Theater:Die Welt in Schieflage

Theater: Auf die schiefe Ebene geraten sind die Darsteller in dem Stück "Kreise/Visionen", das am E.T.A.-Hoffmann-Theater uraufgeführt wurde.

Auf die schiefe Ebene geraten sind die Darsteller in dem Stück "Kreise/Visionen", das am E.T.A.-Hoffmann-Theater uraufgeführt wurde.

(Foto: Martin Kaufhold)

Juli Zehs "Leere Herzen" und Joël Pommerats "Kreise/Visionen" in Bamberg

Von Florian Welle, Bamberg

Zwei Inszenierungen, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben scheinen und sich dann doch erstaunlich gut ergänzen: "Leere Herzen", basierend auf Juli Zehs vor eineinhalb Jahren erschienener gleichnamiger Dystopie, und "Kreise/Visionen" des Franzosen Joël Pommerat. Zehs Roman spielt im Deutschland des Jahres 2025. Pommerats Episodenstück von 2010 ist eine Tour d'Horizon durch die Geschichte. Geht vor, zurück, vor, zurück, spielt in der Zeit des Hundertjährigen Kriegs, vor und während des Ersten Weltkriegs und in den Nullerjahren.

Zukunft hier, Vergangenheit dort. Und doch stellen beide Werke ähnliche Fragen: Woran glaubt der Mensch? Welchen Wert hat er? Welchen die Demokratie? Juli Zeh und Joël Pommerat haben also vor allem unsere Gegenwart im Blick. Bei Zeh hat sich die Mittelschicht in ihrer Wohlfühlblase eingerichtet und darüber vergessen, dass Demokratie kein Selbstläufer ist. Nun regiert die "Besorgte-Bürger-Bewegung" und schafft aus vermeintlicher Sorge gleich sämtliche Bürgerrechte ab. Was einer Zynikerin wie Britta Söldner (nomen est omen) aber egal ist, weil sie längst nicht mehr wählen geht. Herzlos führt sie ihre Organisation "Die Brücke". Diese heuert selbstmordwillige Menschen an, um sie dann an den IS oder an Öko-Aktivisten zu verhökern. Ein Bombengeschäft!

Sich verkaufen: Darum geht es auch bei Pommerat, der dieses Konzept historisch durchspielt und reflektiert. Da ist der Ritter, der seinem Lehnsherrn verpflichtet ist. Da sind die Dienstboten an der Wende zur Moderne, die ihren Herrschaften auch dann noch unterstehen, wenn diese ihnen unmoralische Angebote unterbreiten. Schließlich sind da die Arbeitslosen des 21. Jahrhunderts, die in Kursen endlich lernen sollen, "sich als Produkt zu begreifen". Glaubte der Ritter selbstverständlich noch an Gott, soll heute jeder als selbstoptimierter, neoliberaler Ego-Shooter sich selbst der Nächste, mehr noch: sein eigener Gott sein. Am Ende stehen bei dem Franzosen Einsamkeit und Verzweiflung. Bei Juli Zeh indes wandelt sich Britta wieder zurück zu "einem Menschen". Pathos pur.

"Leere Herzen" ist nicht Zehs stärkster Roman: Er hat Längen, ist zu plakativ. Der Chefdramaturg Remsi Al Khalisi aber hat aus dem Zukunfts-Thriller für die Uraufführung im Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater eine stimmig gekürzte Theaterfassung erstellt. Ergebnis: ein von Regisseurin Daniela Kranz stringent, mitunter richtig spannend erzählter Abend mit Ewa Rataj als eiskalter Britta im Zentrum.

Rataj spricht hart, bewegt sich zackig in der cleanen Wohnzimmerlandschaft, die Martina Suchanek auf die Studiobühne gestellt hat. Unterstrichen wird diese unterkühlte Atmosphäre noch durch einen gelungenen Einfall. Man hat die Vorhänge, die sonst die riesigen Fensterfronten des Studios bedecken, einfach weggezogen, so dass sie nun integraler Teil des Bühnenbildes sind. Mehr noch: Der Park vor dem Theater wird so zur zusätzlichen Spielfläche. Man sieht die Darsteller draußen joggen, ihre Unterhaltungen sind innen aber trotzdem zu hören. Nach 90 Minuten ist dann die Message unter die Leute gebracht: Die Demokratie ist das beste aller politischen Systeme, verteidigt sie!

Joël Pommerats Stück ist wesentlich komplexer. Die Franzosen denken ja, anders als deutsche Dramatiker, meist gleich die ganze europäische Bildungsgeschichte mit. Das heißt hier vor allem die Aufklärung, deren Fragen nach der (Un-)Freiheit des Menschen, nach Zufall und Schicksal. Und so steht auf der großen Bühne eine drehbare, in der Mitte durchgeschnittene Kugel, die dann in die Schräge gekippt wurde. Die Seiten sind zudem durchlöchert, aus dem Inneren strahlt Licht und illuminiert das ganze Haus, fast wie unser Sternenhimmel (Bühne: Markus Pysall). Bei jeder Episode lässt Regisseur Frank Behnke nun in seiner bildstarken Inszenierung diese Kugel in einer anderen Stellung einrasten. Sehr dynamisch, kraftvoll und mit Lust an der Verwandlung führen hier die Schauspieler das Spiel des Lebens vom Mittelalter bis in die Gegenwart auf. Ein Spiel, das in Schieflage geraten ist. Oder war es das schon immer?

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