Theater:Voll der Psychohorror

Die fürchterlichen tage des schrecklichen Grauens

Sympathischer Schluffi: Tjark Bernau spielt den etwas aus der Bahn geratenen Moritz.

(Foto: Konrad Fersterer)

Anne Lenk inszeniert in Nürnberg den Roman "Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens" als Solostück für Tjark Bernau

Von Florian Welle

Jazzmusik geht über in Krach, dann ein fieser Schrei und Stille. Für zweieinhalb Stunden wird das dissonante Intro das Einzige in der sogenannten 3. Etage bleiben, was man gewöhnlich mit einem Horrorfilm assoziiert. Erst zum Schluss wird es auf der schnuckeligen Studiobühne wieder gruselig. Taucht auf der Videoleinwand Nosferatu auf; blickt der Zuschauer in das Maul des Alien; verfolgt man die Verwandlung eines Mannes in einen Werwolf. Dazwischen breitet Tjark Bernau als Nerd Moritz in einem formidabel gespielten Solo eine andere Form des Horrors aus: den Horror des bürgerlichen Lebens im Allgemeinen, den der Generation Y im Speziellen.

Anne Lenk ist die neue Nürnberger Hausregisseurin. Für ihre zweite Regiearbeit nach "Die Möwe" auf der Schauspielhausbühne hat sie sich den Roman "Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens" von Roman Ehrlich ausgesucht. Darin wird auf mehr als 600 Seiten die Geschichte von Moritz erzählt, der in München in einer Agentur hockt und die deutsche Homepage von Miley Cyrus bearbeitet. Der gerade von seiner Freundin Josi verlassen wurde und sich in Ulm einem Horrorfilmprojekt seines früheren Kumpels Christoph anschließt, weil er schon immer einmal "einen aufwendig animierten, grausamen Tod" sterben wollte. Im Ulmer Café Porsche trifft sich die Crew, um Stoff für den Film - Titel: "Das schreckliche Grauen" - zu sammeln. Dazu muss auf Befehl des brutal ätzenden Christophs jeder die Hosen runterlassen. Sprich vor versammelter Mannschaft von tiefsitzenden Ängsten erzählen. Zum Vorschein kommt bei Jonas Fresssucht, bei Hubi eine umfassende Lebenskrise, und Marlies war wegen einer Angststörung schon in der Psychiatrie.

In Anne Lenks Uraufführungs-Inszenierung, die die Vorlage radikal gekürzt hat (Theaterfassung: Andrea Vilter), taucht keiner der Genannten leibhaftig auf, sondern lediglich per Videoeinspielung. Tjark Bernau ist als Moritz gleichzeitig Erzähler, der die Psychotripsitzungen rückblickend Revue passieren lässt. Dabei mal an einem Tisch hockt und einen Laptop bedient, mal mit Mikro umherschlurft und dabei gerne die vierte Wand durchbricht. Was hier sehr sympathisch rüberkommt, weil der Schauspieler auch zwei Kästen Bier auf die Bühne schleppt und für das Publikum Pizzen ordert. Schließlich ist der Abend lang, gibt es keine offizielle Pause.

Lenk und Bernau kennen sich schon lange, haben bereits vor Jahren in Augsburg tolle Aufführungen hingelegt. Lenk ist immer dann am besten, wenn sie das komische Potenzial im alltäglichen Grauen freilegt. Mit Bernau steht ihr der richtige Schauspieler zur Verfügung. In der "Möwe" hat er den Lehrer gespielt, knallrotverliebt. Hier nun legt er Moritz als in sich eingesackten Schluffi mit Wollmütze an: kindlich, verletzlich, liebesbedürftig. Immer mehr gerät er in Christophs Bann, verliert seinen Job, wird depressiv. Doch Bernau spielt den Niedergang so, dass man trotzdem lachen muss. Und am Ende das Gefühl mit nach Hause nimmt, dass der wahre Horror des Lebens nicht in irgendwelchen Ängsten liegt, sondern in der eingespielten Hymne des FC Bayern, "Stern des Südens". Oder in einem Leben in einer Olchinger Reihenhaussiedlung: "Mir war der Ort als Kind schon zuwider." Also in der Normalität!

Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens, nächster Termin am Mittwoch, 23. Januar, 19 Uhr, Staatstheater Nürnberg, 3. Etage

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