Theater:Bitterböses Larifari ohne Punkt und Komma

Theater: Kasperletheater als Kommentar zu aktuellen Problemen.

Kasperletheater als Kommentar zu aktuellen Problemen.

(Foto: Jochen Klenk)

Thomas Köcks Textfläche "kudlich. eine anachronistische puppenschlacht" am Stadttheater Ingolstadt

Von Florian Welle, Ingolstadt

In letzter Zeit gehen Dramatiker immer häufiger zurück in die Geschichte, vor allem ins 19. Jahrhundert, um nach den Gründen für die Probleme der Gegenwart zu suchen. Wie sind wir die geworden, die wir sind, scheinen die Stücke zu fragen. Stefano Massini mit seinen "Lehman Brothers" wäre hier zum Beispiel zu nennen. Und jetzt auch der Österreicher Thomas Köck, dessen "kudlich. eine anachronistische puppenschlacht" gerade am Ingolstädter Stadttheater seine deutschsprachige Erstaufführung hatte.

Köcks Text ist eine an Elfriede Jelinek geschulte Textfläche. Konsequent kleingeschrieben und ohne Punkt und Komma. Inhaltlich mischt sich da die Vergangenheit rund um die Revolution von 1848 in Österreich mit unserem neoliberalen, zunehmend auch neobiedermeierlichen Heute, in dem ein Umsturz der Verhältnisse gar nicht mehr vorstellbar zu sein scheint. Während es in der Haupthandlung vor allem um den historischen Bauernsohn Hans Kudlich und dessen Forderung, den Frondienst abzuschaffen, geht, trifft im Prolog schon einmal die "arabella" (Kiesbauer) auf Georg Büchner. Und dieser wiederum auf den sechzehnköpfigen Zombie-Heimatchor "wir sind der outgesourcte hass". Oder auf den volkstümelnden Quetschen-Rock'nʼRoller Andi Gabalier, dem Köck ein brutal-blödes Lied auf den Trachtenleib geschrieben hat: "ja, bei uns isses imma nu so sche, dʼberg bleibn auf olle zeitn steh". Bei Köck prallt mithin das Banale ziemlich hart auf komplexe Sachverhalte.

Regisseur Michael Simon hat die gewaltigen Unwuchten von Köcks Vorlage zum Anlass genommen, eine Inszenierung auf Grundlage einer eigenen Textfassung auf die Beine zu stellen, die Erwartungen an einen geordneten Theaterabend konsequent unterläuft. Das fängt schon damit an, dass bereits nach 30 Minuten Pause ist - danach geht's noch eineinhalb Stunden weiter - und hört noch längst nicht damit auf, dass einzelne Szenen gnadenlos in die Länge gezogen werden. Mit anderen Worten: Es herrscht die Antilogik der Farce beziehungsweise des Kasperletheaters, wo Großes klein und Kleines groß wird.

Denn Simon weiß freilich, was er da tut. Das sieht man allein daran, wie klug er die eingangs vom Schnürboden herabgelassenen Schilder - darauf Schlagworte wie "Werte", "Rendite", "Sie" und "Wir" - später so zusammenbaut, dass sie einen kleinen Guckkasten wie beim Kasperletheater ergeben. Passend dazu trägt das Ensemble die meiste Zeit skurril ausgestopfte Puppenkleidung, die ihnen mal etwas Herzförmiges, mal etwas Wurstartiges verleiht. Und natürlich sind die Schauspielerinnen hier die Männer und umgekehrt. Die überaus agile Sandra Schreiber etwa gibt ganz hinreißend Kudlich als Hans Dampf-Revoluzzer in allen Gassen.

Es lohnt sich, sich auf diese widerständige Puppenschlacht einzulassen. Zu erleben ist eine Inszenierung, die nur scheinbar banal daherkommt. In Wahrheit aber jede Menge Theatergeschichte von Nestroy über Graf von Pocci bis Brecht und Jelinek atmet. Zu erleben ist zudem ein Ensemble, dem man das Vergnügen am Larifari-Treiben ansieht. Bitterer, böser, aber auch verspielter wurde zuletzt selten über die Gegenwart und ihre aktuellen Debatten - etwa über Heimat, Ein- und Ausgrenzung oder über den zunehmend alle Lebensbereiche beherrschenden Primat der Ökonomie - reflektiert.

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