Politik und Philosophie:Warum Trump jedes Mittel recht ist

Politik und Philosophie: Damals ging es ihm noch allein um Wolkenkratzer: Donald Trump 2005 neben einem Modell seines Vorschlags für das World Trade Center.

Damals ging es ihm noch allein um Wolkenkratzer: Donald Trump 2005 neben einem Modell seines Vorschlags für das World Trade Center.

(Foto: AP)

Donald Trump ist kein Ideologe, sondern das Produkt einer amerikanischen Denkschule des 19. Jahrhunderts: der Pragmatiker.

Von Andrian Kreye

Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten Donald Trumps Worte etwas Tröstliches. Das hatte vor allem damit zu tun, dass der damalige Bauunternehmer in aggressiv ideologischen Zeiten ein ausgesprochen ideologieloser Mensch war. In Amerika ist dies kein Mangel an Haltung, sondern vielmehr eine Eigenschaft, die sich sehr lässig in die dortige Geistesgeschichte einfügt.

Donald Trump ist vielleicht kein Schüler, aber auf alle Fälle das Produkt einer Denkschule, die sich Ende des 19. Jahrhunderts "The Pragmatists" nannte, die Pragmatiker. Wissenschaftler und Intellektuelle fanden sich zusammen, um gegen die europäische Philosophie Stellung zu beziehen. In Europa fremdelte und haderte man mit dieser Denkschule schon immer. Und dies ist einer der vielen Gründe dafür, dass das Rätsel Trump momentan auf dieser Seite des Atlantiks noch etwas größer ist als auf der Seite, die ab dem 20. Januar unmittelbar mit den Entscheidungen eines Präsidenten Trump leben wird.

Kraftakt statt Krieg

Die tröstlichen Worte also. Sie fielen wenige Wochen nach den Anschlägen des 11. September 2001. Auf "Ground Zero" rauchten noch die Trümmer des World Trade Center. Die Neokonservativen rund um Präsident George W. Bush ergriffen die Gelegenheit, um in einer Mischung aus Angstmache und Kriegstreiberei ihre Politik durchzusetzen. Unter anderem wurde damals das Ende des Wolkenkratzers ausgerufen. Für ein Land, in dem der Wolkenkratzer als Symbol der Moderne und des Fortschritts galt, war das die Verkündung eines Zeitalters der Finsternis. Nur Trump erklärte, er werde mit einem Turm in Chicago den Petronas Towers im malaysischen Kuala Lumpur den Titel als welthöchste Wolkenkratzer abjagen. Es war Kampfgeist ohne Politik und Ideologie. Kraftakt statt Krieg - die Botschaft kam gut an.

Nun hatte Donald Trump in New York auch unter Auslandskorrespondenten eine besondere Stellung. Es gab streng genommen zwei Figuren, auf die sich die Stadt New York in den Augen Europas verdichten ließ. Die eine war Woody Allen, die andere Donald Trump. Der eine war Philosoph, der andere Pragmatiker, wobei es immer leichter war, Donald Trump für ein Interview zu gewinnen.

Hatte man die Vorverhandlungen mit seiner strengen Vorzimmerregentin überstanden, die darüber wachte, dass niemand die Zeit ihres Chefs verschwendete, schritt man durch die schinkenfarbene Lobby des Trump Tower in einen der goldschimmernden Aufzüge. Im 26. Stock saß Donald Trump in seinem gar nicht so großen Büro an seinem Schreibtisch, hinter sich der Blick auf den Central Park. Für Manhattan war dieser Turm ein exotisches Ambiente, eine Art Konsulat des nicht ganz so kosmopolitischen Amerika, das ja nicht erst im Herzland beginnt, sondern schon in den New Yorker Vorstadtvierteln wie Queens, aus dem Trump selbst stammte.

Das Gespräch machte dann im damaligen Kontext so viel Mut, weil es Trump um sehr konkrete Lösungen ging. Er konnte mit Details aus der Statik erklären, warum die säulenlose Struktur des World Trade Center ein bautechnischer Frevel war. Er sprach über das Verhältnis von Stahl und Beton, welche Materialien welche Höhe tragen, und warum man sich nicht von den Moden der Architekten und Ingenieure irreführen lassen sollte. Über das Interview konnte man dann sein Zitat "Der Wolkenkratzer will niemals sterben" als Überschrift setzen. Und das war sehr viel tröstlicher als die Kampfrufe der Neocons. Noch dazu, weil er sehr konkrete Fakten und einen unbedingten Willen zum Handeln anführen konnte.

Jeder Gedanke sollte für die Pragmatiker an seiner Umsetzung in der Wirklichkeit gemessen

Es ist nicht anzunehmen, dass Donald Trump geistesgeschichtliche Texte aus dem 19. Jahrhundert gelesen hat. Aber es traf sich nun mal, dass der Kulturhistoriker Louis Menand wenige Monate später sein Buch "The Metaphysical Club" veröffentlichte. Was als Werk über einen Debattierzirkel im amerikanischen Cambridge des späten 19. Jahrhunderts angekündigt war, entwickelte sich zum Bestseller, weil sich eine Hoffnung daran knüpfte, dass man in der eigenen Geschichte ein paar Antworten finden würde auf die großen Fragen des neuen Jahrtausends.

Der titelgebende metaphysische Club war ein klassischer Salon, der sich im Winter 1871 formierte und in den Bürgerwohnungen seiner Mitglieder traf. Auch damals beherrschte ein Trauma die amerikanische Psyche. Der Bürgerkrieg war erst sechs Jahre zuvor mit einer Härte zu Ende gegangen, die das junge Land nicht kannte. Auch damals war viel die Rede von einer Krise der Geisteswissenschaften, weil diese keine raschen Antworten bereit hielten, sondern nur komplexe Betrachtungen. Die Mitglieder dieses metaphysischen Clubs stammten dann auch vorwiegend aus praktisch ausgerichteten Wissenschaften. John Dewey und William James waren Psychologen, Charles Sanders Peirce war Mathematiker, Oliver Wendell Holmes Jurist.

Ihre Grundsatztexte lesen sich wie geistige Unabhängigkeitserklärungen

Über die nächsten vier Jahre erweiterte sich der Kreis nicht nur in Cambridge, sondern auch in andere Städte. Es ging den Pragmatikern, wie sich selbst nannten, zunächst gar nicht darum, eine neue Philosophie zu entwickeln, sondern um das Denken an sich. Das sollte zunächst einmal von den Abstraktionen der Philosophie befreit werden.

Ihre Grundsatztexte lesen sich wie geistige Unabhängigkeitserklärungen. In seinem Essay "How to make our ideas clear" (wie wir unsere Ideen deutlich machen) von 1879 schrieb Peirce: "Wenn wir erst einmal Herr über unsere eigenen Begriffe werden, schaffen wir ein solides Fundament für große und gewichtige Gedanken. Das gelingt vor allem jenen, deren Gedanken karg und klar begrenzt sind, und die viel glücklicher sind als jene, die sich hilflos im tiefen Sumpf der Konzepte suhlen."

An den amerikanischen Universitäten ist der Pragmatismus bis heute eine wichtige Größe. Liest man die aktuellen Texte, haben sie immer noch etwas Erfrischendes. Wenn der Komparatist Richard Rorty beispielsweise die Schriften von Jacques Derrida auseinandernimmt, kann man sich eine leichte intellektuelle Schadenfreude kaum verkneifen: "Nicht-Kantianer-Philosophen wie Heidegger und Derrida sind emblematische Figuren, die nicht nur keine Probleme lösen, sie haben nicht einmal Argumente oder Thesen."

Das bringt auch das eigentliche Ziel der Pragmatiker auf den Punkt. Jeder Gedanke sollte an seiner Umsetzung in der Wirklichkeit gemessen werden und nicht daran, wie er sich in ein System aus Prinzipien oder Konzepten fügt.

Die Befreiung des Denkens als Ausbruch aus den Grenzen einer rigiden Grundhaltung

Sucht man die Spuren des Pragmatismus im heutigen Amerika, wird man genau deshalb weniger in den Geisteswissenschaften als in der Politik und der Kultur fündig. In der Politik stehen Figuren wie der Medienunternehmer und New Yorker Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg genauso dafür wie die Basisbewegung Occupy mit ihrem Ideal der teilnehmenden Demokratie, wie sie Charles Sander Peirce definierte. In der Kultur sind die Filme von Clint Eastwood genauso ein Ausdruck des Pragmatismus wie eben jene Reality-Sendung "The Apprentice", mit der Donald Trump vom Phänomen der New Yorker Gesellschaft zum landesweiten Fernsehstar aufstieg. Prägend für die Epoche aber wurde der Pragmatismus in den Debatten zwischen Wissenschaftlern und Künstlern der Dritten Kultur, aus der sich auch das lösungsorientierte Denken der digitalen Welt ableitet. Eines verbindet sie alle. Die Befreiung des Denkens war immer auch ein Ausbruch aus den Grenzen einer rigiden Grundhaltung.

So ein Denken verringert die Fehlerquote. Jeder Gedanke muss sich sofort in der Anwendung auf die Wirklichkeit beweisen. Michael Bloomberg bewies sich mit Mitteln der Stadtplanung. Clint Eastwood ist jedes Mittel Recht, das Böse zu besiegen. Die digitale Welt besteht fast ausschließlich aus Lösungsmodellen.

Trumps Gefolgsleute sind allesamt Vertreter gefährlicherer, höherer Anliegen

Wie es dann dazu kommen konnte, dass mit Donald Trump womöglich am 20. Januar 2017 ein Haufen wirklich grauenhafter Ideologen und Radikaler ins Weiße Haus einzieht? Dafür hätten schon die frühen Kritiker des Pragmatismus eine Erklärung gehabt. Der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton warnte schon 1908: "Eine der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse ist es, mehr zu sein als nur ein Pragmatiker." Trump mag mit seinem radikalen Pragmatismus gesiegt haben. Seine Gefolgsleute aber sind allesamt Vertreter gefährlicherer, höherer Anliegen.

Und radikal ist er . "By any means necessary" (mit jedem erforderlichen Mittel) - das war zwar die Devise des radikalen Bürgerrechtskämpfers und Black Muslims Malcolm X. Es umreißt aber auch die Wahlkampfstrategie von Donald Trump. Dabei war ihm nicht nur jedes Mittel Recht, sondern auch jeder Verbündete. Weil ihn aber selbst das Establishment seiner eigenen Partei ablehnte, suchte Trump sich die Außenseiter - den christlichen Fundamentalisten Mike Pence, den einstigen New Yorker Stahlbesen-Bürgermeister Rudolph Giuliani, den Rechtsaußenstrategen Steve Bannon, die zu Witzfiguren Gedemütigten wie Sarah Palin und Chris Christie. Ihre Ideologie mag selbst Konservativen ein Grauen sein. Doch im Sinne des Pragmatismus haben sie sich bewiesen. Ihre politische Arbeit hat Donald Trump zum Präsidenten gemacht. Wenn sie nun ihre Ideologien, Konzepte und Glaubenssysteme mitbringen, dann sind das für einen Pragmatiker wie Donald Trump nur Begleitgeräusche. Dabei darf man nicht vergessen, dass er aus einem der weitaus härtesten Gewerbe seines Landes stammt, der New Yorker Bauindustrie. Handschlagvereinbarungen zählen da oft mehr als juristisch ausgeklügelte Verträge.

Die Fixierung auf nachweisbare Erfolge verführt zu intellektueller Brutalität

Und doch: Die Befreiung von der Last der Ideologien und der Großkonzepte musste vielleicht das 20. Jahrhundert beenden. Lösungsdenken ist jedoch keine Vision. Vor allem in einer Zeit, in der geopolitische und gesellschaftliche Umwälzungen schneller voranschreiten als die Entscheidungsprozesse der Politik, verführt die Fixierung auf nachweisbare Erfolge zu einer intellektuellen Brutalität, die in einer Figur wie Donald Trump gipfelt. Soll man sich nun an die Hoffnung klammern, dass seine Ideologielosigkeit auch eine Chance ist? Oder macht ihn der Pragmatismus seines Landes nur unberechenbar?

Auch da findet man bei den frühen Kritikern eine von vielen möglichen Antworten. 1909, als der Pragmatismus auch weltweit Beachtung fand, schrieb der Philosoph Bertrand Russell: "Sollten die Schlüsse der Pragmatiker korrekt seien, wären Panzerschiffe und Maschinengewehre die letztgültigen Richter über metaphysische Wahrheit."

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