SZ-Serie: Die grüne Frage:Die saubere Lösung

"Das Großartige an Kernenergie ist, dass das Zeug irgendwann nicht mehr giftig ist": Der ehemalige Atomkraftgegner Stewart Brand hat sich um 180 Grad gedreht - und spricht nun über die Ideologisierung der Umweltbewegung.

Andrian Kreye

Stewart Brand ist studierter Ökologe. Von 1968 bis 1985 veröffentlichte er den "Whole Earth Catalogue", ein Kompendium fortschrittlicher Technologien und Produkte, das vor allem in der amerikanischen Gegenkultur als Pflichtlektüre galt. Er ist der Präsident und Mitbegründer der Long Now Foundation, einer Stiftung zur Förderung langfristigen Denkens, und der Mitbegründer der Beratungsfirma Global Business Network. Sein jüngstes Buch ist das Manifest "Whole Earth Discipline".

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"Ja zur Atomenergie, ja zur Gentechnik, ja zur Urbanisierung" - trotz anhaltender Proteste gibt es auch Fürsprecher der umstrittenen Kernkraft, wie den amerikanischen Ökologen Stewart Brand.

(Foto: ddp)

SZ: Sie gelten als einer der Väter der amerikanischen Ökologiebewegung. Und doch haben Sie sich in den Kernthemen um 180 Grad gedreht - Sie befürworten heute Biotechnologie, Urbanisierung und die Kernenergie. Haben Sie nach Fukushima Ihre Meinung revidiert?

Stewart Brand: Nein, meine Ansichten sind unverändert.

SZ: A ber war Fukushima nicht der klassische Fall, den der Philosoph und Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker als Warnkatastrophe beschrieb, also ein einschneidendes Ereignis, das eine Gesellschaft, ein Land, den Lauf der Geschichte verändern kann?

Brand: Wenn es darum geht, dass man sich darauf konzentriert, neue Reaktoren zu bauen, anstatt sich ewig auf die alten zu verlassen, und dabei Innovationen in Design und Technik voranzutreiben, die es ja längst schon gibt, und die für mehr Sicherheit sorgen, dann ist Fukushima sicherlich der Impuls für einen radikalen Wandel. Wenn Sie davon sprechen, die Kernenergie abzuschaffen - das einzige Land, das diesen radikalen Umschwung in seiner Politik erwägt, ist ja Deutschland. Alle anderen Länder machen unverändert weiter. Vor allem die Entwicklungsländer, wo es am wichtigsten ist.

SZ: In Deutschland hat Fukushima zu einem historischen Sieg der Grünen geführt. Ist das nicht auch ein Sieg für die Ökologiebewegung?

Brand: Wenn ein Sieg der Grünen bedeutet, dass Deutschland aus der Kernenergie aussteigt, dann ist das eine schlechte Nachricht für den Klimawandel, und der Klimawandel ist ja schon eine schlechte Nachricht für die Ökologie.

SZ: Glauben Sie nicht, dass der Richtungswechsel eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland auch zu einem Richtungswechsel in der internationalen Energiepolitik führen kann?

Brand: Eine hoffnungsvolle Veränderung, die Fukushima gebracht hat, ist ja das Niveau der internationalen Zusammenarbeit zwischen nuklearen Nationen. Die Industrie arbeitet nun auf einem globalen Level zusammen. Es wäre sehr schade, wenn sich Deutschland da zurückzöge und in Folge abgehängt würde. So wie das technologisch ja schon in einigen Fällen geschehen ist.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Stewart Brand Kernenergie für eine ausgereifte Technologie hält.

"Abrupten Klimawandel gab es öfter"

SZ: Welche Fälle meinen Sie?

Brand: Nehmen Sie die Hochtemperaturreaktoren, die vor 20, 25 Jahren hier in Deutschland entwickelt wurden. Das sind Reaktoren, bei denen es zu keiner Kernschmelze kommen kann. China entwickelt sich da gerade schnell weiter. Die haben einen 10-Megawatt-Prototyp gebaut, der funktioniert. Das ist der kleinste Reaktor, von dem ich je gehört habe. Die Technologie wurde also hier entwickelt, und China verwirklicht sie. Die Industrienationen lähmen ihre Entwicklung dagegen mit ihrer Überregulierung. In Frankreich dauert es drei Jahre, in den USA zwölf, bis ein Reaktor genehmigt wird. Niemand wird eine Milliarde Dollar zwölf Jahre lang auf Eis legen. Deswegen finden Sie viele Fortschritte in Kernenergie und Biotechnologie ja auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Siehe China.

SZ: Noch mal von vorne: Sie waren die meiste Zeit Ihres Lebens Atomkraftgegner. Wann sind Sie umgeschwenkt?

Brand: 2002, als wir für das Global Business Network eine Studie über abrupten Klimawandel erstellten und ich realisierte, dass das nicht etwas ist, das in irgendeiner fernen Zukunft passieren kann, sondern mehr oder weniger jeden Tag. Abrupten Klimawandel gab es schon öfter in der Erdgeschichte. Das Klima hat sich jedesmal innerhalb von zehn Jahren radikal verändert. Wenn etwa der Golfstrom, der Europa wärmt, stoppt, weil er am nördlichen Ende plötzlich mehr Süßwasserzufuhr bekommt, kann sich die Entwicklung sehr schnell vollziehen. Und wenn man realisiert, was für ein komplexes, nicht-lineares System das Klima ist - das Tückische an nicht-linearen Systemen ist ja, dass schon ein kleines Signal eine massive, unkontrollierbare Reaktion hervorrufen kann.

SZ: So wie in dem Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow"?

Brand: Was für ein dummer Film! Aber ja, der basierte auf solch einem Szenario.

SZ: Und warum brauchen wir deshalb Kernenergie? Gibt es inzwischen nicht genügend alternative Energiequellen?

Brand: Wenn wir die Treibhausgase wirklich schnell reduzieren wollen, rechnet sich das alles nicht. Da geht es gar nicht so sehr darum, ob Solarenergie irgendwann einmal billig genug wird, sondern um die Grundlast (die niedrigste Belastung eines Stromnetzes während eines Tages, Anm. d. Red.). Wenn Sie die Zahlen addieren, dann brauchen wir für ein stabiles Klima 13 Terawatt zusätzlicher sauberer Energie. Solarenergie taugt noch lange nicht als Energiequelle für ein Stromnetz. Windenergie ist ein redlicher Versuch, fällt aber bislang kaum ins Gewicht. Hydro ist natürlich sauber, aber nahezu ausgeschöpft. Auch wenn China weiterhin große Staudämme baut. Kernenergie ist dagegen eine ausgereifte Technologie - verdammt sauber, wenn es um Treibhausgase geht, und sie kann eine solide Grundlast produzieren.

SZ: Ist Kernenergie nicht viel zu teuer, mal davon abgesehen, dass die Langzeitfolgen nicht abzusehen sind?

Brand: Als Umweltschützer habe ich auch immer reflexartig so reagiert: Kernenergie ist zu teuer, Atommüll ist ein großes Problem.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum Stewart Brand die Meinung vertritt, dass Kernkraft hilft, den Klimawandel zu bekämpfen.

Tragödie ohne Ausweg

SZ: Aber das ist doch tatsächlich ein großes Problem.

Brand: Oh nein. Das Problem ist trivial. Ich war geradezu schockiert, wie klein das Problem ist. Ich habe mit dem Global Business Network für die Nuclear Waste Management Organization in Kanada gearbeitet. Die haben alle möglichen Szenarien entworfen. Und sie sind darauf gekommen, dass die Lagerung in einem Bergstollen durchaus sicher ist. Dann haben sie gesagt, ok, jetzt betrachten wir das ganze mal, wie es die Indianer betrachten würden - sieben Generationen in die Zukunft. Das sind 175 Jahre. Wenn man den Müll aus einem gut funktionierenden Reaktor nimmt, dann ist die Radioaktivität nach 170 Jahren auf ein Level von 100 Tausendstel gesunken. Und es sinkt weiter. Das großartige an Kernenergie ist, dass das Zeug eine Halbwertszeit hat und irgendwann nicht mehr giftig ist. Wenn man dagegen andere Verschmutzungen nimmt, Quecksilber oder Dioxin zum Beispiel. Das hat keine Halbwertszeit. Sie können Quecksilber irgendwo einlagern und in 10.000 Jahren haben sie das exakt gleiche Problem wie jetzt. Manche Stoffe wie Dioxin oder Biokonzentrate werden über die Jahre sogar noch schlimmer. Außerdem gibt es für die Kernenergie längst Existenzbeweise.

SZ: Was sind denn Existenzbeweise?

Brand: Das ist der schlüssigste Beweis, den es gibt. Wenn etwas schon der Fall ist, dann ist es auch wahrscheinlich der Fall und man muss das nicht beweisen, weil es ja schon der Fall ist. Viele Atomkraftgegner sagen, dass die Atomenergie selbst vielleicht zu beherrschen ist, aber dass der Transport von Atommüll gefährlich ist. Wenn man entgegnet, man habe in den letzten 40 Jahren Atommüll schon Tausende von Kilometern weit transportiert, sagen sie, ja aber was ist mit Unfällen. Nun, es gab schon sechs Unfälle, die genau beobachtet wurden und die Behälter für Atommüll wurden ja so konstruiert, dass sie Unfälle wie Entgleisungen überstehen. Genau so hat das auch funktioniert. Der Existenzbeweis ist, dass das Problem, das beschrieben wird, nicht bewiesen werden muss, weil ja schon bewiesen wurde, dass es gar kein Problem ist.

SZ: Was nichts daran ändert, dass Kernenergie große Mengen an radioaktivem Müll erzeugt.

Brand: Man braucht 20 Tonnen Brennstoff für ein Gigawattjahr sauberer Energie und die erzeugen 20 Tonnen Müll. Nehmen Sie Kohle - da brauchen Sie drei Millionen Tonnen Brennstoff, der sieben Millionen Tonnen CO2 produziert. Wenn Sie noch den Sauerstoff zum Kohlenstoff dazurechnen, müssen Sie das mit 2,4 oder so multiplizieren. Und das geht direkt in die Atmosphäre, die sie schlecht reinigen können. Anstatt in einem sicheren, trockenen Behälter zu lagern.

SZ: Solche Zahlenspiele erinnern an die Studien, die aufrechnen, wie viele Tote die zivile Atomkraft schon gefordert hat, wie viele Öl und Kohle, wenn man die Langzeitfolgen dazurechnet. Sind das nicht Milchmädchenrechnungen, die im Weichendilemma der Moralphilosophie nicht aufgehen? Weil man eben nicht Tote gegen Tote rechnen kann?

Brand: Mit einer Moralphilosophie, die sich gegen eine rationale Risikoabwägung sperrt, stimmt etwas nicht. Die gesundheitlichen Folgen von Fukushima werden viel geringer sein, als man derzeit befürchtet. Sicher, die ökonomischen Folgen der Aufräumarbeiten werden entsetzlich sein. Aber das ist ja auch der Hauptgrund, warum man nun neue und sichere Reaktoren bauen muss.

SZ: Aber es muss doch Gründe dafür geben, dass die Ökologiebewegung weltweit gegen Atomkraft ist!

Brand: Dafür gibt es zwei Erklärungen. Zum einen hat linksgerichtete Politik den ökologischen Konsens geprägt. Und dann gibt es noch diese romantische Idee vom Drama des Niedergangs, diese Vorstellung, dass es in der Geschichte immer bergab geht. Dass schlechte Leute und schlechte Ideen und schlechte Institutionen alles zerstören, was wahrhaftig, gut und wunderbar ist. Und dass wir da Widerstand leisten müssen. Dieses Drama ist spätestens seit Rousseau in Europa, aber auch in Teilen Amerikas populär. In Asien und Afrika übrigens nicht. Das ist die Position der heroischen Verzweiflung.

SZ: Heroische Verzweiflung?

Brand: Heroische Verzweiflung geht davon aus, dass es sich um eine Tragödie handelt, und der Kern jeder Tragödie ist, dass es keinen Ausweg gibt.

SZ: Hatten Sie nicht selbst solche Reflexe, als Sie jünger waren? In den Anfangszeiten der ökologischen Bewegung?

Brand: Ich glaube, jeder hat so eine Geschichte - wie er mitansehen musste, dass ein Stück Paradies in einen Parkplatz verwandelt wird. Ich hatte selbst einige solcher Erlebnisse. Das fühlt sich wie eine Schändung an. Die Momente, die die romantische, grüne Einstellung prägen, sind die Momente, in denen man etwas Wundervolles sterben sieht oder die Glücksmomente in der Natur, Momente, in denen man das Gefühl hat, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Das ist schön und es macht auch großen Spaß, als Aktivist irgendwo genetisch modifizierten Reis aus der Erde zu ziehen. Aber Ökologie wurde zum Namen einer politischen Bewegung, obwohl es eigentlich eine Wissenschaft gibt, die Ökologie heißt. Das ist die Haltung, die ich repräsentiere. Das ist für mich auch keine neue Haltung. Als wir den Whole Earth Catalogue veröffentlichten, haben wir vor allem Technologien und Produkte beschrieben. Wir waren von Anfang an technikfreundliche Umweltschützer.

SZ: Aber haben Technologie und Wissenschaft denn Lösungen gefunden?

Brand: Ich gehe Probleme eher wie ein Ingenieur an. Es gibt ein Designproblem, für das findet man eine Lösung, wendet sie an und wendet sich dem nächsten Problem zu. Problemlösungen waren bisher keine Stärke der Umweltbewegung. Trotzdem haben wir schon viele Probleme mit Design gelöst. Wir haben Wildnis geschützt und wiederhergestellt. Wir haben Autos neu designt, um Energie zu sparen. Wir haben die Energiespeicherung und Effizienz mit Mitteln der Technik verbessert. Es gibt heute großartige technische Debatten. Die sind allemal sinnvoller als ideologische Debatten. Diese Debatten werden auch die Führungsriegen der Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace zwingen, ihre Haltung zu überdenken. Das sind Mitgliederorganisationen. Wenn immer mehr Mitglieder fragen, warum die Organisation gegen Kernkraft ist, obwohl Kernkraft hilft, den Klimawandel in den Griff zu bekommen, werden sie sich damit auseinandersetzen müssen. Klimawandel ist das prägende Thema für diese Generation. Und die Ingenieurslösung ist immer eine Bejahung von Dingen, die funktionieren. Also - ja zur Atomenergie, ja zur Gentechnik, ja zur Urbanisierung. Wie Kevin Kelly sagt - die Lösung für schlechte Technologie ist gute Technologie.

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