Rechtsextremismus:Eine Stadt fürchtet, zur Neonazi-Hochburg zu werden

6000 Neonazis kamen beim "Sturm auf Themar" in die Ortschaft in Thüringen

Die Bewohner von Ostritz fürchten Zustände wie im thüringischen Themar (Archivbild), wo regelmäßig mehrere tausend Neonazis zu einem Festival zusammenkommen.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

An Hitlers Geburtstag treffen sich Neonazis im sächsischen Ostritz zu einem Festival. Solche Großveranstaltungen nehmen zu, ein Verbot ist schwierig. Hier könnte sich entscheiden, wie man in Zukunft mit Rechtsextremismus umgeht.

Von Antonie Rietzschel

Die Warnung ist unmissverständlich: "Hier entscheidet sich die Zukunft des Rechtsextremismus in Sachsen - vielleicht auch bundesweit", sagte Henry Krentz vom sächsischen Verfassungsschutz. Hier, das ist Ostritz - eine Kleinstadt in Ostsachsen mit nicht einmal 2500 Einwohnern.

Anfang April saß Krentz bei einer Bürgerversammlung vor 300 Ostritzern, um sie gemeinsam mit der Polizei, der Bürgermeisterin und dem Ordnungsamt auf das zukunftsentscheidende Ereignis vorzubereiten: Vom 20. bis 22. April, zu Hitlers Geburtstag, treffen sich in Ostritz Neonazis aus ganz Deutschland, aber auch aus Polen sowie Tschechien.

1000 Teilnehmer werden zum "Schild und Schwert"-Festival erwartet, das die gesamte Bandbreite rechtsextremer Subkultur abdeckt. So werden nicht nur bekannte rechtsextreme Bands auftreten. Dem Veranstalter und Neonazi Thorsten Heise ist es gelungen, den "Kampf der Nibelungen" nach Ostritz zu holen, eine unter rechtsextremen Hooligans beliebte Kampfsportveranstaltung. Zusätzlich wird es eine Tattoo-Messe geben sowie zahlreiche Verkaufsstände für Szene-Artikel.

An Gegenwehr mangelt es in Ostritz nicht. Auf dem Marktplatz feiern Einwohner parallel zum Festival ein Friedensfest. Hinzu kommen zwei weitere Gegenveranstaltungen. Die Ostritzer sowie die sächsischen Behörden fürchten, ihre Stadt könnte genauso wie der thüringische Ort Themar zum regelmäßigen Treffpunkt für große Neonazi-Gruppen werden. Eine nicht ganz unberechtigte Angst.

Das "Schild und Schwert"-Festival ist der bisherige Höhepunkt eines Trends, der sich in der rechtsextremen Szene derzeit abzeichnet. Waren Neonazi-Konzerte früher vor allem konspirative Veranstaltungen, werden sie heute zu Megaevents aufgeblasen und öffentlichkeitswirksam beworben.

Veranstaltungen wie das "Schild und Schwert"-Festival nehmen zu

Ende der neunziger Jahre war die Zahl rechtsextremer Musikveranstaltungen rückläufig. Im Jahr 2000 fanden bundesweit 82 Konzerte und 44 Liederabende statt. Dieser Abwärtstrend setzte sich jahrelang fort, bis die Zahl der Veranstaltungen 2005 einen neuen Höhepunkt erreichte. Dem Verfassungsschutz zufolge fanden damals 193 Konzerte und 52 Liederabende statt. Hinzu kamen 47 sonstige Veranstaltungen mit Musik. Dazu zählten unter anderem Treffen der rechtsextremen NPD, bei der szenebekannte Musiker auftraten.

Die Partei hatte damals den Einzug in den Sächsischen Landtag geschafft. Über rechtsextreme Musik versuchte sie vor allem junge Anhänger zu gewinnen. NPD-Vertreter verteilten unter Jugendlichen die sogenannte "Schulhof-CD", auf der sich Lieder von Szenegrößen wie Frank Rennicke oder der mittlerweile aus der Nazi-Szene ausgestiegenen Annett Müller fanden.

Nach 2005 nahm die Gesamtzahl der rechtsextremen Musikveranstaltung wieder ab. Der vorläufige Tiefpunkt war 2012 erreicht. Mal fanden verstärkt Liederabende statt , dann wieder mehr Konzerte. Seit 2015 nimmt die Gesamtzahl der Veranstaltungen wieder zu, vor allem im Bereich "Sonstiges". Allein im Jahr 2017 gab es vorläufigen Zahlen zufolge 107 Veranstaltungen. Dazu zählen dem Verfassungsschutz zufolge auch groß angelegte Festivals, wie sie im vergangenen Jahr im thüringischen Themar stattfanden. "Rock gegen Überfremdung" war mit 6000 Besuchern das bisher größte Neonazi-Konzert in Deutschland.

Warum Verbote schwierig sind

Während des Festivals kam es zu zahlreichen Straftaten. Trotzdem ist ein Verbot solcher Veranstaltungen schwierig, weil die Organisatoren sie als politische Versammlungen anmelden und politische Redner einladen. Das "Schild und Schwert"-Festival gilt ebenfalls als politische Versammlung. Sprechen wird unter anderem der NPD-Politiker Udo Voigt. Im Vorfeld des Festivals in Ostritz gab es heftige Kritik am Ordnungsamt, weil es die Veranstaltung genehmigt hatte, obwohl offensichtlich kommerzielle Interessen im Vordergrund stünden. Die Behörde verweist wiederum auf die Versammlungsfreiheit. Sie könne lediglich handeln, wenn der Veranstalter gegen die Auflagen verstoße.

Die hessische Stadt Wetzlar ging Ende März einen radikalen Weg und verweigerte der NPD schlicht den Zugang zur Stadthalle. Mit der Begründung, dass die Partei die Bedingungen des Mietvertrages nicht erfülle. In Wetzlar wollte die NPD eine Wahlkampfveranstaltung abhalten sowie ein Konzert. Mit dem Verbot stellte sich die Stadt sogar gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Stadthalle für die NPD geöffnet werden müsse.

Die Schwerpunkte liegen in Thüringen und Sachsen

In Thüringen wird seit langem über eine mögliche Änderung des Versammlungsrechts diskutiert. In dem Bundesland häufen sich derzeit rechtsextreme Konzerte und Liederabende - vor allem aber Veranstaltungen mit Festivalcharakter. Besonders Kirchheim und Themar sind feste Rückzugsorte für die rechtsextreme Szene geworden. Doch auch Sachsen gilt mittlerweile als Hochburg. 2016 fanden in dem Bundesland allein 14 Konzerte rechtsextremer Künstler mit durchschnittlich 230 Besuchern statt.

Im sächsischen Verfassungsschutzbericht taucht immer wieder Torgau-Staupitz in Nordsachsen auf. Dort finden in einem Gasthof bereits seit 2008 regelmäßig Konzerte statt, zu denen Hunderte Neonazis kommen. Was Themar, Kirchheim und Torgau-Staupitz eint, ist die ohnehin gute Vernetzung der rechtsextremen Szene vor Ort. Die Veranstaltungen finden in Immobilien statt, die Neonazis gehören.

Auch in Ostritz haben Rechtsextreme über Jahre Strukturen aufgebaut. Das "Schild und Schwert"-Festival findet im Hotel Neißeblick in der Nähe des Bahnhofs statt. Das Gasthaus gehört einem Unternehmer aus Hessen, der früher NPD-Mitglied war.

Altgediente Bands mit Kontakten ins Ausland

Mittlerweile gibt es in der rechtsextremen Szene alle möglichen Strömungen. Selbst Hip-Hop ist unter Neonazis durchaus beliebt. Bekanntes Beispiel ist der Rapper MaKss Damage. Doch wenn man sich die Line-ups des "Schild und Schwert"-Festivals sowie vergangener Veranstaltungen ansieht, dominieren vor allem altbekannte Neonazi-Bands wie Kategorie C oder Die Lunikoff Verschwörung. Kategorie C ist eine 1997 in Bremen gegründete Band, die Hooligan- und Nazi-Szene miteinander verbindet. Sie steht der in Deutschland verbotenen "Blood and Honour"-Bewegung nahe (hier mehr zu der Band). Während Kategorie C sich vom Musikstil sehr nah am Deutschrock bewegen, schwankt Die Lunikoff Verschwörung zwischen punkigem Rock und seichten Gitarrenklängen.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 gilt die Gruppe als Kultband. Das liegt besonders an Sänger Michael Regener. Regener war früher Frontmann der verbotenen Band Landser und saß mehrere Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung. Regener tritt auch solo auf, oder als Gastsänger bei anderen Bands wie etwa Stahlgewitter. Die Lunikoff Verschwörung ist auch Headliner des Festivals in Ostritz (hier mehr zu der Band).

Es geht ums Geld

Rechtsextreme Musik gilt bis heute als Einstiegsdroge insbesondere für ein jugendliches Publikum. Eine These, der der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs widerspricht. "Nur weil ich Landser höre, werde ich nicht gleich zum Nazi", sagt er. Die Einstiegsmechanismen seien viel komplexer, wichtiger sei sozialer Kontakt zu Rechtsextremen. Festivals wie "Schild und Schwert" richten sich laut Hindrichs vor allem an tief in der Szene verwurzelte Neonazis. Dass Rechtsextreme neben zahlreichen kleinen konspirativen Konzerten und Liederabenden nun auch Großevents wie in Ostritz organisieren, hat für den Rechtsrock-Experten sehr einfache Gründe: "Es geht um Aufmerksamkeit und um Geld."

Offiziell verlangten die Veranstalter von rechtsextremen Festivals in Themar keine Eintrittsgelder. Doch am Eingang bezahlten die Teilnehmer einen festen Betrag als Spende. 35 Euro waren es bei "Rock gegen Überfremdung". Schätzungen zufolge sollen sich die Einnahmen auf 200 000 Euro belaufen. Hinzu kommen Erlöse aus dem Verkauf von Getränken und Merchandising. Beim Festival in Ostritz verkauft Thorsten Heise offiziell Eintrittskarten. Für das gesamte Wochenende müssen Besucher 45 Euro zahlen. Mit dem Fan-Ticket gelangt man auch hinter die Bühne. Essen und Trinken sind dabei kostenlos. Kostenpunkt: 195 Euro. Das Geld fließt wieder zurück in die Bewegung und wird etwa zum Kauf weiterer Immobilien verwendet.

NPD oder parteilose Nationalisten gehören zu den Anmeldern

Auch die NPD braucht Geld. Und das nicht zu knapp. Denn seit sie aus den Landesparlamenten geflogen ist, kann sie nicht mehr von öffentlichem Geld profitieren. Umso erstaunlicher, dass sie offenbar über die Mittel verfügt, eine Großveranstaltung wie die "Tage der nationalen Bewegung" auf die Beine zu stellen. Stattfinden soll diese neu eingeführte Veranstaltung in Themar. Doch der Landkreis verbot die Veranstaltung, begründete dies mit dem Naturschutz. Die Veranstalter haben gegen das Verbot geklagt, eine finale Entscheidung steht noch aus.

Die NPD profitiert bei der Organisation von der mittlerweile guten Vernetzung zwischen Rechtsextremen und deren Erfahrung mit Großevents. Zentrale Figur ist hierbei Tommy Frenck. Er besitzt in Themars Nachbarort Kloster Veßra eine Gaststätte, wo er auch selbst Liederabende und andere politische Veranstaltungen organisiert. Gleichzeitig ist er Organisator von "Rock gegen Überfremdung".

Bei der Landratswahl trat Frenck als unabhängiger Kandidat an, in Themar holte er 20 Prozent der Stimmen und zementierte damit seine Beliebtheit in der Region. Frenck ist parteiloser Nationalist, der sich ganz der Sache des nationalen Widerstands verschrieben hat, wie er in einem Interview vom vergangenen Jahr sagte.

"Wir haben einen Plan"

Seitdem sich die AfD immer weiter radikalisiert, befinden sich rechtsextreme Parteien in der Krise. Der von der NPD ausgerufene "Kampf um die Parlamente" ist verloren, die Neonazis grenzen sich ihrerseits wieder stärker ab, mehrere Parteien und Gruppen kämpfen um lokalen Einfluss. Bei den "Tagen der nationalen Bewegung" sollen sie alle zusammengebracht werden. Auf der Internetseite heißt es, alle Patrioten seien willkommen, die eine starke Gemeinschaft an die Stelle von Gruppenegoismen stellen. Neben bekannten Rednern der NPD sollen Vertreter von "Die Rechte" sprechen. Auch Tommy Frenck wird auftreten.

Frenck selbst steckt schon mitten in den Vorbereitungen für die mittlerweile dritte Ausgabe des "Rock gegen Überfremdung"-Festivals. Der Termin ist für Ende August angesetzt. Ob wieder Themar Veranstaltungsort sein wird, ist offen. In dem Ort fühlen sich vor allem die Gegner Frencks von der Politik alleingelassen.

In Ostritz gingen Behörden und Politik von Anfang an ein völlig anderen Weg. Die Stadt holte sich externe Berater, die halfen, Sorgen und Wünsche der Bewohner zu ordnen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die Schirmherrschaft über das Friedensfest übernommen. Polizei und Verfassungsschutz dimmten Ängste herunter, Ostritz könnte von randalierenden linken Gegendemonstranten heimgesucht werden. Alle - und das ist in Sachsen nicht selbstverständlich - waren sich einig: Das Problem sind die Neonazis.

Deswegen ist es gar nicht so falsch, was Verfassungsschützer Henry Krentz auf der Bürgerversammlung Anfang April über die künftige Entwicklung sagte. In Ostritz könnte sich tatsächlich die Zukunft des Rechtsextremismus entscheiden. Denn hier entscheidet sich, wie man mit ihm in Zukunft umgehen will.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: