Theater:Bis zum Umfallen

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Schwitzen für die Erkenntnis: Malte Scholz, hier in dreifacher Ausführung, formt und verformt seinen Körper. (Foto: Konrad Fersterer)

"Teutona", eine Performance im Schauspielhaus Nürnberg widmet sich dem Drill des menschlichen Körpers und seiner gesellschaftspolitischen Dimension

Von Florian Welle

Malte Scholz erscheint erst mal auf Videoleinwand. Er trägt Bart und Brille und redet etwas von "Langzeitbeobachtung". Dann fordert der Performer das Publikum auf, das "Versuchsobjekt zu betrachten", und steht genau in dem Moment leibhaftig vor einem und beginnt in Schlabberklamotten sein Trainingsprogramm. In den kommenden 70 Minuten wird er mit unterschiedlich schweren Kettlebells Übungen ausführen, wie man sie aus hippen Fitnessstudios oder von ambitionierten Youtubern kennt, und dabei nicht immer eine gute Figur machen. Was der humorige Teil des Abends ist.

"Teutona oder Vorbereitung zukünftiger Vorstellungen der Essayperformance Teutona" heißt die Uraufführung, die seit einer Woche in der 3. Etage des Nürnberger Schauspielhauses zu sehen ist. Ausgedacht hat sie sich Oliver Zahn. Er ist sozusagen der Drill Instructor von Malte Scholz, den die Nürnberger bereits aus einer Performance von Boris Nikitin kennen, deren Titel ähnlich verschwurbelt war wie diesmal: "Aufführung einer gefälschten Predigt über das Sterben". Vom Sterben handelt in gewisser Weise auch Zahns Stück; es stellt nicht nur die Frage, wer hier eigentlich seinen Körper plagt, sondern auch mit welchem Ziel. Dieses liegt naturgemäß in der Zukunft, in der der Tod den Trainierenden ereilen wird. Es sei denn, der Mensch überwindet dereinst die Abhängigkeit vom Körper. Sci-Fi-Literatur fantasiert darüber seit Langem. Aber auch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das, was man früher als Leibesertüchtigung verstanden hat, noch nie Selbstzweck war. Darauf spielt der Titel der Performance an: "Teutona" nannte Turnvater Jahn die zu gründende Hauptstadt des von ihm herbeigesehnten Großdeutschlands.

Der Körper war also stets zu formendes (je nach Sicht utopisches oder dystopisches) Material, daher ist Sport hochpolitisch. Zahn exerziert diesen Aspekt unter Verweis auf reale wie literarische Personen in mehreren Kapiteln regelrecht durch. Obwohl die Botschaft ja nicht ganz neu ist bzw. man sie hier schnell begriffen hat, so dass gleichzeitig zum vor sich hinschwitzenden Malte Scholz auch beim Besucher zunehmend Ermüdung einsetzt.

Während dieser nämlich die Kettlebells keuchend schwingt und wuchtet, erklingt aus dem Off eine Stimme, die erzählt, wer sich da gerade abmüht. Zu Beginn ist es Arnold Schwarzenegger, der sich aufpumpt, um dem miefigen Nachkriegs-Graz gen Traumland USA zu entrinnen. Dann ist es ein anderer weißer Mann, der noch viel frustrierter ist als es Arnie jemals war: Der Rechtsextremist und Rassist Anders Breivik, der sich einen Körperpanzer antrainiert hat, um das Arsenal an Waffen für seinen Massenmord auf der Insel Utøya tragen zu können. Es folgen noch die Kickboxerin Khadija Safari, die Muslimas gegen Übergriffe von Männern ausbildet; die Astronautin Liu Yang, die mit ihrem Aufenthalt im All die Überlegenheit Chinas demonstrieren wollte; sowie Camille, ein Zukunftswesen zwischen Mensch und Schmetterling aus Donna Haraways Buch "Unruhig bleiben".

Wirklich spannend dürfte "Teutona" erst als Langzeitbeobachtung werden, als die sie mit vieljähriger Laufzeit erdacht ist. Zu sehen sein wird dann, wie sie auf ein bislang noch unbekanntes körperpolitisches Umfeld reagiert. Und vor allem, ob und wie der Körper von Malte Scholz, dem man nicht zu nahe tritt, wenn man sagt, er sei derzeit nicht wirklich "in shape", sich durch sein Live-Training verformt hat.

Teutona oder Vorbereitung zukünftiger Vorstellungen der Essayperformance Teutona , Schauspielhaus Nürnberg, 3. Etage, nächste Aufführung, Mi., 10. April, 20.15 Uhr

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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