Pop Art:Konsum pur

In den westlichen Ländern begann in den 1950ern das Zeitalter des Überflusses. Künstler wie Eduardo Paolozzi , Richard Hamilton oder Andy Warhol suchten ihre Antwort darauf.

Von Sandra Danicke

Am 6. Oktober 1964 lud "The American Supermarket" in der New Yorker East Street zur Eröffnung. Es gab fast alles, was es in anderen Supermärkten gab: Konservendosen, Putzmittel, Hot Dogs, Gemüse. Bloß, dass die Waren in Wirklichkeit Kunst waren und der Supermarkt eine Galerie. Die Pop Art hatte die zuvor gültigen Koordinaten und Zuordnungsmuster gründlich verschoben. Banales konnte nun ein "Objekt" oder eine "Skulptur" sein, und Kunst schien ein marktschreierisches Geschäft wie jedes andere.

Wie konnte es dazu kommen? Aus heutiger Sicht scheint es, als sei die Entwicklung der Pop Art eine zwangsläufige Folge des Zeitgeistes gewesen. Als hätten sich progressive Künstler in New York, London und Paris unvermeidlich auf jenen Moment zu bewegt, an dem ein Kunst-Stratege wie Andy Warhol eine Galerie mit nachgebauten Waschmittelpackungen voll stellen und dafür bewundert werden würde.

Für amerikanische Großstädter war die Anhäufung von Waren zu Beginn der sechziger Jahre ein alltäglicher Anblick. Die Wirtschaft boomte, die Löhne stiegen, der Konsum explodierte. Moderne Vervielfältigungstechniken sorgten für eine nie da gewesene Bilderflut, und die Werbung war aufdringlicher denn je. Pop Art, jene Stilrichtung, die Alltägliches zum künstlerischen Motiv erhob, lag also tatsächlich in der Luft. Die entscheidenden Impulse kamen jedoch zunächst aus Großbritannien.

Populär, vergänglich, verbrauchbar, billig und jung

In den frühen fünfziger Jahren traf sich im Londoner Institute of Contemporary Arts die Independent Group, eine kleine Gruppe Kulturschaffender, die einige der frühesten Pop-Art-Künstler hervorbrachte. Neben Eduardo Paolozzi, der zwischen 1948 und 1950 Collagen aus amerikanischen Comics, Postkarten, Werbung und Zeitschriften unter dem Titel "Bunk!" anfertigte, war es vor allem Richard Hamilton, der in seinen Bildern die Idole aus Film und Musik als Marke reflektierte. Das erste und berühmteste Beispiel ist eine kleine Collage von 1956 mit dem Titel "Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?" (Was ist es nur, das unser Zuhause so anders, so anziehend macht?), das zu einer Ikone der Pop Art avancierte. Die Arbeit, die eigentlich nicht als Kunstwerk gedacht war, sondern als Plakat und Katalogillustration für eine Ausstellung, erscheint im Nachhinein geradezu programmatisch für die spätere Pop-Ikonografie. Sämtliche typischen Themenfelder - von der Unterhaltungselektronik über Fertiggerichte bis hin zu Pin-ups und Lebensmitteln - waren hier bereits auf einem einzigen Blatt versammelt. Selbst das Wort Pop stand auf einem Lolli. Ein Jahr später nahm Hamilton in einem Brief die Definition von Pop Art vorweg: "populär (entworfen für ein Massenpublikum), vergänglich (kurzlebig), verbrauchbar (schnell vergessen), billig, Massenprodukt, jung (für die Jugend bestimmt), witzig, sexy, trickreich, glamourös, big business."

Etwa zur gleichen Zeit, 1957, entdeckte der New Yorker Kunsthändler Leo Castelli zwei junge Talente und machte sie zu Stars: Robert Rauschenberg und Jasper Johns. Mit seinen "Combine Paintings", in denen er Fundstücke wie Glühbirnen, einen Regenschirm oder Coca-Cola-Flaschen verarbeitete, löste sich Rauschenberg als einer der ersten vom gewichtigen Pathos der Vorgängergeneration und schuf eine Kunst, die den Alltag und die Kultur ihrer unmittelbaren Umgebung reflektierte. Für Aufsehen sorgte etwa die Arbeit "Bed" von 1955, für die Rauschenberg Decke, Laken und Kissen auf eine Holzplatte montiert und mit heftigen Pinselstrichen attackiert hatte. Nicht nur die Verwendung realer Gegenstände im Bild, auch die durch die Heftigkeit der Malerei ausgelösten sexuellen Konnotationen wirkten in den prüden fünfziger Jahren provokativ.

Auch Wiederholung, ein Kunstgriff, der später unter anderem für Werke von Andy Warhol charakteristisch werden sollte, taucht bei Rauschenberg bereits in den Fünfzigern auf. Mit "Factum I" und "Factum II" (1957), in denen er die scheinbar spontane Kombination von gefundenen Bildern und Pinselstrichen verdoppelt, hinterfragte Rauschenberg die Einzigartigkeit des Originals.

Prägender noch wirkte das Werk seines Lebensgefährten Jasper Johns. Bereits seit 1954 bildete der Künstler amerikanische Flaggen, Zielscheiben, Zahlen und Buchstaben auf eine so unmittelbare Weise ab, dass man einen Moment lang das Bild für den Gegenstand halten kann. Auf diese Weise hinterfragte Johns die Funktion der Malerei: Was genau ist ein Bild? Und wie verändert sich ein Motiv durch seinen jeweiligen Kontext? Transportiert die Abbildung einer amerikanischen Flagge die gleichen Werte wie der Gegenstand selbst oder passiert durch die Übersetzung in Kunst womöglich das Gegenteil?

Pop Art: Eine bunte Mischung ist Wolf Vostells "You are Leaving the American Sector" aus dem Jahr 1964.

Eine bunte Mischung ist Wolf Vostells "You are Leaving the American Sector" aus dem Jahr 1964.

(Foto: Museum Folkwang, Essen, VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Der Weg zur unterkühlten Ästhetik der Pop Art war von hier aus nicht mehr weit. In einer Welt, in der Massenmedien und Werbung immer aggressiver um Aufmerksamkeit buhlten, orientierten sich zahlreiche Künstler mit ihrer Bildsprache an dem, was die Leute verstanden. "Ich bin für eine Kunst, die politisch-erotisch-mythisch ist, die etwas anderes tut, als im Museum auf ihrem Arsch zu sitzen", erklärte etwa der gebürtige Schwede Claes Oldenburg, der 1961 unter dem Titel "The Store" sein Atelier in Lower Manhattan in eine Mischung aus Kunsthandlung und Warenhaus verwandelte: Es gab Kleidung, Schuhe, Lebensmittel. Bloß, dass diese Dinge aus bemaltem, mit Gips überzogenem Musselin gefertigt waren.

Erinnerte die Anmutung damals noch an die subjektive Bildsprache der Abstrakten Expressionisten, hatte Oldenburg ein Jahr später bereits seine charakteristische Pop-Ästhetik entwickelt: In der avantgardistischen Green Galerie lagen nun Torte und als monumentale Stoffskulpturen auf dem Fußboden. Oldenburg hatte getan, wofür er berühmt werden sollte: Konsum-Produkte ins Gigantische zu vergrößern, weiche Sachen aus harten Materialien nachzubilden und harte ganz schlaff aussehen zu lassen. Seine "Soft Machines" - Telefon, Schreibmaschine, Toaster aus fließendem Vinyl - wirken wie dem Albtraum einer auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft entsprungen. Gewohnte Dinge wie Hamburger, Toiletten oder Zigarettenstummel mutierten zu funktionsuntüchtigen Fremdkörpern. Was ursprünglich apart aussah, ist in Oldenburgs Version matschig und unförmig - ein humorvoller Kommentar zur Gier des Kapitalismus.

In den späten 1960-ern hatte die Pop Art ihren Zenit überschritten

Auch Andy Warhol hatte mit Bildern von Campbell's Suppendosen 1962 ein griffiges Bild für die Überflussgesellschaft gefunden, in der konservierte Lebensmittel als Symbol eines demokratischen Freiheitsbegriffs fungierten. Lakonisch brachte der Künstler die neue Denkweise auf den Punkt: "Man sitzt vor dem Fernseher und trinkt Coca Cola, und man weiß, der Präsident trinkt Coke, Liz Taylor trinkt Coke, und man denkt sich, du kannst auch Coke trinken". Auf das Thema Vervielfältigung war Warhol gestoßen, nachdem er bei Leo Castelli mit einer Reihe von Comicbildern abgeblitzt war. Roy Lichtenstein war nur wenige Wochen vor ihm mit einem ganz ähnlichen Konzept bei dem Kunsthändler vorstellig geworden. Castelli war begeistert, und Warhol musste zugeben, dass Lichtenstein das Thema radikaler auf den Punkt brachte. Ähnlich wie Oldenburg hatte also auch Lichtenstein etwas Banales zu enormer Größe aufgeblasen und in den Kunstkontext übertragen. Dass Lichtenstein die Vorlagen keineswegs unverändert vergrößerte, sondern das Ausgangsmaterial farblich und typografisch derart vereinfachte, dass sein Stil unverkennbar wurde, begreift man erst nach einer Weile.

In technischer Hinsicht sollte sich Warhol dann aber doch als radikaler erweisen. Mithilfe des Siebdrucks produzierte der Künstler seine Werke tatsächlich serienmäßig. Schließlich ging er sogar dazu über, den Großteil der Herstellung, zu der neben Bildern schon bald die Produktion von Underground-Filmen kam, von einem Team, seiner so genannten Factory besorgen zu lassen. In Anspielung an das hektische Rattern einer Druckerpresse reihte Warhol 1962 Porträts der gerade gestorbenen Marilyn Monroe aneinander und fand damit ein frappierendes Bild für die Austauschbarkeit und Identitätslosigkeit weiblicher Film-Ikonen, deren Gesichter so inflationär beworben wurden wie Suppendosen.

Anders als seine Kollegen begnügte sich Warhol allerdings nicht damit, Stars und Markenartikel abzubilden. Er stilisierte sich selbst zur Marke, indem er sein Outfit und Auftreten kalkuliert inszenierte. Wie ein Popstar umgab sich Warhol mit einer groupiehaften Entourage aus schönen Frauen, androgynen Knaben und exaltierten Gestalten. Um die Mitglieder und Gäste seiner Factory (darunter Musiker wie Lou Reed oder Mick Jagger) entspann sich ein regelrechter Kult. In den Medien wurde bald mehr über Warhols Image berichtet, als über seine Bilder. Als Film- und Musikproduzent machte Warhol auch andere zu Ikonen der Subkultur wie das deutsche Model Nico oder das kalifornische Mannequin Edie Sedgwick.

Pop Art: Auf eine signalhafte Bildsprache konzentrierte sich Robert Indiana, hier sein Bild "The Confederacy Alabama", entstanden 1965.

Auf eine signalhafte Bildsprache konzentrierte sich Robert Indiana, hier sein Bild "The Confederacy Alabama", entstanden 1965.

(Foto: Miami University Art Museum,Oxford,Ohio,Morgan Art Foundation/ARS,New York;VG Bild-Kunst,Bonn 2016)

Auch der Künstler Robert Indiana ist in mehreren Warhol-Film zu sehen, küssend in "Kiss" oder Pilz essend in "Eat". Seine eigenen Arbeiten sind geprägt von einer signalhaften Bildsprache, die sich fast ausschließlich aus Zahlen, Buchstaben und geometrischen Figuren zusammensetzt und an das Formen- und Farbrepertoire von Verkehrszeichen, Hausnummern und Firmenschildern angelehnt ist. In "American Dream I" (1961) stellte der Maler die Verheißungen Amerikas auf eine Stufe mit dem riskanten Glücksspiel eines Flipper-Automaten. Später erfand Indiana mit seinem LOVE-Logo eines der griffigsten Symbole der Pop-Art. Das Motiv, das 1964 vom New Yorker "Museum of Modern Art" als Weihnachtskarte in Auftrag gegeben wurde, avancierte schon bald zum Symbol für freie Liebe und Pazifismus.

Inzwischen hatte der naive Glaube an den amerikanischen Wohlstandstraum Kratzer bekommen. Bereits die Kuba-Krise hatte dem Hurra-Patriotismus in den USA 1962 ihren ersten Dämpfer versetzt. Und als bald darauf unzählige Soldaten und Zivilisten im Vietnam-Krieg ums Leben kamen, schlug die Zukunfts-Euphorie in Protest um. Andy Warhol beschäftigte sich nun vorrangig mit dem Thema Tod. Vom Kennedy-Mord über Autounfälle bis hin zum Tod von Detroiter Hausfrauen, die durch vergifteten Thunfisch ums Leben gekommen waren, reichte seine Motivpalette. Gefühlskalt, wie er sich stets inszenierte, behauptete Warhol, es gehe ihm einzig darum, wie sich die Medien des Themas bemächtigten.

Auch Roy Lichtenstein wehrte sich gegen die Interpretation, bei seinen um 1963 entstandenen Kriegscomic-Gemälden handele es sich um Kritik am amerikanischen Imperialismus. "Persönlich finde ich, unsere Außenpolitik ist in vieler Hinsicht unglaublich barbarisch gewesen, aber das ist es nicht, worum es bei meiner Arbeit geht", äußerte der Künstler. "Das Thema meiner Arbeit betrifft eher unsere amerikanische Definition von Bildern und visueller Kommunikation."

In den späten sechziger Jahren wurden die konsumbejahenden, das Oberflächliche feiernden Aspekte der Pop Art vom Mainstream vereinnahmt. Als revolutionäre Kunstströmung hatte sie ihren Zenit überschritten.

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