Theater:Oh, ein Generalangriff

Foto: Wiener Festwochen © Alexi Pelekanos

"Die Ästetik des Widerstands" à la Oliver Frljić: Jedem Guantanamo-Häftling wird die Kehle durchgeschnitten. Vorher gibt es eine Gedenkminute für die Terroropfer von Paris.

(Foto: Alexi Pelekanos; Alexi Pelekanos)

Der bosnische Theatermacher Oliver Frljić rechnet in seinem neuen Stück "Unsere Gewalt und eure Gewalt" mit Europa ab - eine der plumperen Arbeiten bei den Wiener Festwochen.

Von Christine Dössel

Da geht man ins Theater zu einer Uraufführung - und macht sich schon wieder schuldig. "Während Sie sich dieses Stück anschauen, sterben Tausende Menschen", sagt eine betrübte Stimme aus dem Off. Hm. Soll man sich jetzt schämen? Die Stimme tut es jedenfalls: "Ich schäme mich für Sie!" Sie schämt sich zwar auch "für den Papst, der in seiner eigenen Stadt lebt". Oder "für die Briten, die auf ihrer Insel leben". Am meisten aber, sagt die Stimme, "schäme ich mich für das Theaterpublikum". Es tue nichts, sitze einfach nur da und halte sich für etwas Besseres als all die Araber und "Balkan-Tiere". Wir Theaterbesucher sind Schuldige: "Ihr Verbrechen besteht darin, Bürger Europas zu sein."

Ein bisschen, muss man sagen, schämt man sich dann doch - aber weniger dafür, dass man schon wieder nicht die Welt gerettet hat, als für die Plakativität und Plumpheit, mit der Oliver Frljić in seinem neuen Projekt dem historisch schuldbeladenen, kapitalistisch-imperialistischen, mörderisch egoistischen Europa den Marsch bläst. Der 1976 in Bosnien geborene Regisseur, Intendant des kroatischen Nationaltheaters Rijeka, ist bekannt für seine politisch provokanten, oft aufwühlenden, den Finger schmerzvoll in Kriegswunden legenden Theaterarbeiten. In München inszenierte er letztes Jahr im Marstall den verstörenden Abend "Balkan macht frei", in dem er sich rabiat mit seiner eigenen Rolle als "Vorzeige-Balkanese" im westlichen Kulturbetrieb auseinandersetzt.

Sein neues Stück, uraufgeführt bei den Wiener Festwochen, trägt den Titel "Unsere Gewalt und eure Gewalt" (Naše nasilje i vaše nasilje). Es beruft sich theoretisch auf Peter Weiss' dreibändigen Roman "Die Ästhetik des Widerstands", dieser umfassenden Geschichte der Arbeiterbewegung im Widerstand gegen den Faschismus. Aber das ist nur ein Alibi-Verweis, der schon allein deshalb kommen muss, weil das Stück eine Auftragsarbeit des Berliner HAU ist: für ein Festival, das sich Ende September mit Peter Weiss und den in seinem Buch gestellten Fragen beschäftigt.

Ein Syrer wird mit Alkohol und Schweinefleisch zwangsintegriert

Mit einer "Ästhetik des Widerstands" hat Frljić jedenfalls nichts am Hut, aber auch zu der Frage nach dem "Faschismus in uns allen", die ihn laut Programmheft umtrieb, hat das Stück nicht annähernd etwas Substanzielles zu sagen. Es ist von vornherein auf moralischen Krawall gebürstet, greift, da es zu keiner anderen Sprache findet, zu Bildern der Gewalt. Foltercamp-Erniedrigungen, Hinrichtungen, eine Vergewaltigung - alles schön deutlich vorgeführt. Koproduzenten sind das Kunstfest Weimar und das Zürcher Theater-Spektakel. Sie alle haben die Katze im Sack gekauft - sie entpuppt sich als wild fauchender Säbelzahntiger voller Angriffslust. Allerdings ohne jeden Biss.

Das Ärgerliche an diesem gratisradikalen Theaterabend ist, dass er auf Teufel komm raus provozieren und schockieren will - und das mit den plattesten, aufdringlichsten, grobschlächtigsten Mitteln. Nicht einmal die Schauspieler reißen's raus. Sie geben sich als Migranten aus, nach Europa Geflüchtete, also Laien, und spielen dann leider auch so, als wäre man in einem Polittheater-Workshop. Anfangs liebkosen sie sich nackt zum Weihnachtslied "Stille Nacht", Männer schlecken Männer ab, Frauen küssen Frauen, dabei verwischen die arabischen Schriftzeichen auf ihrer Haut. Eine junge Muslima, mit nichts bekleidet als dem Hidschab, zieht eine kleine Österreich-Flagge aus ihrer Vagina. Diese wird gehisst, woraufhin alle neun Darsteller orangefarbene Overalls anziehen und vor einer Wand aus Benzinkanistern Aufstellung nehmen: IS-Häftlinge mit gefesselten Händen, die zu dem Wohlfühlsong "Heaven, I'm in heaven" ein Gefangenen-Ballett hinlegen, bevor ihnen, einem nach dem anderen, die Kehle durchgeschnitten wird.

Der Folterer bittet die Zuschauer vorher um eine Schweigeminute für die Terroropfer von Paris und Brüssel. Und um eine weitere Schweigeminute für die "vier Millionen Menschen, die in Afghanistan, Irak und Syrien seit den Neunzigerjahren von den Europäern umgebracht wurden". Später wird die Stimme aus dem Off mit vier Millionen toten Europäern im Gegenzug drohen, sonst sei kein Frieden möglich.

Weh tut dieser Generalangriff leider gar nicht, man denkt vielmehr: Au weh! Die höllische Szenenabfolge, unterlegt mit teils opernhafter, billig-pathetischer Gefühlsmanipulationsmusik, hat auch zwangsmuntere Tanz- und Luftballon-Einlagen. Einmal wird jenes Statement des lettischen Regiestars Alvis Hermanis vorgelesen, mit dem dieser im Dezember sein Engagement am Hamburger Thalia Theater absagte, weil er die Refugees-Welcome-Politik des Hauses ablehnte. In einer anderen Szene wird ein "syrischer Flüchtling" gedemütigt und mit einem Schweinskopf und Alkohol zwangsintegriert - als Zeichen europäischer Willkommenskultur. Später steigt ein Jesus mit Dornenkrone von seinem Benzinkanisterkreuz herab und vergewaltigt eine am Boden liegende Muslima. Diese gibt ihm zur Versöhnung einen Kuss. Die Schreckens-Performance endet nach 75 Minuten in wildem Verzweiflungsgelächter.

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