Theater:Missverständnisse auf Socken

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Catrin Striebeck (Lady Macbeth) und Oliver Masucci als Macbeth. (Foto: Oliver Fantitsch)

Regisseur Matthias Hartmann verschätzt sich mit "Macbeth" in Hamburg.

Von Till Briegleb

Shakespeares "Macbeth" bringt Unglück. Es soll in seiner 400-jährigen Geschichte diverse Schauspieler getötet und Hexenflüche erfüllt haben, Massenschlägereien wurden ausgelöst und Gewichte fielen aus dem Schnürboden, es löste Gürtelrosen aus und Selbstmorde. Angeblich gibt es immer noch Theatermenschen, die aus Aberglauben den Titel nicht aussprechen und das Drama "The Scottish Play" nennen. All das hätte Matthias Hartmann mal erzählen können, als er am Freitagabend in Hamburg auf Kampnagel die Premiere seiner Macbeth-Inszenierung unterbrach und in Socken auf die Bühne kam. Anlass war Mörderblut, das von Macbeths Gesicht in das Kopfmikrophon gelaufen war, so dass Oliver Masuccis Stimme wie ein Spielzeugroboter klang. Und obwohl er ohne Microport klar verständlich weiterspielte, stoppte sein Regisseur das Geschehen abrupt.

Und so wurde aus dem kleinen technischen Unglück ein großes eitles. Denn der ehemalige Burgtheaterintendant blieb blaubestrumpft einfach auf der Bühne stehen, bis Masucci neu verdrahtet wieder da war, und redete und redete. Dass Kampnagel ja kein Theater sei, womit er wohl meinte, dass man hier nicht ohne technische Hilfsmittel spielen kann, obwohl genau das seit fast 40 Jahren erfolgreich getan wird. Dann sprach er über das rosa Tüllkleid von Lady Macbeth, dessen Reißverschluss kurz vor Türöffnung noch kaputt gegangen sei. Es war wie eine Castingshow für Pausenclowns, zum Fremdschämen.

Durch diesen Unterbrechungsschock auf höchstem Adrenalinniveau, agierten Catrin Striebeck und Oliver Masucci im Anschluss zwar besser und fokussierter als vor der Vollbremsung. Aber das verwies eigentlich nur auf das wahre Unglück dieser Inszenierung: Die Idee, das berühmte Meucheldrama nur mit den Macbeths zu erzählen, und das in zwei Wochen einzuproben. Denn am 16. Mai hatte Matthias Hartmann noch an der Mailänder Scala mit "Idomeneo" Premiere. Doch trotz der unmöglich kurzen Probenzeit hatte er dem Leiter des Hamburger Theaterfestivals, Nikolaus Besch, versprochen, seinem privat finanzierten Abspielfest für deutschsprachige Stadttheaterproduktionen, zu dem Hartmann jährlich mit oft zwei Produktionen eingeladen war, im zehnten Jahr als Dank seine erste echte Premiere zu schenken.

Aber auch auf der Textgrundlage des bewährten Fassungsgestalters für Romane und adaptierte Klassiker, John von Düffel, der 20 Rollen plus Lords, Offiziere und Soldaten strich, um den Mordkomplott allein mit den zwei Hauptpersonen zu erzählen, wurde aus diesem Unterfangen nicht mehr als eine hingehuschte Low-Budget-Produktion, bei der das teuerste vermutlich die Louboutins von Catrin Striebeck gewesen sind. Ausgestattet nur mit einem Türschrank wie auf der Schauspielschule, einer Nebelmaschine und 72 Scheinwerfern auf dem Boden für permanentes Unterlicht lag alles Gewicht dieser Nicht-Inszenierung auf den zwei Darstellern.

Niemand wird diesen beiden vielerprobten und vielseitigen Verwandlungskünstlern vorwerfen wollen, dass sie trotz ihrer ganzen Routine die meiste Zeit bis zum Sockentest gepumpt haben. Peter Brook, der unangefochtene Weltmeister für Shakespeare-Minimalismus, probte teilweise Monate mit seinen Darstellern, bis sie die innere Ruhe fanden, ohne äußeren Halt eine Figur sparsam zu entwickeln. Wenn Oliver Masucci und Catrin Striebeck hier also viel zu früh in gestischen Aktionismus verfallen und die tiefe Hybris des Königsmords im eigenen Haus mit Hysterie überdecken, dann erkennt man als Zuschauer darin einfach eine hektische Inszenierungsentwicklung, die für psychologische Rollenarbeit keine Zeit hatte. Oder die fahrlässige Selbstüberschätzung eines Regisseurs, der meint, er könne das schwierigste, was es im Theater gibt, nämlich die präzise reduzierte Komplexität, so eben aus dem Ärmel schütteln. Vor diesem Hintergrund war der Abend kein Unglück für Catrin Striebeck und Oliver Masucci, die den Sockenanschlag mit Bravour in Energie umkehrten.

© SZ vom 03.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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