Sprache:Volksverräter, ein Unwort im wörtlichen Sinne

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Bei der Verkündung des "Unwort des Jahres" strahlt ein Beamer das Wort "Volksverräter" auf die Jacke eines Journalisten. (Foto: dpa)

Diejenigen, die den Ausdruck "Volksverräter" verwenden, entlarven sich selbst. In mehrfacher Hinsicht. Warum die Wahl zum Unwort des Jahres eine gute Entscheidung ist.

Kommentar von Carolin Gasteiger

Volksverräter ist das Unwort des Jahres.

Im ersten Moment regt sich ein innerer Impuls, eine Art Seufzen, nach dem Motto: "Nicht schon wieder die!" Gebt nicht schon wieder denen Aufmerksamkeit, die als Anhänger von Pegida, AfD oder ähnlichen Initiativen unüberlegt historisch belegte Kampfbegriffe verwenden - und nun auch noch mit Aufmerksamkeit belohnt werden.

Ähnlich dachte wohl auch die Jury, die in diesem Jahr länger als sonst diskutiert hat. Nun hat sie nach "Lügenpresse" 2014 und "Gutmensch" im vergangenen Jahr zum dritten Mal eine der unter Demokratiefeinden und Wutbürgern grassierenden Hassparolen zum Unwort des Jahres gekürt.

Andererseits: Ist diese Wahl nicht die beste Art, auf den "diffamierenden Sprachgebrauch im Themenfeld Migration" hinzuweisen, wie die Jury mitteilt, und den falschen Sprachgebrauch auf diese Weise zu kritisieren? Hätte nicht jede andere Entscheidung die Realität verkannt? Bei Facebook und Twitter wird der Begriff längst inflationär gebraucht.

So titulierte etwa der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Stefan Räpple Mitglieder aller anderen Landtagsfraktionen als Volksverräter. Bei einem Besuch im sächsischen Sebnitz beschimpften Demonstranten Bundespräsident Gauck so. Und auch die Kanzlerin bekam es am Tag der Einheit in Dresden zu hören. Auch gewählte Repräsentanten werden also als Volksverräter verunglimpft.

Unter den Nazis war Volksverrat das schlimmste Staatsverbrechen

"Volksverräter" ist zudem nicht irgendein Ausdruck, sondern einer von historischer Bedeutung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden diejenigen so beschimpft, die sich für den Frieden und die Weimarer Republik stark machten.

Unter den Nazis war Volksverrat schließlich das schlimmste Staatsverbrechen überhaupt. Es wurde als Angriff auf die Staatsautorität und als Verrat an der Volksgemeinschaft begriffen und war wichtiger Bestandteil der rechten Propaganda.

Mit dem Begriff "Volksverräter" grenzt sich die Gruppe derer, die den Slogan "Wir sind das Volk" für sich reklamieren, aggressiv gegen alle übrigen ab. Wer also andere als Volksverräter beschimpft, macht Fronten auf. Überspitzt formuliert: "Wir die Deutschen - ihr die Flüchtlinge. Wir die Demokraten - ihr die Lügenpresse. Wir die Bürger - ihr, die elitären Besserwisser."

Ein Unwort, das alle weiteren Worte verhindert

AfD-Politiker und Pegida-Anhänger mögen vorgeben, Werte wie Freiheit und Demokratie verteidigen zu wollen, indem sie andere als Volksverräter beschimpfen, doch bewirken sie genau das Gegenteil. Sie entlarven sich selbst.

Auf die genaue Bedeutung des Wortes kommt es denen, die es verwenden, gar nicht an. In der Jury-Begründung steht: "Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt."

Wer den Begriff benutzt, ist nicht an einer inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert. Er will nicht reden, er will hetzen, aufwiegeln, Stimmung machen. In diesem Sinne ist "Volksverräter" im wortwörtlichsten Sinne ein Unwort, laufen dagegen doch alle weiteren Worte ins Leere. Und darauf hinzuweisen, ist eine gute Entscheidung.

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