Tagung zu Verschwörungstheorien:So finster die Macht

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Mit Bitterschokolade gegen Mohammed, mit amerikanischen Rechtsextremen für ein neues British Empire: Seit 9/11 haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur - und haben doch ein gemeinsames Element.

Volker Breidecker

Verschwörungstheorien sind so unwiderlegbar wie sonst nur Gerüchte, mit denen sie die Geschwindigkeit ihrer Ausbreitung und die Ansteckungskraft teilen. Ihre Logik ist ebenso bezwingend, wie die entworfenen Kausalketten lückenlos sind. Wie der Sternenglaube der Astrologie, und mit diesem verwandt, scheinen Verschwörungstheorien einem menschlichen Bedürfnis nach einfacher und rascher Orientierung in komplexen Verhältnissen nachzukommen. Frei flottierend, verknüpfen sie das Allernächste mit dem Fernsten, die kleinsten Dinge des Alltags mit dem großen Weltgeschehen, überwinden Grenzen und verbinden Weltregionen miteinander. Und jedem Ereignis, jedem Detail verleihen sie eine unzweifelhafte Bedeutung. Wie in göttlichen Bauplänen, die sie nachahmen, auch wenn sie vermeintliches Teufelswerk aufdecken, bleibt der Zufall ausgeschlossen. Alles macht Sinn auch das vollkommen Sinnlose.

Keine Verschwörungstheorie so berühmt wie die der Illuminaten, nirgends die paranoische Furcht so groß. Das Bild zeigt eine Szene aus dem Film "23" - eine verschwörerische Zahl. (Foto: DPA)

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Das mag mit der beschleunigten Allgegenwart des Internet als ihres bevorzugten Trägermediums zu tun haben, es könnte aber auch auf fundamentale Veränderungen im Verhältnis von öffentlicher und privater Sphäre deuten. Ohnehin folgt die Politik heute den Vorbildern der Popkultur, für deren Blaupausen der Kampf der "guten" gegen die "bösen Mächte" archetypisch ist.

Gleichwohl sind Verschwörungstheorien Produkte moderner Säkularisierungsprozesse, auch wenn sie religiöse Überzeugungen und selbst apokalyptisches Denken mit transportieren und transformieren. Ob sich der Verschwörungsglaube seine dunklen Gründe für den vermeintlichen Tod von Paul McCartney, für das angebliche Weiterleben von Elvis Presley ausmalt, für den Mord an John F. Kennedy stets neue Versionen eines Komplotts auftischt, oder widriges Kleingeschehen wie große Weltereignisse auf die dunklen Machenschaften jüdischer Weltverschwörer im Verein mit Katholiken, Freimaurern, Kapitalisten und so weiter zurückführt: Die Stereotypen und Narrative bleiben sich im wesentlichen gleich, sie bilden nicht einmal eine entwicklungsfähige Tradition aus; sie sind und bleiben Stapelware von Versatzstücken magischen Verknüpfungszwanges. Doch darauf beruht ihre Überzeugungskraft.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit gab dazu auf der Internationalen Konferenz "Conspiracy Theories in the Middle East and the United States" des Freiburger Institute for Advanced Studies (Frias) die Hamburger Islamwissenschaftlerin Shirin Fathi: Ein iranischer Nachrichtendienst berichtete im vergangenen Herbst von einer heimtückischen Missionierungstaktik amerikanischer Militärs in Pakistan. An Kinder verteilten die Soldaten angeblich zwei verschiedene Sorten Schokolade: Neben süßer Milchschokolade dunkle Bitterschokolade in Verpackungen, die den Namen des Propheten Mohammed trugen und den Kindern bitter aufstoßen sollten, um sie von ihrem Glauben abspenstig zu machen.

Nicht weniger paranoisch ist, wie andere Vorträge zeigten, die Propaganda amerikanischer Glaubenskrieger und Populisten, gleich ob sich ihre Rhetorik gegen den Islam oder gegen die Regierung in Washington richtet. Der vergleichende Blick, den die versammelten Historiker, Sozialwissenschaftler, Politologen, Amerikanisten und Orientalisten - leider kein Literaturwissenschaftler, der sich auf die Poetik und Rhetorik von Verschwörungsnarrativen verstanden hätte - auf zwei Weltregionen warfen, in denen solche "Theorien" besonders virulent sind, brachte seltsame Schulterschlüsse zu Tage: Militante amerikanische Antisemiten, die den Attentätern von 9/11 applaudierten, iranische Fundamentalisten und amerikanische Rechtsradikale, die auch heute noch von den Welteroberungsplänen eines wiedererstarkten Britischen Empire überzeugt sind.

Finstere Pläne und Untaten

Im Libanon, in Syrien, in der Türkei und im Iran werden Verschwörungstheorien in wechselnden Verpackungen zum Zwecke politischer Stimmungsmache instrumentalisiert und sind damit klare Anzeichen der Säkularisierung, so wie im Iran - Shirin Fathis Befund zufolge - die Religion im Privatleben der Menschen in dem Maße an Einfluss verliert, wie sie im öffentlichen Leben an Macht zugenommen hat. Denkbar, dass sich krude Verschwörungstheorien unter dieser Dialektik auch einmal verschleißen könnten, und interessant, danach zu fragen, ob sich eine ähnliche Entwicklung auch in den USA abzeichnete.

Gegenwärtig ist die Welt und vom allem das Internet mit Verschwörungstheorien dermaßen inflationiert, dass die zeitgemäße Variante einer solchen logischerweise darin bestünde, in jeder Verschwörungstheorie selbst das Werk dunkler Mächte zu erkennen, die nur von ihren eigenen finsteren Plänen und Untaten ablenken will.

Bleiben als Probleme, denen es weiter nachzugehen lohnt, vor allem Transferfragen, etwa die, wie sich die Bedeutung eines Verschwörungstheorems verändert, wenn es in andere Kontexte versetzt wird. Eine markante Urszene aus den Anfängen der Union schilderte der Historiker Andrew McKenzie: Schauplatz war eine Buchhandlung in Philadelphia, in deren Auslagen der Prediger Jedidiah Morse im Frühjahr 1798 ein "Proofs of a Conspiracy" betiteltes Werk des britischen Royalisten John Robinson entdeckte.

Dieser geißelte darin die Französische Revolution als das Werk einer Verschwörung von Jesuiten und Freimaurern unter dem Namen der "Illuminaten". Die antibritische amerikanisch-französische revolutionäre Allianz war gerade zerbrochen, und der amtierende Präsident John Adams machte dunkle Andeutungen über Verschwörungen auf amerikanischem Boden. In dem Buch von Robinson fand Morse den fantastischen Hinweis auf vermeintliche Geheimaktivitäten von "Illuminaten" bereits im vorrevolutionären Amerika, und so kamen die Objekte paranoischer Furcht dort erstmals zu einem Namen und jene Handvoll Ingolstädter um ihren Spiritus Rector Adam Weishaupt zu ungeahnter transatlantischer Prominenz und zu bleibendem Eingang noch in die heutige Popkultur.

© SZ vom 18.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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