Hure oder Mutter; erstere verschwindet in Gestalt der blass-glatten Minna Wündrich bald im Chor, Michaela Steiger jedoch hat als Mutter erhabene Momente großer Ruhe, wenn die Aufführung ihr diese Ruhe auch gönnt. Die Jungs jedoch veranstalten erst einmal großes Zampano-Theater, graben in der Mitte des Zirkus im Lehm, schmieren sich voll, raufen, tanzen, sind allesamt, nicht nur die ausgewiesenen Tänzer, von großer physischer Elastizität und machen eine Zeit lang munteres Körpertheater zu Murenas Musik.

Aus dem Chor tritt, in einem aberwitzigen Geburtsakt, Enkidu in Doppelgestalt, hier Text (André Kaczmarczyk), dort Körper (Takao Baba). Gilgamesh ist Christian Erdmann, zunächst ein herrlich schlitzohriger Lausbub, der seine Kraft nicht kennt. Wird sein Gilgamesh jedoch erwachsen, dann wird die Aufführung deklamatorischer und Erdmann verliert seinen Charme in Gilgameshs trüben Träumen. Vontobel steuert dagegen, streut ein wenig Ironie ein und lässt Sandburgen bauen. Doch zunehmend ist der Abend vom Zerfall geplagt. Bis die Zeltwand hochgezogen wird und Erdmann, lehmbeschmiert und nur mit Unterhose bekleidet, in die Nacht verschwindet, zur Königsallee. Ein prächtiges Bild eines freilaufenden Schauspielers in einer aufgeräumten Stadt.

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