Opernfestspiele:Der Weg zur Erkenntnis

Mauerschau

Penthesilea, Trias einer Person: Hanna Herfurtner, Adriana Bastidas-Gamboa und Leela Subramaniam.

(Foto: Wilfried Hösl)

"Mauerschau" aus der staatlichen Opernwerkstatt

Von Egbert Tholl

Man sieht fast nichts. Man schaut ins Programmheft und denkt sich, da ist eine neon-orange Schnecke übers Papier gekrochen. Was sie hinterließ, lässt sich nicht lesen. Fast nicht. Aber das ist ein erkenntnistheoretisches Programm, denn legt man eine grüne Folie aufs Papier, erscheint der Text gut lesbar. Ein Spiel mit einem Grundgedanken dieses Abends, dieses Stücks, dieser Opernaufführung: Man sieht etwas und weiß nicht, was es ist, glaubt etwas zu wissen, will etwas wissen.

Das ist an sich ganz aufregend, und die Worte Colin Powells über Chemiewaffenfabriken im Irak, die kein Mensch auf den Satellitenfotos erkennen kann, einfach deshalb, weil sie nicht da sind, die aber in der Interpretation eines solchen Fotos auf einmal entstehen, so klar, dass man gleich einen ganzen Krieg deshalb anzetteln kann, diese Worte sind der Diskussion wert. Einer Diskussion, die sich in der Reithalle, in welcher die Opernwerkstatt der Bayerischen Staatsoper während der Opernfestspiele ihr Zuhause gefunden hat, allein schon im extrem stilsicher stilisierten Bühnenbild von Luftwerk und dem fabelhaften Licht von Benedikt Zehm manifestiert. Da sieht man ein Foto aus dem Krim-Krieg von 1855: ein Talweg, übersät mit Kanonenkugeln. Nur: Als das Foto gemacht wurde, waren die gar nicht da, die kamen erst auf dem Weg in die Zeitung hinzu.

Aber wie zum Teufel gelangt man über diese Frage zu Kleists Herzrausreißer-Stück "Penthesilea"? Denn "Mauerschau" ist dann doch im Kern eine "Penthesilea"-Oper von Hauke Berheide (Libretto: Amy Stebbins), und zwar eine aufregende, beklemmende, die Nervenenden zersägende Studie des Aufeinandertreffens der Küsse und Bisse. Natürlich, auch hier ist Krieg, und gerade Penthesilea handelt in Verkennung der Tatsachen. Aber im Rausch, nicht als Kalkül. Bei Berheide gibt es beide je drei Mal, drei Penthesileen und drei Achills, je zwei Handelnde und ihre Schatten, hoch und tief (Stimmlage). Die Haupt-Penthesilea ist Adriane Bastidas-Gamboa, eine expressionistische Sensation, dazu kommt die große Hildegard Schmahl als Botin des Unheils. Das ist alles umwerfend, extrem, auch wegen des Orchesters, das einen in der Reithalle umzingelt, messerscharf agierend unter Oksana Lyniv - ein krasses Erlebnis.

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