Sprache der Populisten:"Man verschiebt erst das Sagbare, und damit dann das Machbare"

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"Jetzt ist es in offenen, expliziten Rassismus übergegangen": Donald Trump bei Feierlichkeiten zum 4. Juli. (Foto: AP; Bearbeitung SZ)

Unsere Debattenkultur ist verarmt, sagt die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville. Das macht Populisten mit ihrer spalterischen Rhetorik stark. Der Ausweg: mehr und andere Konfrontation.

Interview von Jakob Biazza

Die nächste Stufe in der Entgleisung der politischen Rhetorik: In einem Tweet vom Sonntag hat US-Präsident Donald Trump sich rassistisch gegenüber demokratischen Kongressabgeordneten geäußert. Er forderte diese auf, "in ihre Heimatländer" zurückzugehen - allerdings sind die mutmaßlich gemeinten Demokratinnen zum Großteil in den USA geboren und alle Amerikanerinnen. Für die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville folgt das einer perfiden Logik.

SZ: Frau Séville, ist das, was wir jüngst an rassistischen Ausfällen von Donald Trump erlebt haben, eine Zeitenwende in der politischen Rhetorik?

Astrid Séville: Es ist auf jeden Fall ein weiteres Beispiel für eine auf Spaltung, Xenophobie und Rassismus aufbauende Ideologie. Im aktuellen Tweet wird sie allerdings ungewöhnlich deutlich und unverhohlen kommuniziert. Wobei die Logik dahinter nicht neu ist. Die Politik von Trump ist seit jeher davon geprägt, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Als zum Beispiel in Charlottesville "White Supremacists" marschierten, Menschen also, die die Überlegenheit der weißen Rasse behaupten, sprach er davon, dass unter den Demonstranten auch vernünftige Leute gewesen seien.

In seiner eigenen Regierung weist er auf den Migrationshintergrund von Mitarbeitern hin. Letzteres mag harmlos klingen, führt in Kombination mit seinen anderen Aussagen aber dazu, dass Gruppen und Milieus gegeneinander ausgespielt werden: Wer gehört zu uns - und wer nicht. In der Politikwissenschaft spricht man von "Nativismus" und "ethnischem Nationalismus", einer Ideologie, die immer wieder auf ethnische Herkunft abzielt und daraus Ungleichheit ableitet.

Was ist nun neu an den jüngsten Aussagen?

Der amerikanische Präsident betreibt politischen Wettbewerb mit einem offenen, expliziten Rassismus, bei dem prominente Politiker persönlich für ihre vermeintliche Herkunft angegangen werden.

Astrid Séville lehrt Politische Theorie am Geschwister-Scholl-Institut. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Verhältnis von liberaler Demokratie und Populismus. (Foto: Ch. Mukherjee/oh)

Das, was man in den USA als "Dog-Whistle-Politics" bezeichnet, als Rhetorik also, bei der sich, ähnlich einer Hundepfeife, nur ein ausgewählter Adressatenkreis angesprochen fühlt, ist also jetzt für alle erkennbare Fremdenfeindlichkeit?

Ja, und meine Prognose lautet, dass sich die politische Sprache in den kommenden Wochen und Monaten weiter brutalisieren wird. Trump schaltet wieder in den Wahlkampfmodus - und er hat erlebt, dass eine spalterische Rhetorik Zustimmung unter seinen Wählerinnen und Wählern bringt. Sprache wird hier aggressiv politisch instrumentalisiert.

Rassismus, um Macht zu erhalten beziehungsweise auszubauen?

Sie sagen das, als würde es Sie überraschen. Für Deutschland hat der Soziologe Wilhelm Heitmeyer durch Langzeitstudien gezeigt, dass es in unserer Gesellschaft lange vor dem Aufstieg der AfD immer einen bestimmten Prozentsatz an Bürgerinnen und Bürgern gab, der autoritäre Politikvorstellungen hat, xenophob ist, ausgrenzen will. Diesen Prozentsatz an Wählern spricht eine solche Sprache direkt an - und kann ihn übrigens auch wachsen lassen.

Da nehmen sich Deutschland und die USA also nichts ?

Überhaupt nicht. Wenn Alexander Gauland über Jérôme Boateng sagte, dass er ihn nicht als Nachbar haben wolle, ist das vergleichbar. Denn Gaulands Aussage spielte mit der Assoziation, dass schon Jérôme Boatengs Name fremd klinge und er somit niemals vollwertiger Deutscher sein könne. Immer erleben wir solche Abgrenzungen durch Erzählungen von Fremdheit. Einer Fremdheit, an der auch die Zugehörigkeit durch Staatsbürgerschaft nichts ändern kann. Schlussendlich fördert dies eine rassistische und letztlich auch autoritäre Ideologie, die sich auch in der Sprache zeigt.

Hat das zugenommen?

Ein solches Denken hat gerade eher wieder Konjunktur - in der westlichen Welt, vom Brexit über den Beinahe-Wahlerfolg von Le Pen bis zur FPÖ und eben der AfD. Mit dem Hindu-Nationalismus in Indien gibt es aber auch ein eindrückliches nichtwestliches Beispiel. Quasi alle Fälle eint ein starker Anti-Einwanderungs-Diskurs, bei dem sich zunächst die Sprache verändert hat - und dann die Politik. Man verschiebt erst das Sagbare, und damit dann das Machbare.

Lässt sich denn tatsächlich eine so gerade Linie ziehen von Gesagtem zu Handlungen?

Man kann natürlich keine monokausalen Ketten bauen, nach dem Motto: Wenn man X so und so oft sagt, tritt zwangsläufig Y ein. Aber, und das zeigen Diskursanalysen und kommunikationswissenschaftliche Studien: Wenn bestimmte Positionen regelmäßig wiederholt werden und womöglich noch unwidersprochen bleiben, dann werden sie salonfähiger. Das prägt den politischen Diskurs und begünstigt damit bestimmte politische Entscheidungen - in der Sozial- ebenso wie in der Wirtschafts-, Sicherheits- oder Migrationspolitik. Sprache ist hier wirkmächtig, weil sie nun einmal unser Zugang zur Wirklichkeit ist. Deshalb ist es so hochgradig problematisch, wenn nativistische Erzählungen es bis ins bürgerliche Milieu schaffen. Politiker sind dabei Vorbilder: Wenn sie eine spalterische Rhetorik verwenden, werden Menschen, die das vorher nur in schummrigen Ecken von Wirtshäusern getan haben, bestärkt, öffentlich auch so zu reden. Und damit zu handeln.

In Ihrem Buch sprechen Sie davon, dass wir - auch und vor allem in Deutschland - eine "verarmte Debattenkultur" haben, die letztlich Populismus begünstigt. Was meinen Sie damit?

Wir hatten hierzulande in den vergangenen Jahren eine gewisse Konfliktscheue und durch die Dauer der großen Koalition einen politischen Profilverlust der Volksparteien. Die politische Auseinandersetzung, die Streitkultur hat darunter gelitten. Große Koalitionen begünstigen den Aufstieg von Parteien am Rande des Parteienspektrums. Dazu kommt, dass viele Politiker, allen voran Angela Merkel, klare Aussagen scheuen. Sie haben die politischen und normativen Grundlagen ihrer politischen Entscheidungen zu wenig erklärt und flüchteten sich in technokratische Phrasen, sprachen also zum Beispiel von "Alternativlosigkeit" und "Sachzwängen", die etwa "die Märkte" oder die Europäische Union mit sich bringen. Das erweckt bei Wählern den Eindruck von Passivität und stark begrenzten politischen Gestaltungsspielräumen. Und bestellt damit Populisten ein Feld, auf dem sie sich als "Alternative" zum "Establishment" präsentieren und mit Slogans wie "Wir sind das Volk" sogar nach vermeintlich mehr Demokratie rufen können.

Wie kann die Debatte wieder besser werden?

Durch Konfrontation: Auf der einen Seite müssen wir in öffentlichen Debatten klare Grenzen ziehen und eine Sprache und Ideologie, die liberaldemokratische Gesellschaften angreift, als undemokratisch und antiliberal verurteilen. Auf der anderen Seite sollte es eine inhaltliche Auseinandersetzung geben. Allerdings nicht nur bei den Themen, die Rechtspopulisten selbst setzen, sondern bei solchen, die auch im alltäglichen Betrieb wichtig sind: Wenn man etwa mit AfD-Politikern nicht über Migration sondern über Wohnungs- und Straßenbau, Verkehrs-, Verteidigungs- oder Rentenpolitik spricht, kontert man ihre migrationspolitische Fixierung und untergräbt ihre rhetorischen Möglichkeiten massiv.

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