Schriftsteller Daniel Depp:Der größere Depp

Er sieht aus wie ein Erdkundelehrer. Er hat einen sehr berühmten Bruder. Nun ist er unter die Schriftsteller gegangen. Ein Treffen mit Daniel Depp.

Claudia Fromme

Das Savoy atmet Geschichte. Im Foyer des Berliner Hotels steht an diesem Nachmittag die Luft, aus dem benachbarten Rauchsalon kriecht der Dampf kubanischer Zigarren durch die Türritzen. Henry Miller hat hier gesessen, Greta Garbo, Thomas Mann.

Schriftsteller Daniel Depp: Der 55-jährige Daniel Depp wirkt schüchtern bei der Vorstellung seines Buches "Stadt der Verlierer". Neidisch scheint er nicht auf seinen kleinen Bruder Johnny zu sein.

Der 55-jährige Daniel Depp wirkt schüchtern bei der Vorstellung seines Buches "Stadt der Verlierer". Neidisch scheint er nicht auf seinen kleinen Bruder Johnny zu sein.

(Foto: Foto: ddp)

Ein alter Mann hängt schlaff im Fauteuil, seinen Borsalino hat er sich ins Gesicht gezogen. Zwei Russen streiten mit dem Portier, irgendetwas mit der Rechnung. Ein paar Schritte weiter, im Salon Belvedere, sitzt ein bärtiger Mann mit Halbglatze, lachsfarbenem Hemd, Jeans und Bequemschuhen. Er sieht aus wie ein Erdkundelehrer. Es ist der Bruder von Johnny Depp.

"Wie normale Brüder"

Daniel Depp zuckt entschuldigend mit den Schultern. "Viele denken, dass der Bruder von Johnny Depp hübscher sein müsste", sagt er. Warum groß herumreden? Er kennt die Erwartung, wenn es um den Verwandten des Schauspielers geht, den immer eine Wolke kreischender Mädchen umgibt.

Daniel Depp, 55, ist der Halbbruder von Johnny, 46. Sie haben dieselbe Mutter, eine Kellnerin aus Kentucky, sind zusammen in Florida aufgewachsen, sehen sich oft. "Wie normale Brüder", sagt Depp und zwinkert mit seinen tiefbraunen Augen, die wohl in der Familie liegen. Beide sind gerade in Europa unterwegs, um Werbung zu machen. Johnny für seinen neuen Film "Alice im Wunderland", Daniel für sein Debüt als Autor.

Auf dem Umschlag des Kriminalromans hat der Verlag groß ein Zitat platziert: "Was für ein Buch! Ich bin wahnsinnig stolz auf meinen Bruder. Johnny Depp." Ihm sei das peinlich, sagt Daniel Depp. Er habe das nicht gewollt. Eigentlich rede er nicht gern über sich, lieber über sein Buch. "Stadt der Verlierer" heißt das. Es geht um: Hollywood. Ausgerechnet.

Pseudonym, nein danke

Erst habe er sich überlegt, sagt Depp, ein Pseudonym zu benutzen, aber das sei Quatsch. Immerhin habe er einige Jahre in der Produktionsfirma seines Bruders in Hollywood gearbeitet, zudem schreibe er Drehbücher. "Ich kenne mich da gut aus, warum sollte ich über die Provence schreiben?", fragt er. Und klar, natürlich habe der Name gezogen. Das Manuskript habe sein Bruder als Erster gelesen. "Hast Du ein Problem damit?", habe er ihn gefragt. Immerhin geht es um Hollywood.

Aber der habe nur gesagt: "Sieh zu, dass Du endlich etwas veröffentlichst, mich macht das verrückt, die ganzen Romane, die nie einer zu sehen bekommt." Daniel Depp sagt, dass sich in seinem Haus bei San Francisco und seinem Apartment in Paris die Manuskripte stapeln. "Aber ich hatte nie den Mut, zu einem Verleger zu gehen", sagt er.

Bei seinem Debüt brauchte er das auch nicht, die Verlage kamen zu ihm. Bei dem Stoff. Bei dem Bruder. Ohne ihn hätte er den Roman wohl nie geschrieben, sagt Daniel Depp, und Bewunderung liegt in seiner Stimme. "Für John", steht vorne in dem Buch. Er nennt ihn John.

"Kaum ein Ort offenbart so viele menschliche Abgründe wie Hollywood", sagt Depp. Als Krimiautor sei man da gut bedient. Er setzt seinen Privatdetektiv David Spandau, der früher Stuntman war und heute Rodeo reitet, auf den Fall des jungen Hollywoodstars Bobby Dye an, der von der Mafia erpresst wird.

Es geht um raffgierige Filmbosse, ausgebrannte Schauspieler, Drogenbarone, eitle Agenten, Auftragskiller. Kein Klischee wird ausgelassen - nur um den Glamour geht es nicht. Hollywood als Albtraumfabrik. Depp präsentiert einen desillusionierten Helden, ein Ende, das nicht gut wird, eine Welt, die ein Skandal bleibt, und zwischendurch: richtig viel Haue. Depps Debüt steht in der Tradition der Schwarzen Serie mit einer großen Prise Hardboiled.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieviel wahre Geschichten im Debütroman von Daniel Depp stecken.

Die Eitlen, die Gescheiterten und die Irren

Und wie viel ist wahr von dem, was im Krimi steht? Kennt er die Drogenexzesse in den Protzvillen der Hollywood Hills, die Clubs mit den Hinterzimmern, die Mafiabosse? Daniel Depp windet sich. "Man bekommt viel mit", sagt er. Manches dringe ja auch nach draußen. Etwa, als vor einiger Zeit bekannt wurde, dass der Schauspieler Steven Seagal von der Mafia erpresst wird.

Konkrete Gesichter habe er beim Schreiben nicht vor Augen gehabt. "Eher Typen, die einem in Hollywood über den Weg laufen." Die Eitlen, die Gescheiterten, die Irren. Vor Mutmaßungen feite ihn das nicht, kaum war das Buch draußen, bekam er Post von Schauspielern, die sich beschrieben fühlten. Wer genau? "Das kann ich nicht sagen", sagt Depp. Nur für die Szenen, in denen Bobby Dye von einer Meute Fans verfolgt wird, die ihn auf dem roten Teppich fast erdrückt, habe er bei John nachgefragt.

"Alles ist hollywoodisiert"

Ihm gehe es um Hollywood als Sinnbild für eine marode Gesellschaft. "Alles ist hollywoodisiert", ereifert sich Depp. Politiker setzten nur noch auf Außenwirkung, in der Wirtschaft gehe es nur noch ums große Geld, und in der Filmindustrie schere sich jeder nur noch um Effekte.

"Avatar", den teuersten Film aller Zeiten, habe er nicht einmal gesehen. Spricht da einer, den Hollywood desillusioniert hat? Daniel Depp hat bei "The Brave", dem Regiedebüt seines Bruders, am Drehbuch mitgeschrieben. Es ging darin um einen Indianer, der sein Leben verkauft, um seine Familie zu retten.

In Cannes wurde der Film 1997 für eine Goldene Palme nominiert, in Amerika zerrissen Kritiker ihn, am Ende wurde er in den USA nicht einmal gezeigt. "Ich bin nicht desillusioniert", sagt Depp, "eher traurig". Sagen muss er das eigentlich nicht, es gibt in seinem Buch kein Kapitel, in dem David Spandau nicht über Hollywood lamentiert. Darüber, dass es Studiobossen egal sei, ob sie "Konserven oder Klobrillen" herstellen.

Bevor er Drehbücher und Romane schrieb, hat Depp Kunstkritiken für Zeitungen verfasst, er war Geschichtslehrer, hat einen Buchladen geführt. Kracht es in "Stadt der Verlierer" vor Draufgängertum, ist der Urheber ein fast schüchterner Mensch. Fernsehinterviews verunsichern ihn, eigentlich wollte RTL vorbeikommen, hat aber abgesagt. "Da bin ich nicht traurig", sagt Depp. Abends, als er in einer Buchhandlung liest, macht er das ganz schnell und leise, als wolle er es hinter sich bringen.

Neid? Nicht nötig

Wenn er über seinen Bruder redet, und das tut er viel, ist es, als halte er ihn wie ein Schutzschild vor sich. Als wolle er sagen: Ich bilde mir nicht ein, dass Sie wegen mir hier sind. Johnny sei nicht nur ein Segen, sagt Depp. Er fliege oft Hunderte Kilometer, um ein Drehbuch vorzustellen. Und dann sage wieder einer: "Wir möchten mit ihrem Bruder zusammenarbeiten. Könnten Sie da vermitteln?" Ist er neidisch auf ihn? "Nein", sagt Depp bestimmt. "Das wäre ja absurd."

Dabei lohnt es sich, den Roman unvorbelastet zu lesen. Er ist zackig geschrieben, die Beobachtungen des schäbigen Glamours fein. Eine schöne Analogie für Hollywood ist der abgetakelten Nutte. "Alt, geldgeil und komplett verlottert" sei die, aber wenn sie schläft, habe sie manchmal das Gesicht eines jungen Mädchens, in das man sich immer wieder verliebt.

Viele solcher Stellen finden sich, aber auch einige, bei die die Phrasendreschmaschinen offenbar heißgelaufen ist. "Sagen Sie mir, Mr. Spandau, sind Sie wirklich so gut, wie man sich erzählt?", ist kein Satz, den einer braucht, der als Inspiration Raymond Chandler und Dashiell Hammett angibt.

Der Protagonist Spandau ist eindrucksvoll zynisch, aber zuweilen passiv, oft übernehmen Randfiguren die Führung. Vielleicht ändert sich das im Nachfolger, der gerade beim Verlag liegt. Hier ermittelt Spandau auf dem Filmfestival in Cannes. "Auch", sagt Depp, "um mich ein wenig von Hollywood zu lösen".

Da der Roman fast wie ein Drehbuch geschrieben ist, böte sich doch eine Verfilmung an, vielleicht mit seinem Bruder in der Hauptrolle? "Auf keinen Fall", sagt Daniel Depp. Zum einen sei sein Bruder für die nächsten fünf Jahre ausgebucht und zu anderen wolle er sich weiter um die Schriftstellerei kümmern. "Es geht mir nicht darum berühmt zu werden", sagt Depp, "höchstens bekannter".

Abends in der Buchhandlung hängen dann doch einige Damen mittleren Alters an seinen Lippen, und nach der Lesung stürmen sie nach vorn, um sich sein Buch signieren zu lassen. Daniel Depp lacht verlegen und sucht irritiert nach einem Stift.

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