Plattenkabinett:Eine Band geht vor die Kühe

La Brass Banda

Sehr gemütlich, sehr bayerisch, diesmal im Stall: La Brass Banda

(Foto: Andreas Richter)

Nein, die Bayern stehen nicht das ganze Jahr auf Biertischen. Sie mögen es vor allem gemütlich. Dieser Eigenschaft trägt nun auch LaBrassBanda Rechnung - mit einer leisen Platte aus dem Kuhstall. Neues aus dem Plattenkabinett.

Von Gökalp Babayiğit

Vor allem zur Wiesnzeit läuft der Mensch - und der Bayer auch - Gefahr, bestimmte Urteile zu fällen, deren Widerlegung Anstrengung kostet. Aber versuchen kann man es ja: Nein, in Bayern wird sich nicht jeden Tag in die Hirschlederne geschmissen und auf die Bierbänke gestellt, um Schlager fragwürdiger Qualität mitzugrölen, alle Hemmungen ertränkt in mehreren Litern Bier. Nein, der Party-Wahnsinn ist hier nur zu Gast. Hausrecht hat die Gmiatlichkeit. Überlegen Sie doch mal: Zwei Wochen dieses Irrwitzes im Jahr gehen doch nur, wenn in den anderen 50 Wochen "a Ruah" ist.

Dass die aus dem Chiemgau stammende Blasmusik-Band LaBrassBanda es meisterhaft versteht, bei ihren Liveauftritten aber so dermaßen die Sau rauszulassen, bewiesen sie oft - zuletzt auf dem diesjährigen Oktoberfest. Doch was ist mit der bayerischen Gemütlichkeit, der Ruhe, einer "Unplugged"-Platte? Für Dettl, Frontman der Band, war klar: Vor Publikum wird das nichts mit einem ruhigen Album. "Wenn wir vor Leuten spielen und die uns anpushen, dann geht das nicht." Sie brauchten ein Publikum, so Dettl, "das uns null anstachelt. Und das wären Kühe".

Andere gingen in Tropfsteinhöhlen oder spielten Konzerte auf Dächern in der Großstadt. Die Chiemgauer gingen in den Stall und ließen die Kühe drin. Wer einen Kuhstall schon mal von innen gesehen hat, der weiß: Sobald man sich aneinander gewöhnt hat, Mensch und Kühe, hat das etwas ungemein Beruhigendes.

So bremsten LaBrassBanda ihre mitunter wild losmarschierenden Stücke, ließen E-Gitarren und E-Bass im Studio, arrangierten um, und wurden leiser. Und dann wurden sie noch ein wenig leiser.

Das Resultat auf "Kiah Royal" sind reduzierte Versionen von bekannten Liedern der Vorgängerplatten. Mit ihrem Idol Stephan Remmler spielten sie außerdem dessen Hit "Keine Sterne in Athen" ein, Rocko Schamoni wirkte an "Der Mond" mit, Stofferl Well von der Biermösl Blosn am bairischen Rap "40 Cent" (nicht gelungen). Sehr gemütlich, das Ganze. Sehr bayerisch.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: Gib a Ruah!

Wenn die Platte ein Hashtag wäre: #gmiatlich.

Wenn die Platte eine Stadt wäre: ein Dorf mit der Endung -ing.

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"Interlude" von Jamie Cullum

Jamie Cullum, dieser ewige Mittzwanziger, er ist mittlerweile auch schon 35 Jahre alt. Ein gutes Alter, um mal zurückzublicken, dachte er sich wohl, als er sich zu einem neuen Album entschloss. In seinen eigenen Worten: "Um dahin zu gelangen, wo man sein möchte, muss man manchmal zurück an den Punkt gehen, an dem alles angefangen hat."

Zurück auf Los heißt bei Jamie Cullum zurück zum Jazz. So strotzt "Interlude" nur so von Coverversionen teils sehr bekannter Jazz-Klassiker. Und Jamie Cullum strotzt nur so vor Mut, nein besser: Er hat keine Angst.

Es hat was Schwerelos-Unbeschwertes, wie der Brite Songs einsingt, die andere Künstler bereits für die Unsterblichkeit interpretiert haben. Wir erleben einen Interpreten, der weiß, was er kann. Cullums souliges "Don't You Know" etwa, eigentlich eine Ray-Charles-Nummer, steht dem Vorbild in Sachen "Cockiness" praktisch nicht nach.

Durch Cannonball Adderleys "Sack o' Woe" swingt sich Cullum gekonnt und kokettiert dadurch mit den vor Selbstmitleid triefenden Zeilen. An Nina Simones "Don't let me be misunderstood", das seine Bekanntheit wohl eher dem Disco-Act Santa Esmeralda verdankt, wagt er sich ebenfalls unerschrocken heran - mit gefühlvoller Unterstützung von Gregory Porter. Und "Out of this world" des Komponisten Harold Arlen, von dem immerhin Versionen von Frank Sinatra und Tony Bennett vorliegen, reißt er mit Verve an sich.

Doch dieses gesunde Selbstbewusstsein kippt an manchen Stellen des Albums in Übermut. In "Walkin'" etwa, einem Stück, das Nat King Cole schon vor 60 Jahren gesungen hat. Hier fehlt Cullum das Verzweifelte, Unsichere, das Nat King Coles Interpretation so eindringlich klingen ließ.

Oder in Hank Williams' "Lovesick Blues", in dem er bisweilen einfach nur albern klingt. Oder in "My One and Only Love", das Sinatra für alle nachfolgenden Interpreten unmöglich gemacht hat, in dem Cullum die Gravitas fehlt, in dem er arg beiläufig daherkommt.

"Make someone happy, Make just one someone happy, And you will be happy, too" singt der 35-Jährige (auf den Spuren von Tony Bennett) am Ende nach knapp 45 Minuten seines Back-to-the-Roots-Albums. Mit "Interlude" wird ihm das nicht schwerfallen. Bei seinen Fans ohnehin nicht - aber womöglich auch bei Menschen, die mit ihm bislang nichts anfangen konnten.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: Lass mich in die Vergangenheit reisen!

Wenn die Platte ein Hashtag wäre: #jamiejazz.

Wenn die Platte eine Stadt wäre: New York.

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"Our Love" von Caribou

Es ist nicht überliefert, wann das mit der Ironie in der Popkultur endgültig vorbei war. Ist es überhaupt vorbei? Hatte Jarvis Cocker recht, als er sie 1998 auf "This is Hardcore", ganz am Ende, für tot erklärte ("Irony is over, bye bye")? Für David Foster Wallace war die Ironie ein Graus, er arbeitete sich an ihr ab. Man muss nun befürchten, dass die Ironie den Schriftsteller überlebt hat - ich schreibe bewusst nicht "ironischerweise". Aber es gibt Hoffnung.

Dan Snaith alias Caribou hat in "Our Love" ein gänzlich unironisches Werk geschaffen. "Es ist ein Klischee", sagt er, "aber ich denke immer mehr und schäme mich immer weniger dafür, dass Liebe alles ist, was wir haben." Was aus James Blunts Mund wie Teil der Marketingstrategie klingen würde, hat etwas Erfrischendes, wenn es von einem kommt, der in der Londoner Clubszene zuhause ist, weltweit als DJ gebucht wird und elektronische Musik macht.

Um was geht es in "Our Love"? Um die gänzlich distanzlose Behandlung des Themas Liebe. Aber nicht mit Schmalz in der Stimme oder besonders liebesbezeugenden Texten, sondern mit raffinierter elektronischer Musik, die es fertigbringt, gleichzeitig simpel und komplex zu klingen.

Wie in einem Mantra wiederholt Caribou denn auch im ersten Stück "Can't do without you" eben jene Zeile, immer und immer wieder. Sonst hat der Track bis auf die letzten Sekunden keinen anderen Text - und untermauert genau dadurch seine Botschaft: Sieh doch, ich kann wirklich nicht ohne dich. Ernsthaft.

Mit "Silver" geht es eindringlich weiter. Die hypnotische Melodie hat Caribou hier Owen Pallett zu verdanken, der auch seinen Beitrag zu "All I ever need" und "Your Love will set you free" leistete. Von ihm sind die Streicher, und sie geben dem Song etwas Animal-Collective-Haftes.

Spätestens hier dämmert es dem Hörer, wohin die Reise geht: Das ganze Album hat eine Zartheit an sich, bestärkt durch Caribous Falsett-Gesang sowie sparsame und nicht auf Showeffekte zielende Gastauftritte der Sängerin Jessy Lanza, die in "Second Chance" der Platte einen R`n`B-Ausflug spendiert. Alles sehr intim, sehr für sich, ohne Distanz. Ganz ohne Ironie: nicht schlecht für ein sehr instrumentales, mit wenigen Worten auskommendes Elektro-Album.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: Nie wieder Ironie!

Wenn die Platte ein Hashtag wäre: #loveisbetterthanirony.

Wenn die Platte eine Stadt wäre: Paris im Jahr 2020.

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